Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 2.
2)
Dienstag, den 4. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Alltagsleute.
Noman von Wilhelm Meyer Förster. Also auch das noch! Kreiser ein Redner in öffentlichen Versammlungen, womöglich ein Anarchist, ein Bombenschmeißer!
Gebt mir Hut und Mantel," sagte sie, ich fahre zum Justizrath. Dieser Mensch muß aus meinem Hause oder ich ziehe selbst aus. Ich will nicht in die Luft fliegen."
Christian und dessen Mutter wollten die Tante beschwichtigen, aber sie zitterte vor Aufregung:„ Mein Haus und das Tranermagazin waren Muster. Jetzt ist alles fort: Ruhe, Glück, ja jede Hoffnung."
Natürlich war die Sache nicht gar so schlimm. Herr Kreiser, der absolut nichts zu thun hatte, war ziemlich selbstverständ lich auf die Idee verfallen, am öffentlichen Leben theilzunehmen, sein Redetalent zu verwerthen. Da er aber unter allen Ums ständen über das Ziel hinausschoß und da er das soziale Thema nur sehr flüchtig kannte, so hatte er mit starken Ausdrücken um sich geworfen und in der Bockbrauerei Staat, Gesellschaft und Staatsoberhaupt in so thörichten und unüber legten Ausdrücken gelästert, daß er sofort verhaftet und abgeführt wurde.
Nach einigen Tagen war er allerdings aus der Haft entlaffen, leider in der sichern Aussicht, durch Richterspruch bald wieder festgelegt zu werden.
Als er heim fam, fand er Aennchen ungefähr verhungert. Die Köchinnen im Hause hatten ihr gelegentlich eine Kleinigkeit zu essen gegeben, aber eigentlich betteln hatte sie denn doch nicht gelernt, und das arme siebzehnjährige Ding war traurig daran. Es mußte jetzt unbedingt Rath geschafft werden, und was Herr Kreiser noch nie gethan hatte, ließ sich nicht länger umgehen: er wandte sich an seinen Sohn Richard. Man hatte den Oberkellner seit Jahren nicht gesehen, er tam jedoch sofort und war tief betrübt, Bater und Schwester in so unerfreulicher Lage zu sehen.
Da muß Rath geschafft werden," sagte er, aber wie?" Er hatte eine Tüte Bonbons für Aennchen mitgebracht und für den Alten eine Schachtel egyptischer Zigaretten. Nun fügte er noch zwei Mark hinzu und versprach, gelegentlich eine größere Summe zu beschaffen.
" Wir leben in einer miserablen Zeit," meinte er, fortwährend erscheinen Artikel gegen das Trinkgeldwesen, die Konjunkturen sind schlechter als je."
Herr Kreiser und Aennchen waren von seiner äußeren Erscheinung so geblendet, daß sie wenig oder nichts sagten, ihre Zigaretten und Bonbons verzehrten und den schönen Nichard beständig anschanten.
Er fah in der That famos aus, hochelegant, in Handschuhen, Wäsche, Lackstiefeln, Kravatte und Frisur tadellos.
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1898.
die Augen, sie müßte Dich so sehen, Richard, und Dich so sprechen hören."
Nachher tam noch einmal die Finanzfrage aufs Tapet, und Richard holte noch weitere zwei Mtart heraus. Bei besserer Konjunktur der Trinkgelderfrage versprach er wiederkommen zu wollen.
Er ging, und die beiden waren in dem ärmlichen Zimmer wieder allein; nur der Patchouligeruch erinnerte noch an den eleganten Richard.
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Er fann für uns nichts thun," sagte Herr Kreiser,„ das ist klar. Er soll auch für uns nichts thun, er soll seinen Weg weiter gehen und durch uns beide nicht gehindert werden. Ich habe mich sehr gefreut, ich habe mich über diesen Richard sehr gefreut, ja."
Aennchen saß auf dem Tische am Fenster und aß die letzten Bonbons.
Der Bruder war für sie ein Fremder, den sie kaum noch erkannt und über den sie gestaunt hatte. Wenn es einem doch auch mal so gut ginge!"
II.
Für jeden andern, als die Tante, wäre der Justizrath nicht zu sprechen gewesen, denn im Hause Simon war heute etwas Außerordentliches im Gange. Sporenklirrend war jemand am Mittage bei dem Justizrath erschienen, hatte in kurzer Rede um schön Evchen sich beworben und hatte das gerührteste Jawort erhalten, das je ein Vater sprach. Die Verlobung sollte heute im kleinen Kreise gefeiert werden, der Justizrath und seine Kinder, die Geheimräthin nebst Töchtern und dem Sohne. Klaus.
