Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 204.
Sonntag, den 17. Oktober.
1897.
( Nachbruck verboten. laffen hatte, stieg sie mit langsamen Schritten die Nue de la Prévôté hinan. Sie war anscheinend sehr ruhig, und niemand
Der Roman einer Verschwörung.
6]
Von A. Ranc.
Jns Deutsche übertragen von Marie Runert.
,, nein, nein! Schicken Sie mich nicht fort! Uebrigens," fügte sie mit halber Stimme hinzu, während ihre Lippen erblaßten und sich zusammenpreßten, wenn Sie mich zurückschicken, werde ich nicht nach Hause gehen. Ich gehe irgendwo hin, gleichviel, wo es sein mag."
"
"
hätte vermuthen können, daß sie mit Herrn Drault eine so
erregte Unterhaltung geführt hatte. An der Place Saintwar leer und sie fette ihren Weg fort. In der Rue de la Mairie, Didier vor dem Justizpalast blieb sie eine Sefunde stehen; der Play einer der belebtesten der Stadt, stieß sie, als sie etwas zerstreut auf dem schmalen Bürgersteig ging, an einen alten Herrn, der aus der entgegengesetzten Richtung fam.
Dieser alte Herr trug einen Zopf, welcher auf den Schultern beim Gehen hin und her hüpfte, und war in einen sehr furzen, Fernand Roy sah sie prüfend mit wachsendem Staunen an. farrirten Schooßrock mit ungeheurem Kragen und Keuleuärmelu D", begann sie wieder,„ behalten Sie mich! Behalten gekleidet. Sein kurzes Beinkleid war zimmetfarben. Er ents Sie mich!" schuldigte sich sehr höflich und trat, um Juliette Lefrançois Platz Und als sie dies sagte, umklammerte sie mit ihren beiden zu machen, nach links. Aber da diese im selben Augenblick nach Händchen sein Handgelenk und drückte es mit außerordent rechts ausbog, so stießen sie beinahe wieder mit den Nasen zu licher Kraft; auf den Fußspizen stehend, näherte sie ihr Gesammen. Der alte Herr verdoppelte seine Entschuldigungen. ficht dem Fernand's, jah ihn lange an und wiederholte Dies alles ging ganz schnell vor sich, aber während er sich do love stine tausendmal entschuldigte, fand er Beit, geschwind zu sagen: Morgen in der St. Hilarinstirche während der Mittagsmesse worten starr an; aber er entfernte sich schon, während er vor der Kapelle der Jungfrau. Juliette jah ihn, ohne zu ants wiederholte: Bitte tausendmal um Entschuldigung, schöne Dame!"
immer: fort!"
Oh, schicken Sie mich nicht fort! Schicken Sie mich nicht Echweigen entstand, während das Herz Juliette's zum Berspringen schlug, aber sie ließ seine Hand nicht los und sentte den Kopf nicht. Ihre Lippen berührten die feinigen, und er, der strenge Mann, der Stoiker, schlug die Augen zu= erst nieder; er stieß Juliette nicht zurück. Da lächelte fie, und noch lächelnd zerfloß sie in Thränen.
" Ich wußte wohl," sagte sie ganz leise, daß Sie mich behalten würden.
Nach dem Tode Fernand's fehrte Juliette nach Boitiers zurück. Sie besaß von Roy eine kleine Summe, die ausreichte, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, folglich war die Herrn Drault übermittelte Notiz der Polizei ungenau in bezug auf diesen Punkt: Juliette bejaß Existenzmittel.
"
Juliette war auf der Höhe der Rue des Basses- Treilles an gekommen, durch die sie gehen mußte, um nach Hause zu kommen. Trotzdem ging sie weiter bis zur Place d'Armes. Dort schlug inmitten eines Kreises von Kindern und Müssiggängern ein großer Straßenfänger mit langem Bart und langen Haaren Juliette blieb stehen bis zu dem Augenblick, da er die Almosen die Mandoline und sang Lieder in neapolitanischer Mundart. einsammelte. Als er sich ihr näherte und seinen spizen Hut hinhielt, ließ sie eine mit dem Bilde der Republit geprägte Münze hineinfallen. Dann ging sie bis zum Boulevard du es einzurichten verstehen, so hatte sie nichts desto weniger hinter Grand- Cerf, ohne den Kopf zu wenden. Aber, wie alle Frauen sich gesehen und als sie die Thür öffnete, wußte sie genau, daß fie verfolgt worden war.
IX.
