Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 14.
14]
Donnerstag, den 20. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Alltagsleute.
Roman von Wilhelm Meyer- Förster. ons Jm Ronzert saß er dicht neben Klara, und die feine Strategie der Geheimräthin richtete es so ein, daß sie mit Hedwig viele Fragen zu verhandeln hatte, die lediglich diese betrafen. So wurde ihr rechter Flügel„ Klara" frei, und das tünftige Liebespaar durfte sich ungestört unterhalten. Es war zwischen den beiden von allem möglichen die Rede, von Musil , von Darwin , von dem General, von ihnen selbst. Eine merkwürdige Beklemmung kam dabei allmälig über Klara. Sie fühlte immer deutlicher, daß der hübsche und feine Fremde sich ihr nähern wollte, aber was und wie er sprach, war mindestens so bizarr, daß ihr oft bei seinen ungeschickten Antworten die heiße Röthe aufflammte. Sie zitterte für ihn und fah angftvoll, wie ihr Traumbild in Stücke ging.
Aber da hatte er plöglich an der Ecke unter dem Tische ihre Hand gefaßt und gab dieselbe nicht mehr frei. Sie wollte die Hand zurückziehen, aber sie fand nicht die Kraft dazu. Und nun strömte es wie ein Fluidum auf sie ein, daß der Saal und die Menschen und die Reden ineinander verschwammen und daß sie immer nur fühlte, wie seine Hand die ihrige hielt und leise preßte.
1898.
Die Geheimräthin begann also mit dem bescheidenen Wunsch, den Namen eines so liebenswürdigen Mannes fennen
Richard zu lernen, und nachdem dieſer Wunsch erfüllt warKreiser", das klang ja ganz hübsch bekundete sie eine leb hafte Neugier, auch über den Beruf seines Trägers etwas Näheres zu erfahren.
Die Antwort tam etwas verlegen, etwas stotternd. Augenblicklich, oder vielmehr seit einigen Tagen eigentlich habe ich jetzt gar keinen Beruf."
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Das war die erste Unwahrheit, und mit gerunzelter Stirn und wesentlich strenger fragte die Geheimräthin weiter: Und sonst?" Sonst jawohl, Kaufmann."
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Kaufmann
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Das war die zweite unwahrheit, und sie mußte der besorgten Mutter um so unerfreulicher sein, als der Begriff Kaufmann" eine Dehnbarkeit in sich schließt, die eine be rechtigte Neugierde verstimmen muß.
„ Kaufmannah! Baufier?"
Bor den grauen, forschenden Augen der Geheimräthin begann sich jetzt in Richard's Kopf, alles zu drehen; er sah die Partie schon halb für verloren an und fügte mit einem:" Jawohl, Bankier" die dritte und verhängnißvollste Lüge hinzu. Zunächst erwies sich das allerdings zu seinem Vortheil. Sie hörte auf, kritisch zu unterscheiden, was und wie er Wahrhaftig, die Frau Geheimräthin hatte das geahnt: sprach, sie hörte ihn irgend etwas Gleichgiltiges sagen und Bankier! Ein ausgezeichneter Beruf, bei dem man die erzählen, und ein feliges Glück 30g in ihr armes Herz. Hundertmarkscheine und Goldreihen auf den Kassentisch wirft, als Ein schöner jugendlicher Mann, der sich zu ihr neigte, nur ob es Papierlappen und Kieselsteine seien! Ein hervorragender zu ihr, und dessen ehrlicher Blick ihr deutlich sagte, was er für Beruf, dem die reichsten Gentlemen der Erde angehören, Leute sie fühlte. wie Rothschild , Bleichröder 2c. Ja, sie hätte darauf gewettet, daß Herr Kreiser Bankier sei.
Daß der mütterliche Feldherr troh der scheinbar eifrigen Gespräche mit Hedwig den Fortgang des Gefechts genau überschaute, bedarf kaum der Erwähnung. Die Geheimräthin war verblüfft, einen so schnellen Sieg hatte sie nicht erwartet. Aber die Leichtigkeit des Erfolges gab ihr endlich die klare Besinnung zurück, und es galt jetzt nicht mehr die Frage, ob man überhaupt einen Sieg davongetragen habe, sondern
über wen.
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" Ist der Herr Papa auch Bankier?" " Nein, Künstler," eine Antwort, die in Hinsicht auf das frühere photographische Atelier des Herrn Kreiser senior leidlich der Wahrheit entsprach.
