Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 15.
15]
Freitag, den 21. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Alltagsleuke.
Roman von Wilhelm Meyer- Förster .
So standen sie lange und sprachen nicht und füßten einander, er sie mit Lippen, die nicht immer rein geblieben waren und die in dem Liebesrausche fast bange zurückzucken wollten, sie ihn mit der keuschen Inbrunst einer ersten heiligen Liebe, einer Liebe, die lange Jahre zurückgedämmt schlummern mußte und die nun nahe vor dem Verglimmen geweckt wird und hell auflodert. Und nicht nur diese große Liebe, sondern auch namenlose Dankbarkeit des schwachen, verzweifelten Weibes, das nahe vor dem Abgrund von einem starken Arme erfaßt und hinübergetragen wird.
1898.
Geschwister habe, wo er wohne, was er jetzt beginnen werde und mehr dergleichen. Natürlich wurden auch Reden gehalten, und die gute Hedwig wurde vom Wein und ein wenig Eifersucht und eigenem Unglück so überwältigt, daß sie zu weinen begant, worauf Klara fie umhalfte und der Lieutenant a. D. Wige machte.
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Die Geheimräthin sagte den ganzen Abend nur wenig. Sie mußte statt im Sopha auf dem steiflehnigen Rohrstuhl fitzen und war von der Hetzerei bei den Kaufleuten und in der Küche, von aller Aufregung und Rührung ziemlich mits genommen. Ganz dunkel schwebte ihr eine Ahnung vor, daß die Sache nicht all right sei, aber der Wein umnebelte ihr flares Denken.
Nachher spielte Klaus auf dem wackligen Klavier den Hochzeitsmarsch, und dann war es Mitternacht geworden und Richard mußte aufbrechen. Klaus leuchtete ihm die fünf Treppen hinunter, und Klara ging, an den Bräutigam geschmiegt, mit hinab. Ein legter heißer Kuß, und nun schloß Klaus hinter ihm die Thür.
Bis dahin war alles wunderschön gewesen, doch nun hätte Klara allein sein mögen. Die Geheimräthin war indessen heute nicht ins Bett zu bekommen. So saßen die vier noch lange Zeit, und Richard wurde nach Aussehen, Manieren, Stand und Bräutigamsallüren durchgehechelt wie ein Gaul, den man getauft hat. Auf einmal war feiner so recht und ganz mit ihm zufrieden, Klara natürlich ausgenommen. Aber die leisen und halbversteckten Tadel flangen bitter in ihrer Seele nach und wuchsen da zu lanter schrillen Tönen.
Die Geheimräthin und Hedwig warteten mit großer Geduld in der Nähe des Halleschen Thors. Daß Klara und Herr Kreiser nicht aus nichtigen Gründen eine Stunde oder mehr im Hintertreffen verblieben, konnte sich jedes Kind sagen, und wenn auch die Geheimräthin als pflichtgetreue Mutter die Dauer dieser ersten Liebesstunde hätte abkürzen sollen, so war sie doch heute in allzu vorzüglicher Laune, als daß sie irgend wie störend hätte eingreifen mögen. Endlich kam langfamen Schrittes unter den Bäumen am Ufer ein Paar gewandelt, das die Geheimräthin nach mehreren vorausgegangenen Verwechslungen als das ihrige erkannte. Beide Dahertommende schienen taub und blind, und keine zehn Schritt vor der liebenden Mutter wurde Klara in zärtlicher Weise umarmt und geküßt. Die Geheimräthin trat vor und hustete Klara stieß Sie hatte das alles selbst wohl gemerkt, wie er unsicher einen leisen Schrei aus und flog Mutter und Schwester an war in seinen Aussagen und daß ihm viel von dem unbekannt den Hals, Herr Kreiser redete allerhand verwirrtes Zeug, war, was ein gebildeter Mann gelernt haben muß. Nur Hedwig schluchzte, Klara schluchzte selbst der wohlbeleibten wollte sie das nicht von andern bestätigt hören und jedenfalls Frau Geheimräthin tam etwas wie Feuchtigkeit ins Auge. nicht in der bissigen Manier ihrer Mutter. Er hatte ihr erDas geschah allerdings mehr aus Rührung über sich selbst als zählt, daß er Französisch und Englisch gelernt habe, und er Klara's wegen. hatte mit dem Eifer jemandes, der sein weniges in das beste Licht stellen will, Proben dieses Könnens gegeben. Das ents waffnete nun die Geheimräthin einigermaßen, denn speziell Englisch war ihr ein verschlossenes Buch. Alles in allem war man ja mit dem künftigen Schwiegersohn auch durchaus zufrieden. Einen Attaché oder Stabsoffizier konnte die alternde Klara denn doch wahrhaftig nicht verlangen, und: schließ lich, mein liebes Kind, bist Du es, die ihn heirathet."
