Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 9.

9)

Donnerstag, den 13. Januar.

( Nachdruck verboten.)

Alltagsleute.

Roman von Wilhelm Meyer- Förster  .

Der Juftigrath fuhr empor, Abraham stand in der offenen Thür, das Gesicht leichenblaß. Nenuchen stieß den niedlichsten fleinen Schrei aus und sprang von ihrem Sige auf, aber bliz­schnell hatte der Anwalt sich gefaßt, griff nach ihrer Hand und zog sie an sich. Der Junge hatte die verfängliche Situation gesehen, da konnte ein Versteckenspiel die Sache nur schlimmern.

Tritt näher, Abraham," sagte er, schließ die Thür. Dieses Mädchen ist mir lieb und theuer, Abraham, und ich bitte Dich, ihr fortan nicht mehr als einer Fremden zu be­gegnen."

Mennchen verbarg ihren Kopf mit unnachahmlicher Grazie ant des Justizrathes Bruft; ihr war, als ob tausend kleine Engel ringsherum musizirten.

Abraham   antwortete nicht.

Der Justizrath tam jedoch nicht aus der Fassung, obwohl er jeden Augenblick mehr fühlte, daß diese Situation eine heil­lose, schauderhafte war. Viele Leute haben dann eine wunder­bare Gabe, immer noch leidlich vernünftig zu reden und so zum wenigsten den Schein zu erwecken, als ob die momentane Lage fie mehr ehre, als schädige.

Du weißt, mein lieber Abraham," fuhr also der Anwalt fort. daß eine eigenthümliche Fügung mich, ich will nicht fagen zum Lebensretter, aber doch zum Schüber dieses Mädchens gemacht hat, und ich gebe Dir mein Wort, daß ich zeitlebens meine Hand von ihr nicht abziehen werde."

Abraham   stand immer noch regungslos, und dieses heim tückische Benehmen brachte seinen Vater allmälig in Zorn. Indeffen beherrschte er sich noch einmal und wandte jetzt seine Rede zu Aennchen.

"

Du warst heimathlos und ausgestoßen, sei versichert, mein armes Aennchen, daß in meinem Haufe Dir immer ein Blaß gehört. Und mehr als das: eine Stelle in meinem Herzen." Abraham   rührte sich nicht. Nur seine Augen wareu auf den Vater gerichtet, und in dem fahlen Gesicht standen fie un heimlich, unbeweglich, beinahe ohne Ausdruck.

Da kochte es denn doch in dem Anwalt über. Zum Teufel, war er Herr im Hause oder wer sonst?! Wollte dieser Junge ihm Vorschriften machen oder was?! Er ließ das Mädchen los und war mit zwei, drei Schritten vor seinem Sohn.

Was willst Du? Was soll das?!"

Die ganze Wuth einer verfehlten Komödie, einer kindischen Demüthigung lag in den zwei Worten.

Abraham   fuhr auf wie einer, der mit offenen Augen schlafen hat und wach wird.

Es ist nur," sagte er tonlos, ich fam nur- möchtest zu Eva kommen!"

Zu Eva? Wohin? Jch? Weshalb?"

ge­

Du

Er wollte noch etwas hinzufügen, aber aus den Angen des Jungen dämmerte ihm plöglich eine Ahnung auf, daß da etwas geschehen sei.

Also tomm."

Sie gingen hinaus, Vater und Sohn, hastig, wortlos. Und während drüben in dem kleinen Boudoir Abraham ftarr zu Eva's Häupten stand und der Justizrath aufschreiend an der Leiche zusammenbrach, blieb Anna in des Anwalts Zimmer, trommelte leise auf die Fensterscheiben und wartete auf sein Wiederkommen. Nie würde sie mehr hinaus zu gehen branchen in Kälte und Elend, und das warme Neft hier gehörte von jegt an auch ihr.

VIII.

Gott   im Himmel, das kommt jeden Tag hundertmal vor, und wenn sich da jede gleich todtschießen wollte, das wäre ja schrecklich. Ueberhaupt todtschießen! Schon dieser Ge­Danke! Das ist eben dieses überspannte Zeitalter und das Romanlejen."

Die Sache machte großes Aufsehen, natürlich. Zwei Tage sprach alle Welt darüber, acht Tage lang die Verwandten und Bekannten, dann starben andere Lente, und die hübsche Eva war vergessen.

1898.

Viele urtheilten sehr streng über sie, denn wer in solcher Weise stirbt, ist mancher harten Kritik ausgesetzt. Wollte sie Rache nehmen an dem Liebhaber, so war das eine höchst un­würdige Rache und der arme Mensch von Lieutenant von Herzen zu bedauern. Andere fanden, diese Art des Todes fei nichts als ein Knalleffekt, ein tomödiantenhafter Abgang, die moderne Sucht, noch im Tode zu glänzen. würdige Mädchen und Frauen steckten die Köpfe zusammen und tuschelten noch geheimnißvollere Dinge: Aha, wahrscheinlich deshalb."

