Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 220.

Dienstag, den 9. November.

( Nachdruck verboten

1897.

wonnen. Aber da sie für einige Stunden zur Unthätigkeit verurtheilt waren, überließen sie sich unfreiwillig einer gewiffen

Der Roman einer Verschwörung. geistigen Erſchlaffung.

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Von A. Ranc.

Rochereuil und Abbé Georget hatten seit Wochen forts während zwischen Hoffnung und Sorge geschwankt. Ihre Ges Jns Deutsche übertragen von Marie Kunert. danken hatten sich auf eine einzige Anstrengung, ein einziges Ziel gerichtet. Jezt, da mit ihren Freunden aus Poitiers , In dem Augenblick, da er dies wußte, fühlte ich mich Baris und der Armee alles vorgesehen, berathen und be durchschaut. Dieses Geheimniß war nur zwei Personen beschlossen, jetzt, da die Würfel im Rollen waren und sie die tannt, Herrn Fouché und mir. Da ich Rochereuil nichts ge- furchtbare Partie beginnen sollten, bei der ihr Kopf der Einfah sagt habe, so muß Fouché es gethan haben, und Se. Exzellenz war, jetzt endlich, da sie nur noch den Tag des Handelns zu der Herr Herzog von Feltre werden die nothwendigen Schlüsse erwarten hatten, waren sie von einem unbezwinglichen Ver­daraus ziehen. Rochereuil, der Juliette's trat von Zeit zu Zeit

Nachdem ich so abgefallen war, konnte ich die beiden langen nach Ruhe erfaßt.

Männer nur noch aus der Ferne studiren, beobachten und wegen etwas besorgt war, geba das Fenster. Der Abbé saß halb schlummernd

wenn möglich ergründen. Ich schwöre Ihnen, daß ich mich zwei oder drei Tage lang nicht geschont habe. Jezt ist meine Meinung gefaßt, und ich werde nicht mehr davon ablassen: Rochereuil und Abbé Georget bereiten einen Streich vor, oder sie werden Tag für Tag über einen geplanten Streich unter richtet. Ihre Ruhe ist nur scheinbar, ihr Phlegma nur ober flächlich. Unter dieser Ruhe und diesem Phlegma arbeitet eine ständig wachsende, fieberhafte Erregung, ein nie rastender Ge dante. Ich habe ihre Augen manchmal wie im Triumph auf­

leuchten sehen.

regung einflößen sollten.

Ich kann feinen Beweis dafür liefern, denn dergleichen ist Gefühlssache; aber glauben Sie mir, daß ich mich nicht täusche. In dieser Stunde glauben die beiden Männer dem Erfolge nahe zu sein. Ich dachte zuerst daran, daß sie eine Flucht vorbereiteten; aber sie haben schon zuviel erlebt, als daß die Vorbereitungen eines Fluchtversuches ihnen solche Er Unter diesen Verhältnissen schlage ich, wenn Se. Exzellenz der Herr Herzog von Feltre sich auf meine Meinung stüßen wollen, folgendes vor: Ohne eine Minute zu verlieren, lieber heute als morgen, muß der zerrissene Faden, von dem wir vorhin sprachen, wieder angeknüpft werden. Wir müssen die Spur wieder auffinden, die vorläufig in dem Zimmer der Juliette Lefrançois endet.

Dieses Mädchen besitzt sicher nicht alle Geheimnisse Rocherenil's; Schwerwiegendes wird ihr nicht anvertraut worden sein, aber es ist unmöglich, daß sie nicht so viel weiß, um uns das fehlende Ende des leitenden Fadens in die Hand geben zu können. Man hat ihr mancherlei gesagt, und sie ist schlau und neugierig genug, um das übrige zu errathen. Durch sie, durch sie ausschließlich werden wir zum Ziele gelangen.

in seinem Lehnstuhl. Es war taum 12 Uhr, und um 2 Uhr früh wurden sie erst von Descosses an der kleinen Pforte der Heimsuchung" erwartet. Einige Minuten lang sprachen fie

tein Wort.

Der Abbé brach das Schweigen zuerst und sagte lebhaft, wie wenn ein plöglich aufsteigender Gedanke ihn beunruhigte: Wird er bis zu Ende mitgehen? Wird er uns nicht verlassen? Wer weiß, ob er nicht diesmal doppeltes Spiel spielt? Ach, wenn wir diesen Mann hätten entbehren

können!"

Rocherenil blieb plöglich stehen.

Ach," antwortete er, so dentst Du also auch daran! Ich würde meinen rechten Arm hingeben, um ganz sicher zu sein. Doch was willst Du? Wir haben unsere Pflicht ge­than! Komme, was tommen mag! Und was thut's?! Wir setzen nur unser Leben aufs Spiel, da unsere Freunde in Paris erst nach uns handeln können. Wenn wir uns getäuscht haben, so werden wir unsern Irrthum so theuer bezahlen, daß niemand das Recht hat, uns Vorwürfe zu machen. Wir können nicht anders handeln." nicht anders handeln."

