Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 5.
5]
Freitag, den 7. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Alltagsleuke.
1898.
Eines Tages gingen Vater und Tochter zum Gericht, wo gegen Herrn Kreiser wegen seiner Redensarten aus der Bockbrauerei verhandelt werden sollte. Nenuchen setzte sich in den Zuschauerraum und hatte leider nur das Gefühl eines maßlosen Appetits, Herr Kreiser tam auf die Anklagebank. Die Sache wurde äußerst schnell erledigt, ein nothwendiges Exempel statuirt, und Herr Kreiser von zwei Männern in Uniform abgeführt. Aennchen hatte das alles nicht recht verstanden, blieb auf ihrem Plate sizen und wartete einige Stunden auf des Vaters Wiederkommen. Schließlich, es war Nachmittag geworden, konnte sie den Hunger nicht mehr aushalten. Sie ging hinaus, wartete scheu noch einige Zeit und fragte endlich einen Beamten, wo der Vater sei.
Roman von Wilhelm Meyer- Förster . Der Justizrath kam früh heim, er wollte doch den Abend mit seinen Kindern" verleben. Klaus fand er nicht. Es lag ein Schatten über allen, teiner wollte gestehen, was ihm als fürchterliche Ahnung aufzudämmern begann. Die Mädchen in der Küche hockten zusammen und warteten in großer Aufregung, ob nicht doch endlich die Klingel gehen würde. Sie hatten Eva gern, die immer freundlich war und ihnen viel schenkte, aber sie fühlten trotzdem mit einem leisen behaglichen Schaudern, daß sich etwas Großes vorbereitete, etwas Entsegliches. Wie man beim Feuer steht und schaut, wenn die Flammen von Balken zu Balken lecken, helfen möchte und doch neugierig aufpaßt, ob nicht das Feuer das Haus nebenan erfaffen wird, so geht es vielen Leuten auch mit menschlichem Leid. Sie sind gewiß ein wenig betrübt, daß der nette Kaufmann an der Ecke bankrott machte und zusehen muß, wie sein Gut versteigert wird, fie hätten der altern- Kreiser befann er sich indeß sofort. den Kousine ganz gern einen Mann gegönnt und sind erschreckt durch die Mordthat in der Köpenicker Straße . Aber, lieber Gott, wie uninteressant wäre das Leben, wenn alles glatt und ruhig ginge!
-
Welcher Vater?" entgegnete der Beamte mit der heiseren Stimme eines Wolfes, was sind das für zeitraubende und wahnsinnige Fragen!"
Er ging sofort weiter, da er über die Albernheit empört war, aber das Mädchen lief neben ihm her und stellte ihre Frage noch einmal mit den nothwendigen Personalangaben. Der Beamte hatte nur ein mäßiges Gedächtniß, auf Herrn
" Zwei Jahre," sagte er mit einer kräftigen Befriedigung, zwei Jahre, mein liebes Kind. Das flutscht! Freiwohnung und vortreffliche Nahrung. Die Zeit der Duldsamkeit ist vorüber. Jawohl, zwei Jahre."
Er ging. Noch einmal lief das arme Ding neben ihm Zum Nachteffen kam des Lieutenants Bursche: der Herr sei frank und müffe das Haus hüten. Er brachte auch einen her und fragte angstvoll, ob sie den Vater nicht wenigstens Brief für Eva, der wahrhaftig nicht ein Muster von Zärtlich- sprechen könne, aber dieser Fall betraf nicht das Ressort des feit war, der aber so von Küssen und dankbaren und mit- Beamten. Und als sie seine foftbare Beit noch länger in Anleidigen Thränen überhäuft wurde, daß er bald ansing, un- spruch nehmen wollte, wurde er grob und jagte sie mit einem leserlich zu werden. Die ganze entsetzliche Angst war thöricht unfeinen Schimpfworte von sich. Es war ein ungemüthlicher Tag, Schneewetter mit Regen. gewesen, und es blieb, nur das eine troftlose Faktum, daß der arme unglückliche Klaus krank sei! Nie wurde ein Liebes- Hat man keinen Regenschirm, so ist das fatal, aber unbote vom Stande des Burschen vortrefflicher belohnt. Eva angenehmer als derlei Aeußerlichkeiten wirkt ein quälender schenkte ihm einen Thaler, der Justizrath stopfte ihm die Hunger. Vor dem Gerichtsgebäude wurden bereits die Lichter Taschen mit Zigarren voll, und die beiden Mägde erhielten angesteckt, und Anna ging hinaus auf die Straße. Viel nachAuftrag, ihm ein Abendessen erster Klasse herzurichten. Und denken konnte sie wirklich nicht, denn sie war sehr müde und derweil der junge Mann es sich zwischen Lisette und Rike wohl ganz von dem Hungergefühl beherrscht. Sie wußte nur, daß sein