Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 201.
90
adhd Mittwoch, den 13. Oktober.
Giu
1897.
Jesus ! Wer kennt sie nicht in Poitiers ? Sie könnten ( Nachbruck verboten.) fie ebenso gut tennen, wenn Sie wollten."
Der Roman einer Verschwörung.
3]
Von A. Ranc.
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anchi, hadi
Herr Dranlt, der Untersuchungsrichter am Gerichtshof von Poitiers , wohut in der Rue de la Prévôté und befindet sich in seinem Arbeitszimmer. Er arbeitet, und während er arbeitet, schlürft er in kleinen Schlucken seinen Milchkaffee. Viel Milch mit sehr wenig Kaffee, weil der Kaffee des Krieges wegen sehr thener ist. Auf dem Grunde der Taffe befindet sich kein Zucker, sondern ein Löffel Honig, denn der Zucker ist ebenso theuer wie der Kaffee. Herr Drault, der stets schwarz gekleidet geht und nie ohne seine weiße Musselinkravatie er scheint, ist ein Mann von etwa vierzig Jahren. Er hält etwas auf feine Kravatte, nicht weil sie für ihn das Abzeichen seines Berufes ist, sondern weil sie ihn an die schönen Tage als junger Stußer und an seine Triumphe im Palais Royal erinnert.
Gunde!"
" Ja, Sie brauchen nicht immer Gunde, Gunde zu schreien. Ich weiß wohl, daß ich Gunde heiße. Ich gehe wieder au meine Arbeit und werde ihr einen Lehnstuhl geben, der Lefrançois, weil Sie jetzt einen Hut trägt."
Als Drault wieder allein ist, legt er den Brief neben sich, dann nimmt er aus einem Fache seines Schreibtisches einen Aftenstoß, auf den er noch am selben Morgen geschrieben: Atten in Sachen Gebrüder Rochereuil, Georget und anderer. Er blättert in dem Stoß, und seine Augen haften ziemlich lange auf einer Notiz. Er liest sie mehrmals, dann ruft er Gunde und sagt zu ihr: Lassen Sie eintreten."
Gunde führt das Fräulein, das jetzt einen Hut trägt, herein, schiebt ihr einen Sessel hin und geht. Drault hat den Ropf nicht erhoben; er scheint in seine Arbeit vertieft. Eine oder zwei Minuten vergehen. Dann fragt er, noch immer mit gesenkten Augen: Sie find Fräulein Juliette Lefrançois?"
Ja, mein Herr."
Sie haben an mich geschrieben und bitten mich um die Erlaubniß, den Pierre Rocherenil, inhaftirt in der„ Heimsuchung", zu besuchen?"
Ja, mein Herr, ich wünsche Herrn Nocherenil zu sehen. Sind Sie mit diesem Maune verwandt?" 19
Nein, ich bin nicht verwandt mit Herrn Rochereuil." Welche Beweggründe können Sie dann haben, diesen Gefangenen zu besuchen? Kennen Sie ihn so genau und find Sie sicher, ihm angenehm zu sein, wenn Sie ihn in der Heimjuchung" besuchen? Fürchten Sie nicht auch, sich zu kom promittiren?" fragt Herr Drault lächelnd.
3u jener Zeit gehörte Drault dem Rabinet des Herrn Réal an, der selbst wiederum dem Polizeiministerium zugetheilt war. Denn in seiner Jugend hatte Drault hin und wieder der Polizei in die Hände gearbeitet und war deswegen von seinen Kollegen und Vorgesetzten scheel angesehen worden. Die Rechtsgelehrten haben noch heute nichts von dem hochmüthigen Gebahren der alten Parlamente verloren und lieben es nicht, daß die, welche fie als Untergeordnete, als einfache Handlanger betrachten, in ihre Reihen eindringen. Drault flößte dem Gericht und dem Hofe kein großes Vertrauen ein. Nicht weil man ihm gewisse Gefälligkeiten vorwars; es giebt nicht einen Beamten in Boitiers, der anders gehandelt hätte als er; alle sind bereit, die Dienste zu leisten, Juliette Lefrançois erröthet leicht, und ihre Lippen welche die Machthaber von ihnen fordern. Trotzdem haben sie beben. Ihr Blick heftet sich auf den des Richters. Einige Dvault so viel wie möglich von ihren Kreisen ferngehalten. Sekunden schweigen beide. Der Richter wendet zuerst die Der Untersuchungsrichter speist nur an den Tagen der offiziellen Augen ab. th Mahlzeiten bei den Präsidenten, und nie wird er zu den in timen Gesellschaften seiner Vorgesetzten eingeladen. Das wäre od Mein Herr," sagt sie, ich bin gewiß, daß Herr Rochereuil indeß weiter nichts Besonderes, und Drault, der Philosoph ist mich mit Bergnügen sehen wird. Er weiß, wie sehr ich ihm und die Menschheit verachtet, würde an diesem stummen zugethan bin und ist so gut, einige Freundschaft für mich zu Kriege offen theilnehmen, wenn nicht jeinem zeigen. Was mich betrifft," fügt sie ein wenig bitter hinzu, Borwärtskommen schadete. Er fühlt, daß die Feind so wissen Sie wohl, daß ich nicht mehr kompromittirt werden schaft seiner Kollegen und Vorgesetzten ihn in seiner fann." Laufbahn aufhält und daß er, wenn er nicht
Da lächelt Juliette Lefrançois.