Liebens

-

Sie lag ganz in Weiß, das Geficht still, schlafend Iver sie gesehen hätte, würde gewiß nichts Böses gesagt haben. Nicht alle Freundinnen famen, denn Todte zu sehen, ist keine Freude. Aber manche fanden sich doch ein, die eine und andere vielleicht aus Neugier. Sie brachten Blumen und weinten. Ob sie fühlten oder auch nur ahnten, daß Judas Sinnbild vor ihnen lag? Das zertretene Juda, das, auf den Gassen verhöhnt, nur mit dem Golde die Lichthöhen der Menschen erklimmen darf? Ach nein. Ach nein. Denn alle die da famen, gehörten zu den Glücklichen, denen kein Klaus einen Abschiedsbrief senden wird. Und wer einmal oben steht, ver­gißt bald die anderen.

Das Satirspiel darf hinter dem Trauerspiel nicht fehlen, und die lustige Menschheit hat an beiden die Fülle. Dazu ge hören die schwarzen trauernden Herren, die den Sarg tragen und nach Schnaps duften, dazu das Trauermagazin, wo für Aennchen und die Dienstboten Kleider bestellt wurden; dazu gewiß auch jene Leidtragenden, die bei dieser Affäre noch die Börse versäumen werden. Bleibt daheim, sendet feine Kränze und feine Trauerkleider, laßt jeden klagen nnd weinen für fich und laßt ihn seine Todten allein begraben!

Mögen im Leben die Drehorgeln mufiziren und die Affen dazu hüpfen, nur vor dem dunkelu Schauer des Todes müßte das Grinsen aufhören. Oft fragt man sich erstaunt, wie Herr Küster X. und der Direktor des großen Leichen­transportinstituts den Muth finden, einem verzweifelten Gatten oder Bater auch nur unter die Augen zu treten; und wenn der Direktor seinen Breistatalog hervorzieht und feine Särge anpreift, feine Kutschen und schwarzen Stoffe, so meint man, ganz plöglich müsse eine unsichtbare Riesenhand ihn kräftig durchprügeln. Und hinter diesen Großen folgt die Schaar der kleinen Geier, die mit Geschwindigkeit eine Leiche writtern, ihre Dienste anbieten und mit allerlei Kniffen die Trauernden betrügen. Wer in Leid fast vergehen möchte, muß in der linken Hand das Taschentuch und in der rechten das Portemonnaie halten. Auch achte er darauf, daß er nicht versehentlich irgend jemand zehn Pfennig statt fünfzig giebt, denn dieser irgend jemand würde grob werden und den Frieden des Trauerhauses stören.

Danu dieser feierliche Pomp. Die ganze Straße hat an dem Schauspiel ihr Vergnügen. Da giebt es einen schwarzen Wagen, der, mag man ihn betrachten wie man will, ein Un­ding von Häßlichkeit ist. Davor vier Pferde, die im Winter wie im Sommer Decken tragen und alberne Straußenfedern auf dem Kopfe nicken lassen. Weshalb vier Herren diese zahmen und gutmüthigen Thiere an den weißen Taschentüchern führen, wird nie jemand errathen. War der Todte ein Mann von Bedeutung, so folgt ein Herr, der ein Sammetfiffen mit Orden trägt, und in den etwas trüben Satirspiel ist dieser Mann trot feines fcheinbaren Ernftes die luftige Figur. tragenden geht der Pfarrer, und wenn der ein guter Mann ist, so taun er die hohle Erbärmlichkeit dieses Pruutzuges durch seine ernsten Worte in den Herzen der Betrübten wett machen. Von den anderen, die wie eine schwarze Schlange hinterdrein ziehen, thut man wohl, zu schweigen.

Mit all diesem Gepränge fuhr man auch Eva Simon durch die Straßen Berlins  . Hinter dem ftolzen aber etwas wackligen Leichenwagen folgten fünfzig Kutschen, von denen einige merkwürgerweise leer waren. Diese fetzteren deuteten an, daß Herr Kommerzienrath Schneider, der Hofbankier v. Hirsch und Comp. und andere mehr den großen Anwalt ehren wollten. In der langfam fahrenden Kalefche selbst zu figen hatten diese Herrschaften teine Zeit, aber die freundliche Aufmerksamkeit des Equipagesenders wurde allgemein sympathisch begrüßt, und die leeren Wagen machten faft mehr Aufsehen als die anderen. Die fünfzig Kutscher langweilten sich auf dem