Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 212.
sidnd
Donnerstag, den 28. Oktober.
1897.
Der Roman einer Verschwörung. wird man die Tiese und die Ausdehnung der Leiden ermessen,
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Bon A. Nauc.
( Nachdruck verboten. uns trennte. Die Republik hat an ihm einen schweren VerIuft, einen ebenso schweren wie Sie selbst erlitten. Niemals welche Napoleon verursacht hat. Ihr armer Vater gehörte doch zu dem ersten Transport der nach den Seychellen VerDescosses antwortete nicht; er war bleich. Rochereuil Ja, mein Herr, mein Vater wurde auf der Fregatte fuhr fort: " La Chiffonne" eingeschifft."
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bannten?"
Sie denken gewiß, wenn man den Leuten so geschickt Ah, jawohl, La Chiffonne, Kapitän Guyeyesse. Ich hatte nachschleicht, läßt man es nicht beim ersten Male bewenden. auf der Chiffonne noch einen anderen sehr lieben Freund, den Unser Freund theilte seine Entdeckung einigen sicheren und General Rossignol. Auch er starb auf der Insel Anjouan verschwiegenen Personen mit, die sich darüber Gewißheit unter den schrecklichsten Qualen, einer Art Fieber mit schwarzem verschaffen wollten, daß er wahr gesprochen hatte, und die Erbrechen. Es war eine fürchterliche epidemische Krankheit; sie deshalb ziemlich oft des Nachts in der Stadt spazieren verschonte nur vier der Deportirten. Doch meine Mittheilungen gingen. Die ersten Male sah man nichts, und man betrüben Sie vielleicht?" fing bereits an zu glauben, daß der junge Mann geträumt Nein, Herr, es sind bittere Erinnerungen, aber ich fürchte hätte, als während eines schrecklichen Sturmes ich glaube mich nicht davor, daran zu denken, denn ich will nicht vers in der Nacht des 11. August die vier Männer, die mein geffen. Nur die Feiglinge und die Gleichgiltigen vergessen. Freund in seiner Naivetät für Polizei- Agenten gehalten hatte, Ich habe nur einen Brief von meinem Vater erhalten, den in der Rue du Moulin- à- Vent bemerkt wurden. Ich irre ein Offizier der englischen Fregatte Sylphide " mir zukommen mich, es waren diesmal nur drei. Sie stiegen aus dem Fenster ließ. Dieser Brief war am Todestage Rossignol's ge des Erdgeschosses im Hause des Herrn von Rougemont und schrieben worden. Mehr als die Hälfte der Deportirten trugen einen Korb voll Silberzeug fort, von dem schönen war schon von der Plage ergriffen. Rossignol hat Silberzeug der Familie, das Herr von Rougemont so ungern ver- brav geendet. Seine letzten Worte waren ein Abschieds. Loren hat. Dieses Mal waren alle Maßregeln im vorhinein getroffen gruß an das Vaterland und die Republik , eine Verwünschung worden, eine Falle war gestellt, und man sah ganz genau, wie gegen Napoleon.*) Einige Tage später erlag auch mein Vater die drei Männer mit dem Silberzeug durch die kleine Thür der Krankheit. Wir erhielten die Nachricht durch eine Depesche auf der Seite der Böschung, dort, wo fein Bosten steht, in die des Gouverneurs von Ile de France mit einer Lifte der todten Heimsuchung" eintraten. Rönnen Sie sich denken, Herr Deportirten. Wir haben niemals mehr erfahren." Descosses, durch wen diese Thür geöffnet wurde?"
Descoffes besaß nicht die Kraft, um zu antworten. Eben noch war er bleich, jetzt stieg ihm das Blut in das Gesicht; er rang nach Athem.
Wünschen Sie ein Glas Wasser, Herr Descoffes?" fragte Rochereuil ihn.
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Der unglückliche Inspektor stammelte: Gnade! Gnade! Ich bin Familienvater! Zeigen Sie mich nicht an."
Wer spricht denn von anzeigen, Herr Descosses? Ich werde mich hüten. Ich brauche Sie zu nöthig. Wir werden die Unterhaltung heute Abend wieder aufnehmen, wenn Sie fich etwas beruhigt haben, und ich werde Ihnen dann sagen, was ich von Ihrem Entgegenkommen erwarte."
"
Wird es mich meine Stellung fosten?" Rocherenil konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. " Nein, Herr Descoffes, nein," sagte er. Aber wollen Sie darüber nachdenken, daß Sie nur die Wahl haben, entweder mir zu gehorchen, oder auf die Galeere zu gehen. Adieu, Herr Descosses, auf heute Abend."
Der Juspektor ging zitternd hinaus; der Schlüsselbund bebte in seiner Hand, und das Schloß klirrte.