Sie wollte mit Gewalt in Poitiers bleiben; zuerst hatte sie Schwierigkeiten, sich einzumiethen. Ihr Abenteuer hatte Aufsehen erregt, und nirgends, außer in den übel berüchtigten Straßen oder den gewöhnlichen Stadttheilen wollte man sie aufnehmen. Aber in diesen Vierteln sind die band met Straßen eng und düster. Schließlich hatte sie zwei Zimmer Als Juliette Lefrançois das Kabinet des Untersuchungs. in einem alleinstehenden Hause auf dem Boulevard du Grand- richters verlassen hatte, war Herr Drault ganz bestürzt. Er, Cerf gefunden, das zu jener Zeit fast leer stand und wo es ein im Dienste der Polizei groß gewordener Beamter war von außer diesem Hause nur noch von Fuhrleuten besuchte Herbergen einer Frau besiegt worden. Er hatte sich bloßgestellt und gab. Juliette war nicht furchtsam. Für wenig Geld hatte nichts erreicht. Um das Maß des Unangenehmen voll zu fie zwei große Bimmer und viel frische Luft. Das eine machen, schalt Gunde ihn und schmollte mit ihm; und er der Zimmer ging auf den auf den Boulevard Boulevard hinaus, das fühlte wohl, daß er am Abend Versöhnungsversuche machen andere hatte eine prächtige Aussicht über die Gärten und die Kosten davon tragen müsse.
und Hügel, die sich auf dieser Seite der Stadt zwischen Dranlt fah das Leben in düsteren Farben vor sich. Wenn der Rue des Hautes- Treilles, dem Gefängniß zur Heimsuchung" er noch, um sich zu rächen, das unverschämte Mädchen hätte und dem Boulevard du Grand- Cerf hinzogen.
verhaften lassen können, so würde ihn das getröstet haben. Zu der Zeit, da diese Geschichte beginnt, war Juliette Vielleicht konnte er sie auch, wenn sie erst einmal hinter Schloß Lefrançois achtundzwanzig Jahre alt. Sie war äußerlich und Riegel war, zwingen, sich vor ihm zu demüthigen. Aber nicht älter geworden. Mit jechzehn Jahren schien sie älter, nein, er hatte mit bezug hierauf die strengsten Befehle, und als sie wirklich war, und mit achtundzwanzig Jahren sah sie es war ihui untersagt, ohne vorherige telegraphische Anfrage viel jünger aus. Sie war noch immer nicht hübsch, beim Polizeiminister zu einer neuen Verhaftung zu schreiten. und wenn man dicht an ihr vorbeiging, konnte man Im vergangenen Monat hatte er angefragt, ob es nicht au sie sehr wohl nicht beachten; aber der, der dieses junge Weib gebracht wäre, den jüngeren Bruder von Pierre Rocherenil einmal aufmerksam betrachtet hatte, besonders der, auf den ihr emzuferkern, und man hatte nicht einmal geruht, ihm zu aut Blick sich gerichtet hatte, vergaß sie nie. worten.
Sie kleidete sich wie eine Dame und folgte der Mode mit Drei Tage später hatte er einen Brief empfangen, in Diskretion und Geschmack. Das ärgerte die braven Leute in welchem der Kabinetschef des Herzogs von Rovigo ihm in Boitiers mehr als alles andere. Man kätte ihr leichtsinnige höflichen Ausdrücken erklärte, daß er ein einfältiger Tropf sei: Streiche verziehen, aber wie konnte man dulden, daß die" Man hat sich ohnehin schon zu sehr beeilt," sagte der Brief, Tochter eines gewöhnlichen Trödlers einen Hut von neapoli- den älteren Rochereuil und den Abbé Georget zu verhaften. tauischem Stroh und cinen Regenmantel à la Nina mit Der Fehler ist nun einmal gemacht; aber wir wollen Bejay von Stahlperlen trug? Eine solche Aufführung ließ wenignens feinen neuen begehen. Wenn wir nicht einige der in den Augen der Bürger auf eine tiefe Unjittlichkeit schließen. tompromittirten Personen in Freiheit laffen, wie wollen Zu dem Besuche bei Herrn Drault hatte Juliette Les wir dann die Wahrheit erfahren? Der Herr Untersuchungsfrançois sich ebenso gekleidet und einen Hut in Tschatoform richter rechne doch wohl nicht darauf, daß Rochereuil und der nach der neuesten Mode aufgesetzt. Nur ihr Kleid mit hoch- Abbé Georget Aussagen machen würden?" Uebrigens würde geschlossener Taille war von dunkler Farbe. Sie hatte das die Sache nach dem Urtheil des Herzogs von Rovigo mit jedem helle Gelb, das die Lieblingsfarbe der eleganten Welt damals Tage ernster, und der Untersuchungsrichter würde hierdurch war, nicht angenommen. Sie trug auch keine Hortensia bänder, benachrichtigt, daß einer der geschicktesten Agenten des Minis da die Hortensia eine bei der Regierung beliebte Blume war. steriums nach Boitiers abreisen sollte. Dieser Beamte würde Als Juliette das Zimmer des Untersuchungsrichters ver- sich dent Untersuchungsrichter zur Verfügung stellen, der nicht