mein Fräulein," erwidert der Richter, was sagen
den Oberrichter durch einen Aufsehen erregenden Streich Sie da? Können Sie glauben, daß ich die Absicht gehabt für sich gewinnt, niemals über den Rathstitel hinaus habe, Sie zu verlegen? Nein, mein Fräulein, lernen Sie tommen wird. Ueber diese schmerzliche Situation finnt er mich besser kennen. Der Freimuth, mit dem Sie eben gerade nach, während er mechanisch in einem Stoß Akten zu mir gesprochen haben, verdoppelt das Interesse, blättert. das Sie mir sofort eingeflößt haben. Glauben Sie, daß ich alles, was möglich ist, thun werde und daß es nur von mir abhängen wird, wenn Herr Rochereuil alle Erleichte rungen erhält, die seine Lage erlaubt, und das Gesetz zu läßt..."
Er wird aus seinen Betrachtungen gerissen durch das Anschlagen des Klopfers an die alte Hausthür. Gunde, seine Wirthschafterin, tritt in das Kabinet und reicht ihm einen Brief.
Auf Antwort wird gewartet, Herr," sagt sie, und während Drault liest, wartet sie stehend, sich ab und zu in den kräftig hervortretenden Hüften schaukelnd. Sie trägt den nationalen Ropfpuz, eine hohe Müte, die entfernt an die Mitra der Bischöfe erinnert, und ihr Mieder kracht unter einem gelb grundigen, grangestreisten Tuch, das rückwärts mit einer Nadel an der Taille befestigt ist. Gunde hat frische Farben und ist fehr üppig gebaut. Ihre Lippen sind roth und did; ihre schwarzen Haare umrahmen niedrig und dicht eine enge Stirn.
Wer hat diesen Brief abgegeben?" fragt Dranlt. ,, Ein Fräulein," antwortete Gunde trocken.
"
Bitten Sie die Dame, einen Augenblick zu warten." ,, Das brauche ich ihr nicht zu sagen, sie wartet schon Korridor."
im
,, Lassen Sie sie in das Vorzimmer eintreten und geben Sie ihr einen Stuhl."
" Jesus , die Person kann wohl auch stehen! Dann kann ich mich auch den ganzen Tag lang hinsetzen."
Gunde!"
"
"
Es ist gut, ich gehe schon, ich werde Ihrem Fräulein einen Bolsterstuhl geben."
„ Sagen Sie, Gunde, kennen Sie diese Person?"
"
Ah, Sie sagten eben Herr Rochereuil?
Sehen Sie, mein Fräulein," fuhr der Richter fort, ohne auf die Zwischenbemerkung einzugehen, es ist nicht Drault, der Untersuchungsrichter, der zu Ihnen spricht, es ist Drault, Ihr Landsmann, der auch der Landsmann des Herrn Roches renil ist. Unser Beruf ist manchmal sehr peinlich, und unsere Bflichten sind oft grausam. Ich bin der Schützling und, obgleich ich so viel jünger bin, fast der Freund des Vaters des Herrn Rocherenil gewesen und sehe mich nun gezwungen, gegen den Sohn vorzugehen. Das Gesetz befiehlt, und ich gehorche. Wir sind eben auch Soldaten, die Zivilsoldaten des Gesetzes. Ich suche die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Gott ist mein Zeuge, daß ich der glücklichste aller Menschen sein würde, wenn ich dahin gelangen könnte, die Unschuld des Herrn Rocherenil zu erweisen. An dem Tage würde ich nichts ver fäumen, um seine sofortige Befreiung zu erreichen. Ich würde, wenn es sein müßte, sogar zu dem Oberrichter gehen. Aber, ich spreche ganz aufrichtig zu Ihnen: Werde ich das Ziel, das ich verfolge, jemals erreichen? Herr Rochereuil ist sehr uns vorsichtig gewesen. Seit dem Tode seines Vaters auf den Sechellen hat er nicht aufgehört, mit den erklärtesten Feinden der kaiserlichen Regierung Beziehungen zu unterhalten."
Aber, mein Herr, war diese Berbannung nicht schrecklich