Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 3.

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Mittwoch, den 5. Januar.

1898.

" Ich würde viel darum geben," sagte die Tante, wenn

( Nachdruck verboten.) das gelingt."

Alltagsleute.

Roman von Wilhelm Meyer- Förster  . Nicht wahr, Du hast ihn sehr lieb?"

Sie sah ihn verwundert an wie einen Jungen, der eine närrische Frage stellt, aber nur eine Sekunde hatte sie ihm ins Ange gesehen, da verstand sie ihn. Wild, stürmisch wie nie, zog sie ihn an sich:" Du bleibst immer bei mir, Abraham, Du und ich bleiben immer, immer bei einander. Und so liebe ich ihn, siehst Du, o unendlich! Und Dich soll er lieb haben, ja ganz gewiß."

Der Junge nickte wie der arme Bettler, dem man sagt, es werde einmal etwas Wunderschönes geben.

Denn er ist besser als alle Menschen der Welt, der beste der gütigste. Du mußt ihu lieb haben, Abraham, Du follst."

Immer nickte der Junge. Aus dem großen Schrank spiegel, vor dem sechs Kerzen brannten, sah ihm sein Bild entgegen: das müde Gesicht mit so vielen unschönen Zügen, der schmale geneigte Körper und unten die großen häßlichen Füße.

" Ja, ja," sagte er, er wird uns alle lieb haben." Ueber das Weib ging ein leiser Schauer. In die heilige felige Stunde war ein grauer Schatten gekommen, und es that sich vor ihr auf wie ein Abgrund.

Bor Jahren, als sie mit ihren Freundinnen noch auf der Schulbaut saß, hatten sie in heimlichen Stunden oft gerannt und gezischelt, wie der Zukünftige aussehen solle, blond oder schwarz, Jude oder Christ, und dann hatten sie ein großes Gelübde gethan: Nie einen Offizier!" Die kleinen Backfische hatten viele Dugend Geschichten gekannt von Gräfinnen und Baroninnen und Lieutenantsfrauen aus Judas   Stamm, wie die alle schön gewesen wären und so reich und dann so namenlos unglücklich. Sie hatten altflug er­örtert, daß reiche Mädchen nur ihres Geldes wegen um­worben würden, daß aber sie alle einzig den nehmen wollten, der recht innig und wahr sie lieb haben würde. Danu hatten sie Kuchen gegessen und mit Lilli's Pariser Puppen gespielt.

Nun war sie Braut eines Offiziers, eines sehr armen Offiziers.

Stand da nicht in der Ecke Lilli mit der Pariser Puppe und hob warnend die Hand? Die Kerzen flackerten leise, schrill schrie sie auf.

Abraham   sprang hinzu, und sie umklammerte ihn und fing an, zagend zu sprechen, flehend, als hinge ihr Heil davon ab, daß nur der Junge überzeugt werde.

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Nun war der Justizrath wieder allein. Er schraubte die Lampe tiefer, nahm eine Zigarre und träumte. Von einer fernen fümmerlichen Jugend von seiner Studienzeit mit Mangel und Entbehrungen, von seinem schönen Weibe, die lange heimgegangen war; dann von Zechkumpanen, mit denen er tolle Nächte verlebt hatte, wenn ihm das Haus hier allzu einsam wurde. Die beiden Kinder waren herangewachsen, aber am Tage das Amt mit erdrückender Arbeit und nachts das Aufathmen im Freundeskreise, da hatte er von den Kindern nie viel gehabt. Und nun wollte Eva fort, für immer. Es stieg ihm bitter in die Kehle, wie Reue über ein verlorenes Glück. Er hätte so ganz anders für die Kinder sorgen, die großen Summen sparen und den beiden ein liebevoller Vater, ein Freund sein können. Ein ängstliches Gefühl stieg in ihm auf: Vielleicht täuschte sich der Lieutenant hinsichtlich seines Vermögens und der Mitgift, die Eva erhalten würde. Allzus groß fonnte die einstweilen nicht sein, aber der Auwalt würde jeden Pfennig jetzt sparen und das junge Paar reich bedenken. Jedenfalls aber mußte Klaus Hänisch reiner Wein eingeschenkt werden, heute noch.

Er neigte sich vor und schraubte die Lampe wieder höher. Er wollte noch arbeiten, teine Stunde durfte fortan verschenkt werden. Es tam über ihn wie Jugendkraft, er war ja noch ein gesunder Mann in guten Jahren. Die alten Be­ziehungen zu Bechtumpanen und allerlei Volk sollten aufhören und abends nach gethaner Arbeit würde er die Pferdebahn nehmen und hinausfahren zu seiner jungen glücklichen Offiziers­frau. Offiziersfrau! Wenn das die beiden wüßten, die seit dreißig Jahren in polnischer Erde den letzten Schlaf träumten, oder sein Weib, das er so oft vergessen hatte! Er nahm ihr Bild vom Schreibtische, ein unschönes Ronterfei aus der armen Zeit. Aber er stellte es rasch fort. So hatte sie gewiß nicht ausgesehen.