„ Künstler!" Die Geheimräthin verdrehte beide Augen und der armen Klara begann eine wunderbare Perspektive von Malerateliers, Bankierjälen 2c. aufzutauchen. Die Sache Sie kam mithin aus der Reserve hervor und unterbrach machte solchen Effekt, daß die gute Hedwig auf der Schwester die Schlacht durch einige zunächst gleichgiltige Bemerkungen. Glück ein wenig eifersüchtig zu werden begann. Klara's Hand wurde frei, und der wunderbare märchenhafte So reihte sich unter dem Inquifitorium der künftigen Rausch dieser ersten Liebesstunde war zu Ende. Noch war ja Schwiegermutter an das Lügengewebe des momentan wirk tein Wort von irgend welcher Bedeutung gefallen, und nur lich bedauernswerthen Schani Masche um Masche. Er bekam leere inhaltslose Reden ohne rechten Sinn und Zusammenhang eine förmliche Leichtigkeit in der Erfindung, fannte persönlich waren gewechselt. Aber ihre Hand hatte fest in der seinigen alle großen Jantiers und Künstler was ja zum theil richtig geruht und ein Traum war über ihr Herz gegangen, wie ihn war, da das Café Royal vielerlei Leute als Gäste steht- glücklicher feine Frühlingsliebe im blühenden Garten zur und war alles in allem die beste Partie, die ein alterndes Maienzeit träumt. Mädchen ich wünschen konnte. Nur als die Frage auf seine Finanzen fam, war er leidlich ehrlich, denn er sagte sich mit Recht, daß keiner Lüge spätere Entdeckung so fürchterliche Folgen haben würde als die der Vorspiegelung falscher Reich thümer.
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Sie erwachte auch jetzt noch nicht zur vollen Wirklichkeit. Ihre Blicke hingen an ihm wie gebannt, und wenn er aus dem Gespräch mit der Geheimräthin heraus sie bisweilen rasch ansah, so brauchte er ihre Augen nicht erst zu suchen. Für den guten Schani, recte Richard, begann jetzt eine Er war nicht reich, nein, aber er hoffte es noch einmal schlimme Stunde, die ihn, wie leider viele Leute in ähnlicher zu werden, ganz gewiß. Er wurde förmlich begeistert, Lage, in einen Abgrund von Lügen verstrickte. In diesem Augenblick als er den Traum seines Lebens entwickelte, von dem der hätte er das Blaue vom Himmel herunter gelogen, denn er einstige kleine Kellnerlehrling wahrhaftig schon einen guten war oder glaubte fich verliebt wie nie. Er konnte Dutzende Theil zur Wirklichkeit gemacht halte. Er sprach natürlich nicht herzählen, die sich in seine noble Schönheit verguckt und mit von den Details, aber es lag in seiner zuversichtlichen Reddenen er geliebelt hatte, aber das waren luftige Mädchen seligkeit, die jetzt nicht mehr stockte, so viel Ueberzeugendes, daß gewesen, die sich ihr Herz nicht brechen lassen und mit zwei die drei Damen hingerissen wurden. Thränen und einem ärgerlichen Wort ihre Liebe zu Grabe Mit eigener Kraft will ich das Höchste erreichen," so tragen. Hier, das fühlte er, stand er vor der ersten schloß er seine pathetische aber ehrliche Rede, und als die großen Leidenschaft, die einen Rausch von Ehrgeiz, Zukunfts- Geheimräthin, die jest fast Thränen in den Augen hatte, träumen und wirklicher Neigung in ihm wachgerufen hatte. Sie war gewiß nicht schön, die arme Klara mit ihren blaffen, etwas schlaff gewordenen Zügen, in ihrem Liebesglück jedoch schien fie eine andere geworden zu sein. Ihre Augen Leuchteten, ein rosiger Schimmer, wie einst, breitete sich über ihre Wangen, und mit der leisen klingenden Stimme und dem Reichthum ihres Kleides konnte sie ihres Sieges über den eitlen, immer aufwärts strebenden Mann sicher sein. Alles an ihr bezauberte ihn. Ihr Stand, ihre Kleidung, die schlanke Gestalt und die schmale Hand, sogar das blaffe, etwas gealterte Geficht, das ihm tausendmal anziehender erschien, In der kalten Abendluft war Richard für eine kurze Zeit tausendmal vornehmer und begehrenswerther, als die roth- das Bewußtsein dieser Lügenkomödie gekommen. Ein Sprung bäckige Gesundheit seiner früheren Bekanntschaften. in das Gebüsch zur Seite, irgend eine Ausrede, dann ein Nie
ihm mit einem das soll unser aller Hoffnung sein, mein lieber Herr Kreiser," die Hand reichte, da waren die vier in großer Rührung befangen, und rings in den Tabakswolken des Konzertsaales flirrte und flimmerte um Klara das Glück.
Man brach nun auf. Herr Kreiser bezahlte, und niemand wehrte es ihm heute. Die Geheimräthin und Hedwig gingen durch den Saal voran, er folgte mit Klara. In dieser Reihenfolge ging es auch weiter, draußen durch den Garten, dann an dem dunklen Kanalufer entlang, als ob sich das jetzt ganz von selbst so gehöre.