Welch seliger Tag war das! Lieutenant Klaus hatte Eva Simon vor Vater und Bruder der Braut feierlich gefüßt und war in Apollo's Schönheit, siebenmal nach Evchen sich um schauend, die Treppe hinabgestiegen. Heute Abend würde er kommen und Mutter und Schwestern mitbringen. Die drei Simons hatten dann zu Mittag gespeist, und bei des Vaters ersten Worten waren aus den Augen der jungen Braut in den goldenen Rheinwein schwere Thränen gefallen, vor überquellendem Glück. Klaus Hänisch war nur ein bürgerlicher Offizier, aber der schönste im Deutschen Reich, der beste Turner in der Militär- Turnaustalt, der wundervollste Walzertänzer und der außerordentlichste Künstler auf Schlitt schuhen. Aber nie gab es auch im Stamme Juda ein schöneres Mädchen als Eva Simon. Als die Mutter noch lebte, und die Kleine auf des Vaters Knieen ritt, hatte Eva das Gesicht eines Engelchens. In der Schule am Dönhoffsplatz war kein Mädchen, das so viele Freundinnen besaß, und wenn sie nach Hause lief mit gerötheten Wangen und leuchtenden Augen, blieben die Leute stehen und sahen ihr nach. Und sie war immer schöner geworden.
Nun ging fie in ihr Schlafgemach und rüstete sich für den großen Abend. Die ersten Schatten der frühen Dämmerung Er selbst fühlte den Unterschied wohl heraus und sagte: sentten sie auf die enge Straße, und sie stand am Fenster und Mein äußerer Mensch ist meine Existenz. Ich habe eine tüßte sein Bild viele Male. Sie sah den hübschen Kopf Karriere gemacht wie unter hundert Kollegen fanm einer. des Mannes unverwandt an und ließ die Worte ihres Vaters Mehr noch: Ich habe eine Karriere vor mir. Der moderne Ober- in sich nachklingen. Ein gutes, treues, unendlich liebendes Kellner ist nur möglich in der äußeren Erscheinung eines Weib wollte sie werden, dem Klaus da beistehen in Noth und Gentleman, das ist klar.", Tod, in Glück und in dem herrlichen Leben! Das Herz Er hatte wirklich eine glänzende Karriere durchlaufen. wollte ihr zerspringen vor Rührung und guten Gedanken und Eparsam mit jedem Pfennig, war er schon als Lehrling ein Hingebung. Nie war eine Stunde so schön wie diese einsame, eleganter fleiner Bursche gewesen. Wenn die anderen ihre und es kam auch nie wieder für sie eine gleiche. Freiheit verbummelten oder verschliefen, las er das Buch vom Es klopfte, und ihr Bruder Abraham tam herein. Er guten Ton" und den kleinen Franzosen". Er sprach war ein stiller Junge von sechzehn Jahren, zwei Jahre jünger Weanerisch " wie ein Eingeborener von Hernals , und im als Eva. Als Kind galt er für das schönste Kerlchen, das Geschäft nannte er sich„ Schani". Für Französisch weit und breit unter der Bekanntschaft. zu finden war, aber und Englisch hatte er eine ungeschickte Bunge, aber er er war mit den Jahren häßlich geworden, und lange Krank Lernte die Sprachen doch. Er war ein Selfmademan und heiten hatten ihn zu einem schwächlichen Burschen ges hatte sicherlich eine große Zukunft. macht. Es war eine Marotte des Vaters gewesen, seinen " Ich will etwas erreichen", erklärte er, andere in meiner beiden Kindern erzjüdische Namen zu geben, gleichsam um Stellung wären zufrieden, aber ich will weiter. Aus dem mit diesem Heroismus zu zeigen, daß er stolz sei auf Café in das Hotel, dann eine gute Partie und dann wer sein Volt. Klug war es jedenfalls nicht. Der Name des weiß- vielleicht selbst einmal Eigenthümer." Erzvaters Abraham ist weder schön noch modern, verbietet
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Herr Kreiser war begeistert. In dem Sohne steckte sein durch seine unangenehme Philiftrofität jede liebenswürdige eigenes Blut, der Drang nach vorwärts, nur mehr Energie, Abkürzung und pflegt seinem Besitzer viele trübe Stunden zu mehr Sicherheit, mehr Fleiß, als er je gehabt hatte: ch bereiten. Ein Name ist Mitgift für das ganze Leben, und wollte, Eure gute Mutter lebte noch", sagte er und wischte sich wohl niemand hat es seinen Eltern Dank gewußt, daß sie ihn