"

Sein Interesse gebietet ihm auch, uns nicht zu vers

rathen."

Ja, er weiß, daß er von dem siegreichen Bonaparte alles zu fürchten hat, denn dieser haßt ihn mehr als irgend einen andern Menschen auf der Welt. Was hat er von einer Wieder herstellung der Monarchie zu hoffen? Er kann nur mit uns und durch uns etwas erreichen."

" Das ist wahr; die Logik der Ereignisse und der Jntereffen fann uns etwas beruhigen... Aber wie oft hat man sich schon getäuscht, wenn man glaubte, richtig gefolgert zu haben. nun, wir werden ja sehen..."

Der Abbé brach ab. Rochereuil hörte ihn nicht mehr. Er Hat der Herr Minister einen hübschen Burschen an der heftete die Augen starr auf die Thür, denn er hörte den Hand, der, munter, geistreich, unternehmend und im stande Schritt Juliette's auf der Treppe. Lebhaft trat sie ein, und ist, ein Frauenzimmer halb mit Lift, halb mit Gewalt zu bei den Strahlen des Mondes, die in das Zimmer fielen, er überrumpeln und es vor allem fertig bringt, daß sie sich in fannte sie zuerst Rochereuil, der sie lächelnd betrachtete. Thre ihn verliebt? Sie verstehen mich doch. Wenn Sie einen Wangen waren von dem schnellen Gang etwas geröthet. Sie solchen Mann haben, so geben fie ihm Anweisungen. blieb stehen und erblaßte; ihr Herz klopfte start. Sie lehnte In drei Tagen muß er in Poitiers sein. Bor zehn

" Nun, Juliette?!" sagte Rochereuil.

Fahren noch hätte ich keinem andern die Ehre und das Ber- fich an die Wand. gnügen einer folchen Mission gelaffen. Mit einem Blick habe " O! achte nicht darauf," stammelte sie und versuchte das ich Juliette Lefrançois beurtheilt. Das Mädchen, das nicht bei zu lächeln. Ich bin so schnell gegangen und ganz außer hübsch, aber sehr anziehend ist, ist leidenschaftlich verliebt in Rocherenil; sie hegt die lebhaftefte Neigung für ihn, die ihr fast den Schlaf raubt. Ein Grund mehr! Sie ist allein und langweilt sich; wenn Ihr junger Mann kein Dummkopf ist, wird er seine Reise nicht bedauern.

Ich bin, mein Herr, mit aller Achtung Ihr sehr ergebener

XV.

Méhu de la Guiche.

Athem..."

Rochereuil nahm ihre Hand und küßte Juliette, fie an fich ziehend, auf die Stirn. Da fant fie in seine Arme und barg den Kopf an der Brust ihres Freundes; dann kamen ihr die Thränen, und sie brach in Schluchzen aus.

Juliette, Juliette, was hast Du denn? Beruhige Dich doch," sagte Rochereuil, ohne sie loszulaffen.

"

Achte nicht darauf," wiederholte fie; achte nicht darauf, ich weine ja vor Freude. Ich lache ja, sich doch, ich lache." Sie strich die Haare mit der Hand aus der Stirn, warf den Kopf zurück und tauchte ihre Blicke tief in die Rochereuil's. Die Thränen rannen ihr über die Wangen, aber ihr Antlig war schon von einem süßen Lächeln erhellt.

Rocherenil und der Abbé Georget waren in Juliette's Zimmer zurückgeblieben. Der Abbé hatte sich in einem Lehn­stuhl ausgestreckt; Rocherenil ging auf und ab, aber Gang und Haltung verriethen größte Müdigkeit. Sie hatten zum Ver­Laffen des Gefängnisses feinen großen Kraftaufwand nöthig In diesem Augenblick gewahrte sie den Abbé, der sich in gehabt, und doch fühlten sie sich aufs äußerste erschöpft. Dies seinem Lehnstuhl nicht gerührt hatte. Sie verzog den Mund tritt nach aufregenden Entschlüssen ebenso gut wie nach großen etwas, aber nur für eine halbe Sekunde. Dann ging fie auf Thaten ein. Wenn sie augenblicklich zu Pferde steigen und auf ihn zu, nahm seine Hand, drückte sie kräftig und sagte: ihren Feind hätten losgehen sollen, so wären sie sicher wieder Guten Tag, mein Herr. Ich freue mich, Sie zu sehen. zu sich gekommen und hätten ihre alte Eneraie wieder ae- Ach wie alücklich bin ich daß Sie alle beide frei sind! Aber."