Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 13.
13]
Mittwoch, den 19. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Alltagsleute.
Roman von Wilhelm Meyer- Förster .
Sie sind hier jedenfalls fremd?" fuhr die Geheimräthin fort, die ihn als Engländer oder Franzosen taxirte. Der Berliner zoologische Garten ist übrigens berühmt und macht mir persönlich immer viel Spaß."
Wohl namentlich die Affen?" entgegnete der Gentleman, der mit dieser Frage einen Moment lang die Geheimräthin total aus der Fassung brachte. Entweder lag darin eine boden lose Impertinenz, eine lächerliche Dummheit oder eine wirklich harmlose Naivetät. Im Interesse der guten Sache entschied fie fich natürlich für die letztere Annahme.
" Ich will nicht gerade sagen, die Affen ausschließlich," entgegnete sie, aber natürlich die auch. Sie sind possirlich, das ist an diesen Thieren das Nette. Man fann lange davor stehen."
1898.
Der Fremde hatte mittlerweile große Eile gehabt, um rechtzeitig im Café Royal einzutreffen. Die kleinen Kellnerjungen verneigten sich, wischten sich mit großem Eifer über die noch leeren Marmortische denn vor zehn Uhr wird es im Royal nicht lebendig und betrachteten mit Neid und Ehrfurcht des Gestrengen wundervollen Paletot. Er nichte der Mamsell am Büffet zu, verschwand in einer Tapetenthür und erschien zehn Minuten später in tadellosem Frack.
Herr Kreiser junior, deffen Bekanntschaft wir bereits in dem Atelier seines Vaters gemacht haben, musterte jetzt wie ein Feldherr das Terrain. Er kniff Frißchen freundschaftlich in die Ohren, weil der„ Gil Blas" sich uneingespannt umhertrieb, zählte sämmtliche Kuchen und Brote, notirte den Inhalt der Kognakflasche und ärgerte Martha am Büffet, die ihn verzehrend liebte, durch seine Theilnahmlosigkeit.
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Bei alledem summte ihm fortwährend die Affentheorie durch den Kopf oder vielmehr die Art, wie dieses Fräulein Klara das erzählt hatte, mit einer so feinen Manier, ges wählt und fabelhaft vornehm. Dazu diese Eleganz, die„ Schani" Hier begann Hedwig in die Attacke einzugreifen und von zu beurtheilen verstand. Keine schreienden Farben wie bei Darwin , Vogt und der Affentheorie das Landläufige zum dem Stammpublifum des Royal, sondern alles einfach, gebesten zu geben. Die Geheimräthin war entzückt und der diegen, von der Pelzverbrämung der Mäntel bis zum HandFrembe erstaunt. Er schien mit dieser Theorie absolut un- schuh . Daß die Geheimväthin zwischen die Darwin 'schen Theorien bekannt, und als dann auf Hedwigs Aufforderung die gelehrte ihre eigene Abstammung von Joachim v. Böck eingestreut Klara ausführlicher die Sache darlegte, zeigte der Frenide hatte, sowie ihres verstorbenen Gatten Raug und Orden, bes dafür großes Interesse. Das Gespräch wurde förmlich wissen darf faum der Erwähnung. schaftlich, und die Geheimräthin war in innerster Seele Herrn Darwin und den Affen dankbar.
Die vier gefielen einander überhaupt ausgezeichnet. Die Damen machten den gediegensten Eindruck der Welt, und der fremde Herr war ein Muster von Eleganz. Er kaufte drei Veilchensträuße, die mit einiger Ueberraschung aber guter Laune entgegengenommen wurden, und während er selbst fast garnicht sprach, war er der aufmerksamste Zuhörer. Was nicht eben schicklich erschien, war sein fester Vorsatz, nach Schluß des Konzerts für die Damen den Kaffee zu bezahlen; aller Wider stand der Geheimräthin scheiterte jedoch an der unbeugsamen Energie des Fremden. Er zog den Kellner gewaltsam zu sich, gab ihm ein brillantes Trinkgeld und schien die Verlegenheit der Damen und überhaupt diesen kleinen Zwischenfall als guten With anzusehen. Schließlich tröstete sich die Geheimräthin über diese, gelinde gesagt, merkwürdige Zuvorkommenheit des Unbekannten mit deffen originellem fremdartigen Wesen, und da ihr die ersparte Mark nicht unlieb war und sie über die neue Bekanntschaft in Seligkeit schwamm, so ging sie rasch darüber weg. Der Herr begleitete die drei am Kanalufer entlang bis zu deren Wohnung.
Das war es, was Schaui brauchte, was zeitlebeus sein Jdeal gewesen war: Verkehr mit wirklich vornehmen Leuten und wenn möglich-ihm schwindelte bei diesem Gedanken- eine Heirath. Dann ließen sich auch alle seine andern Pläne verwirklichen: zunächst die Leitung eines größeren Hotels, weiter die Pacht eines solchen, kolossale Gewinnsummen, enfin das beschauliche Dasein eines reichgewordenen Mannes und durch seine Frau Eingang in die Welt da oben.