Um zwölf Ühr ging Rochereuil in den Hof hinunter, wo er Méhu fand, der sich bereits dem Abbé genähert hatte und in lebhafter Weise zu ihm sprach. Der Abbé sah ihn durch feine Brillengläser mit spöttischer Miene an. Rochereuil sezte sich auf eine Bank und der Abbé trat zu ihm.
" Halte Dich für heute Abend bereit," sagte Rocherenil zu ihm. Wer ist der Mann dort?"
Méhu de la Guiche. Der Abgesandte Fouché's , den Juliette gestern gesehen hat, hatte Recht. Méhu hat keine Zeit verloren; er hat sich auf ziemlich geistreiche Weise einsperren lassen."
Was will er von uns?"
" Ich weiß noch nicht, aber gewiß nichts Gutes."
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Dann wollen wir ihn anhören und schnell mit ihm zu Ende kommen. Wir haben keine Zeit, unser Pulver an Spaßzen zu verschwenden."
Rocherenil und der Abbé näherten sich Méhu, der unter dem Eindruck von Rochereuil's Persönlichkeit etwas verlegen wurde. Rochereuil und er begrüßten einander.
Ich bin sehr glücklich, mein Herr," sagte Méhu, der sich nach einem kurzen Schweigen entschlossen hatte, das Gespräch zu beginnen, ich bin sehr glücklich, den Sohn eines so entschlossenen, so ergebenen Patrioten zu sehen, wie es mein Freund Rocherenil war. Denn Ihr Vater war mein Freund, und in Paris sah ich ihn fast täglich, bevor die Verfolgung
"
Wissen Sie, mein Herr," begann Méhu, entzückt darüber, daß das Eis gebrochen war, wissen Sie, was am schrecklichsten an der Deportation des Nivose ist, was die Erinne rung an die Regierung, die sie befohlen hat, für immer vers abscheuungswürdig macht?
Unschuldige statt der Schuldigen zu treffen, wenn diese Unschuldigen Feinde sind, ist nichts. Bonaparte wußte genau, daß die Deportirten mit dem Höllenmaschinen- Attentat nichts zu thun hatten; er wußte auch, daß sie unbestechliche Patrioten waren. Er hat sich ihrer entledigt, was ich ihm nicht weiter zum Vorwurf mache. Aber diese Unglücklichen einzuschiffen, ohne ihnen oder ihren Familien den Ort ihrer Bestimmung**) mitzutheilen, so daß man länger als zwei Jahre hindurch nicht wußte, an welche ungaftliche Küste sie geworfen worden waren, das war eine so raffinirt ersonnene Grausamkeit, daß die barbarischsten, die wildesten Völker darüber erröthen würden. Jeder Mann, in dem die edelste Leidenschaft, das Mitgefühl nicht erstorben ist, muß mir beistimmen. Ach, wenn es eine Gerechtigkeit..."
Rochereuil dachte, daß es Zeit wäre, diesem Ueberschwang von Entrüstung einen Damm entgegen zu sehen.
"
Sie sind, wie mir mein Freund Georget gesagt hat, Herr Méhu de la Guiche?"
" Ja, mein Herr, Sie sehen in mir einen Mann, der viel verleumdet worden ist."
" Das ist möglich; aber davon ist jetzt nicht die Rede, mein Herr. Sie wissen, daß es Tage giebt, an denen man mehr oder weniger gut aufgelegt ist: Wären Sie gestern hier ange fommen, so wäre es uns, dem Abbé und mir, ein wahrhaftes Vergnügen gewesen, uns mit Ihnen zu messen. Wir hätten uns mit Ihnen in ein kleines Wortgefecht eingelassen, Sie
*) Nach dem Bericht von Lefranc, einem der vier Transportirten des Nivôse, die allein dem Klima widerstanden, sagte Rossignol wörtlich:„ Ich sterbe von den schrecklichsten Schmerzen gefoltert, aber ich würde zufrieden sterben, wenn ich erfahren könnte, daß der Bedrücker meines Waterlandes, der Urheber aller meiner Leiden, diefelben Dualen und Schmerzen erduldet!"
**) Der Kapitän der„ Chiffonne" hatte Befehl, nicht eher von seinen Instruktionen Kenntniß zu nehmen, als bis er auf offener See um Kap Finisterre angelangt war. Dort öffnete er das versiegelte Packet, das den Befehl enthielt, und sah, daß sein Bestim mungsort die Jufel Mahé war, zweihundertfünfzig Meilen nords öftlich von der Nordspiye Madagaskars . Napoleon legte der Ge Buyeŋesse verpflichtet hatte, ihn weder den Verbannten, noch selbst heimhaltung des Ortes eine so große Bedeutung bei, daß er Kapitän den Offizieren mitzutheilen. Sie sollten es nicht eher als am Tage ihrer Ankunft auf den Seychellen erfahren. Die Deportirten hatten auf Cayenne gehofft.