ließ, schrieb Eva in fliegender Haft ihrem Bräutigam den sie nun heimathlos war, ohne Brot und ohne jemand, der sich liebsten, besten Brief. Es wurde ein Rorb mit auserlesenen noch um fie fümmerte. Es war nicht Schmerz oder Trauer Krantenweinen hergerichtet, und alle Blumen in Evas Zimmer oder leidenschaftliche Verzweiflung, die sie beherrschten, sondern wurden zerrupft und zerrissen, um als Liebesschmuck in dem nur eine vollkommene Rathlosigkeit. Nun war wirklich alles aus, und sie würde einfach verhungern. Auch gab es eigent dunklen Korbe vergraben zu werden. Ein Soldat war im Simon'schen Hause etwas sehr Un- lich niemand, den sie recht lieb hatte. Der Vater, an dem sie gewöhnliches, und so kam es, daß Vater, Kinder und Dienst- ein wenig hing, war fort, für zwei Jahre, das heißt für eine den Bruder kannte sie kaum, den dünnen mädchen ihn bis an die Treppe geleiteten. Man rief ihm Man rief ihm Ewigkeit, hunderterlei nach und fand, daß er der bescheidenste Mensch Photographengehilfen hatte sie nie wieder gesehen, und wenn von der Welt sei. Vielleicht könnte man später nach beendeter der sie in dem schäbigen Kleide erblicken würde, müßte es mit Dienstzeit etwas für ihn thun, ihm eine Stelle verschaffen oder seiner Liebe wohl bald aus sein. Sie ging von Straße zu Straße. dergleichen.
Im letzten Moment stellte es sich heraus, daß Heinrich bas beste vergeffen hatte, nämlich Evas Brief. Abraham mußte hinter ihm her laufen und holte ihn auf der Straße ein. Da machte der Bursche militärisch Front und grüßte Abraham wie einen Offizier. Und merkwürdig, das müde Herz des Jungen, das nie gelernt oder längst verlernt hatte, an den Eitelkeiten des Lebens sich zu freuen, war kurze Zeit über die Ehrenerweisung seitens des Soldaten in einer banalen Erregung.
IV.
Erst nach einiger Zeit tam ihr der Gedanke, ob es nicht das beste wäre, zu sterben. Gute Menschen mit einem Rorbe Eßwaaren und großen Thalerstücken sind nicht so häufig, wie man aus Lesebüchern und Sonntagsblättern annehmen müßte. Jedenfalls stehen sie nicht immer zur rechten Zeit bereit. Anna hätte stehlen können, aber sie hatte für jedes gestohlene Stück Zucker von Herrn Kreiser, der darin sehr streng war, solch kräftige Klapse erhalten, daß ihr das Stehlen als das abscheulichste Verbrechen vorkam. Sie war eben jung, un erfahren und mit den Gebräuchen der Welt wenig vertraut. Vor dem Sterben hatte das arme Ding ebenfalls große Als Herr Kreiser die vier Mart verbraucht und die Angst, und so befand sie sich in einem Dilemma, das logisch egyptischen Zigaretten aufgeraucht hatte, kam die Noth trüber zu erörtern wohl interessant ist, das aber zu durchleben eine als je. Früher war er trotz aller Untugenden ein guter Vater traurige Sache sein muß. Auch vor dem Betteln hatte sie gewesen, der sich um Aennchen gesorgt und darauf geachtet eine Scheu, aber Noth bricht Eisen, und sie begann die Vorhatte, daß sie sich ordentlich kleidete und alles sauber hielt. übergehenden, die des scheußlichen Wetters wegen mehr liefen Das hatte nun aufgehört, er ging viel spazieren und kümmerte als gingen, in lästiger Weise aufzuhalten. Die meisten ließen sich um das Mädchen wenig. Hin und wieder bekam er von sich dadurch nicht stören, nur ein junger Mann war mitleidig alten Freunden Geld geborgt, das er redlich nach Hause genug, seinen Trab zu unterbrechen. Das arme Aennchen hatte brachte, aber im übrigen führte die Noth mit ihrer grausamen somit die beste Chance, ein Fünfpfennigstück zu erwischen, als Langeweile Vater und Tochter eher auseinander als zusammen. das Verhängniß in Gestalt einer alten beleibten Dame da Bisweilen abends hielt Herr Kreiser eine seiner alten zwischen trat. Der Anblick eines jungen Mädchens, das sich moralischen Reden, in denen er zeitlebens groß gewesen war, erfrechte, junge Herren anzubetteln oder am Ende gar zu aber Aennchen hörte darauf nur mit halbem Dhr. Daß diese schlimmeren Dingen zu veranlassen, brachte diese Dame in unReden für Leute, die nie mehr satt wurden, lächerlich über- beschreibliche Aufregung. flüffig waren, merkten beide nicht.
" Wie, mein Herr," sagte sie und trat energisch dazwischen,