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Er hatte lauge geträumt. Draußen ging die Klingel, und Eva tam hereingestürzt: Sie sind da!

Es war große Aufregung, die beiden Dienstmädchen eilten an die Thür in äußerster Neugier und Dienstfertigteit, der Justizrath stürzte vor den großen Spiegel, und Eva lag bereits in des Bräutigams Armen.

Aber auch die großartigsten und fatalsten Begrüßungen und Vorstellungen gehen vorüber. Menschen sind schließlich nur Menschen, und Geheimräthinnen immerhin nur Geheim­räthinnen.

Selten freilich war eine Szene feierlicher. Von dem gelben Atlas der Geheimräthin, deffen Stammbaum auf eine Urzeit zurückging, strahlte eine imponirende Würde, und kein Bot schafter betritt fremdes Land mit größerer Gemeffeuheit. Aber Denn wir sind nicht reich, Abraham. Papa hat es oft merkwürdigerweise änderte sich diese anfängliche Steifheit der gesagt, hundertmal. Klaus nimmt mich, weil er mich lieb hat, Dame sehr bald in wohlthuender Weise. Das Zimmer war Abraham, deshalb, einzig weil er mich lieb hat." vortrefflich geheizt, fünf Lampen und zwanzig Kerzen deuteten auf eine ungemessene Verschwendung, der Justizrath hatte das Aussehen und die Maniren eines Gentleman, und das eisigste Geficht mußte freundlich werden, wenn Eva Simon's Lippen zuckend sich zu ihm neigten. Es war ein großer Moment. Der Lieutenant stand etwas verlegen, der Justizrath in peinlicher Er. regung, die beiden Töchterchen neben Abraham   im Hintergrunde. Nun nahm die Geheimräthin Eva's Hand und führte das Mädchen zu ihrem Sohne:" Werde mit ihr glücklich, Klaus, das soll Deiner Mutter Herzenswunsch sein."

Der Junge zog sie au sich und führte sie zum Stuhle. Er wischte ihr den talten Schweiß von der Stirn und sagte so zärtliche Worte, wie sie nur ein vielgequältes Herz findet. Im Zimmer war es fast dunkel geworden, draußen schneite es und schlug gegen die Fenster. Als sie stiller wurde, ging er hinaus.

So endete Eva's glückliche Stunde. Sie saß noch lange und füßte das kleine Bild. Ihr Herz wurde wieder muthig und start.

" Ich will Dich lieb haben, Klaus, in Noth und Tod, und Du mich auch, ganz gewiß."

Das wiederholte sie viele Male: ganz gewiß ganz gewiß." Und ihr junger kräftiger Muth tam neu herauf, und das Leben lag golden vor ihr.

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Der Justizrath hatte mit der Tante eine lange Unter redung. Er war nicht in der Stimmung, sich über Herrn Kreiser's Niederträchtigkeiten oder gar über dessen eventuellen Anarchismus aufzuregen, im Gegentheil er lächelte. Aber das regte wiederum die Tante auf, und da sie das Prozessiren liebte und zu des Justizraths besten Kunden gehörte, mußte er wohl oder übel ihre unendlichen Darlegungen anhören.

Er versprach nach diesem Kreiser Erkundigungen einziehen und darüber nachsinnen zu wollen, wie man ihn aus der Tante Hause bringen tönnte.

Dann gab es allgemeines Händeschütteln, die Geheimräthin in der Mitte stehend wie eine Kaiserin. Erst als Abraham sich ihr schüchtern näherte, ging über ihr Antlig ein neuer Schatten. Dieser junge Mensch war ihr höchst unsympathisch, Aber Abraham   nahm das nicht übel, er kannte das ja nicht anders. Er war aller Welt unsympathisch mit der vers fümmerten Figur und dem hohlen Gesicht, ganz gewiß auch dem neuen Schwager, ganz gewiß auch dessen Schwestern.

Bei dem trefflichen kleinen Verlobungssouper wurde die Geheimräthin geradezu heiter. Es gab da Dinge, von denen man sonst nur in Hofberichten liest, alles in einem Uebermaß, das sich die würdige alte Dame viertelstündlich die Frage vors legen mußte, wohin diese Kostbarkeiten von Fisch, Basteten, Gelees, Eis wandern würden. Der Justizrath hatte übertrieben. Es war ein Abendessen für Fürsten   und paßte zu dem gelben