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Natürlich mußte Richard mitkommen. Er sandte einen Dienstmann an seinen Prinzipal mit der Nachricht, daß er start erkrankt sei und heute Abend nicht erscheinen könne; dann schritt er neben Klara die fünf Treppen hinauf. Hedwig war vorausgelaufen und hatte Licht angesteckt, während die Geheim räthin rechtzeitig erwogen hatte, daß man mit Kuhkäse und einem Zipfel Leberwurst nicht Verlobung feiern könne, und nun zurückblieb, um Einkäufe machen zu können.
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Dann endlich war Klara allein, als Mutter und Schwester schliefen, und sie sprach ihr Nachtgebet mit so unendlichem Glück und so heißen Bitten für den Geliebten und war dann so getröstet und fummerlos und glücklich, daß nach all den herrlichen Stunden des Tages diese die schönste war.
XII
Klara und Richard mußten auf dem Sopha sihen, während Hedwig und die Geheimräthin in der Küche wirthschafteten, Teller wuschen und zerbrachen, Silber putten, keinen Spiritus für die Theemaschine fanden und in der Haft und Aufregung in eine Art Angstschweiß geriethen. Alles das war soust Klara's Sache, und der fehlende Spiritus hätte unter gewöhnLichen Umständen dem Aschenbrödel eine gerechte Strafpredigt Richard ging auch am anderen Tage nicht ins Geschäft. eingebracht. Ferner mußte Feuer angemacht werden was Er war mit Krankheit entschuldigt und durfte jetzt keinen sonst nur Klara verstand, noch dazu in den feinen Kleidern. Augenblick Zeit verlieren. Einer seiner Bekannten, der von Um das Maß des Mißgeschicks voll zu machen, erschien Verwandten Geld geerbt hatte, war Besizer des Genua - Hotels, jetzt der Lieutenant a. D., der sonst vor Mitternacht nicht und dieser hatte ihm schon vor Wochen angeboten, als Obers heimkam. Glücklicherweise wurde er in der Küche abgefangen fellner oder feiner ausgedrückt, als Komtoirchef bei ihm einund auf die große Neuigkeit vorbereitet. Man zupfte ihm die zutreten. Herr Kreiser war, wie mehrfach erwähnt, ein Mann Krawatte zurecht und gab ihm Wasser zu trinken, denn er roch von Allüren, rasch, fleißig, aufmerksam, in seinem Metier durch start nach Alkohol und hatte bis abends acht Uhr Früh aus erfahren, und außerdem in zwei Sprachen leidlich bewan schoppen gemacht. Dann wurde er abgebürstet, mußte sich die dert. Er paßte also für diese Stelle durchaus und hätte eine Hände waschen und durfte nun an der Seite der Mutter den solche wohl schon lange erhalten können, wenn er nicht den Raum der Liebe betreten. ungleich größeren Verdienst im Royal bisher vorgezogen hätte. Aber diese Stellung war von jetzt an für ihn undenkbar. Wenn man ein Café auch als Durchgangsstation im Ents wickelungsgange gern gelten lassen tann, so thut man doch gut, nach einiger Zeit einen Wechsel eintreten zu lassen, und Freund Richard hatte jetzt doppelten Grund zur Gile. Der dicke Herr Baum im Genua - Hotel empfing ihn mit offenen Armen. Der Lieutenant a. D. suchte in seinem Gedächtniß. ,, Grüß Dich Gott, Schani, also endlich! Set Dich her, " Ich denke, wir müssen uns schon gesehen haben, schon sieh, das ist brav. Eintreten willst Du? Ja? Lieber heut öfter aber wo? Weiß der Kuckuck, mein Gedächtniß wird als morgen, Ich kann's nicht mehr, allein kann ich's nicht jeden Tag schlechter." mehr. Nachts eins zu Bett, früh fünf auf, nein, das kann ich nicht."
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Die Vorstellung war sehr feierlich: Mein Sohn, der Lieutenant a. D. Klaus Hänisch Herr Bankier Richard Kreiser Verbeugung. Aber Klara, die heute in Küssen unerschöpflich war, flog auch dem Bruder an den Hals, und er mußte Richard die Hand geben und mußte zusehen, wie die scheue, verschüchterte Schwester ausgelassen und ganz verändert dem Fremden sich in die Arme warf.
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Freund Richard saß diesen Abend auf glühenden Kohlen. Er nippte an dem Weine und bekam aus Klara's Hand So wurde das Geschäft schnell abgeschlossen. Gehalt Kleine Butterbrote mit Raviar und allerlei Gutem. Er wurde giebt's nicht, aber die Trinkgelder im Genua " nähren ihren zahllos viel gefragt, wo und wann er geboren sei, ob er Mann.