Am andern Tage stand er früh auf und arbeitete mit Rieseneifer an seinem französischen Selbstunterricht. Zwischen durch machte er zum ersten Mal im Leben ein Gedicht, das garnicht übel ausfiel. Er war davon so entzückt, daß er es oft las, und mit dieser poetischen Leistung in der Tasche schien ihm die Flitterwelt abends im Café von einer schauderhaften Gemeinheit, wie ja überhaupt das Dichten die Menschen bessert und sie zu der Ueberzeugung bringt, daß sie ihren Werth bisher unterschätzt haben.
Höchst peinlich war der Umstand, daß Herr Kreiser senior Plögensee hinter Mauer und Riegel saß und daß das tleine Aennchen verschwunden war.
in
Ein solcher Familienanhang tann die bestbegabten und tüchtigsten Menschen in ihrer Karriere hindern, und selbst die größte Strupellosigkeit kommt über dergleichen Anhängsel nicht ganz hinweg.
An der Thür verabschiedete sich der Unbekannte. Er hoffte, die Damen am nächsten Sonntag wiedersehen zu dürfen, was allseitig Zustimmung fand. Vorgestellt hatte er sich nicht, vielleicht aus Vergeßlichkeit oder in der angenehmen Ber Er mußte in diesen Tagen oft an den fast sagenhaften streuung der Unterhaltung oder auch, weil in seinem fremden Onkel in Cincinnati oder St. Louis oder Milwaukee denken, Lande das nicht üblich sein mochte. Jedenfalls schwamm die von dem ihm der Alte erst kürzlich wieder erzählt hatte. Geheimräthin in Entzücken, kaufte Pfefferkuchen und ließ den Allerdings ließ dieser Ontel seit unzähligen Jahren nichts hübschen Abend bei Thee und Butterbrot ohne den geringsten mehr von sich hören und war nach Ansicht seines Bruders, Streit vorübergehen. Natürlich war von ihm die Rede. des Exphotographen, der knickerigste und selbstsüchtigste Mensch Klara hielt ihn für einen Deutschen , Hedwig für der Erde. Immerhin tonnte ein eleganter englischer Brief einen Desterreicher, die Geheimräthin erklärte beide Ansichten, namentlich die erstere, für lächerlich. Sie entschied sich schließlich für Schweden , und der Fremde wurde in der nächst folgenden Woche als Angehöriger dieses Landes bezeichnet.
nichts schaden, und mit Zuhilfenahme des Lerifons brachte Schani eine Epistel zusammen, die dreimal abgeschrieben und nach obengenannten drei Städten adressirt wurde. Eine Ant wort traf aber nie ein.
Klara lag auch heute lange wach. Die Schwester, die Unter seinen Kollegen war Schani wenig beliebt. Er vers übrigens an dem„ Schweden " tein allzu großes Jutereffe ge- tehrte mit ihnen selten, ließ sich mit etwas gezierter Absicht funden hatte, schlief schon lange, die Geheimräthin schnarchte, lichteit nie auf die beliebten Klatsch- und Standalunters und wieder gliterten die Sterne durch das halbverhangene haltungen ein, arbeitete in Mußestunden an seiner Bildung Fenster. Der Fremde hatte etwas Geckenhaftes, Geziertes an und las zu gleichem Zwecke die Gedichte der Klassiker. So fich, ja, er war gewiß nicht besonders flug und gebildet wurde zum Beispiel Herr Kreiser junior durch diese Lektüre aber in seinem Wesen lag etwas Freundliches, ihr Sympa- auf lächerliche Pfade gebracht, hielt sich für besser, thisches, und er hatte sie einige Male mit Blicken angesehen, poetischer und verständiger, als das leider der Fall wie faum je ein Mann. Sie bemühte sich, seine Züge im war, und träumte beständig von einer vornehmen Heirath Gedächtniß wiederzufinden, ohne daß es ihr gelang. Nur an mit einem Wesen aus jenen Kreisen, wo die Haut der Mädchen seine hübsche, stattliche Figur konnte sie sich erinnern und an glatt und die Hände weiß bleiben. diese Blicke. Und heute und morgen und an den andern Tagen der Woche malte sich das Mädchen im einsamen Sinnen eine Jdealfigur zurecht, vor der sie niederkniete und der sie die ganze Straft eines letzten Hoffens entgegenbrachte.
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oder
Brachtvoll gerüstet begab sich Freund Schani nennen wir ihn lieber bei seinem Taufnamen Richard- am nächsten Sonntag Nachmittag zum Zoologischen Garten. Er hatte in dem Konversationslexikon feines Prinzipals über