Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 19.

19]

Donnerstag, den 27. Januar.

( Nachdruck verboten.)

Alltagsleufe.

Roman von Wilhelm Meyer Förste r.

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1898.

die Direktrice im Trauermagazin, in zehn Jahren nur so viel verdiene, als die gelbe Dame gegenüber in einem Moment gewonnen hatte. Der kleine Bräutigam wollte natürlich auch setzen, aber da befiel sie eine so große Angst, daß sie ihn inständig bat, das nicht zu thun. Schließlich versprach er es denn auch Man hätte der Tante sagen können, die Welt stürze um und war nachher bei der Heimfahrt riesig stolz, daß er ver oder das Trauermagazin sei verbrannt nichts wäre die mittelst der Liebe den Spielteufel in die Flucht geschlagen hatte. Wirkung solcher Mittheilung gegen die gewesen, welche sich hier Außerdem hätte er auf" Roth", das er beständig zu besezen ergab. Der Agent stürzte auf sie zu und klopfte ihr den Rücken, sich vorgenommen hatte, ein fleines Vermögen verloren. So der Hamburger rief nach Waffer, alle Kellner rannten und hatte also seine süße kleine Braut ihm heute mindestens selbst Jettchen hatte ein mitleidiges Rühren. Man brachte zwanzigtausend Mark" gerettet, und er behauptete, zum Merger die erregte Fran in eines der kleinen Speisezimmer, wo sie der mißgelaunten Tante, die das kindisch fand, Jettchen bringe sich allmälig erholte. Natürlich folgte dorthin auch Jettchen ihm zwanzigtausend Mark Mitgift. und natürlich auch die Herren. Reizend erschien es, wie Tief niedergeschlagen war der Agent, der nicht nur die ges Jettchen die Tante streichelte, beruhigte, alles für verliehenen fünfhundert Frank zum Teufel gejagt, sondern auch der geben und vergessen erklärte, fie als ihre Wohlthäterin Tante durch seine unglücklichen Rathschläge schweres Unheil zu­pries und überhaupt ein waderes und versöhnliches Ge- gefügt hatte. Ihr Verluft betrug nach seiner Schäßung aller müth zeigte. mindestens zwölfhundert Frank, und Nesse   und Tante lehnten bei der Heimfahrt düfter und trübe in ihren Ecken. Daß Jettchen's mun­teres Lachen, die bodenlose Verliebtheit des Hamburgers und beider ewiges Getüffe die Laune der andern nicht just verbesserten, läßt sich begreifen.

Das Ende vom Liede war, daß der glückliche Bräutigam die Tante und den Agenten zu einer kleinen Verlobungsfeier einlud und daß gegen Mitternacht sogar die Tante auf den Punkt gelangt war, wo sie Jettchen segnete und das Wohl des Brautpaares ausbrachte.

Am nächsten Nachmittag fuhr das Brautpaar nicht mit, Der Agent schrieb zahllose Telegramme, an sämmtliche sondern rüstete zu Herrn Melnit's Abreise, die bereits am Verwandte des Bräutigams, an Christian, an das Trauer: zweitfolgenden Tage vor sich gehen sollte. Er hatte im Glück magazin, alle Freundinnen der Braut und an die unmöglichsten der Liebe dem Spielteufel den Abschied gegeben und wollte nach Hamburg   vorauseilen, um dort alles für die baldige Hochzeit vorzubereiten. Jettchen sollte in Obhut der Tante zurückbleiben und in deren Begleitung die Rückreise an­treten.

Leute.

Den ganzen Abend saß natürlich das Brautpaar neben einander und füßte sich, was bis gegen halb zwölf Uhr der Tante jedesmal einen Stich ins Herz gab. Erst da begann fie alles in rosigem Lichte zu sehen, und beim Aufbruche hatte fie Jettchen zärtlich untergefaßt und geleitete sie in das wunder hübsche Schlafzimmer, das mit dem ihrigen durch eine offene Thüre verbunden war.

An diesem und dem nächsten Tage tam die würdige alte Dame immer erst sehr spät nach Nizza   zurück, war aber auf dem besten Wege, der Bank einen Hieb ersten Ranges zu ertheilen, und zeigte sich deshalb von der freundlichsten Seite. Der Agent und der Bräutigam kneipten noch bis Morgen- Am Abend vor des Hamburgers Abreise waren alle vier noch grauen und der letztere war der zufriedenste Mensch der Welt. einmal vergnügt zusammen, und die Tante hatte sich jetzt so Sollte er etwa hingehen und seine Million mit einer zweiten an Jettchens Rangerhöhung gewöhnt, daß sie mit dem früher verheirathen?! Wahrhaftig nicht!! Er wuchs förmlich verachteten Geschöpf wie mit einer durchaus gleichwerthigen, vor Stolz und Glück und schwur, heute über drei Monate ja sogar ziemlich hochstehenden jungen Dame verkehrte. Ehemann zu sein. Der Bräutigam hinterließ für Jettchen ein Depot von

Was Jettchen betrifft, sie verbrachte die himmlischste Rassenscheinen, dessen Anblick den Agenten in Verwirrung Nacht ihres Lebens. Sie lachte und weinte abwechselnd in den setzte, dann nahm er unter Küssen, Thränen und gegen Kissen, und erst als die nebenan liegende Tante, die auch nicht seitigen Liebesschwüren Abschied. Alle nächsten Tage verbrachte einschlafen konnte, die Rede auf die Aussteuer brachte, die sie Fettchen von früh bis zur sinkenden Sonne mit Briefe­selbst mit einzukaufen versprach, kam Jettchen's kleiner Kopf auf leidlich praktische Gedanken, und ihre Träume schwankten dann zwischen Leinen, Spitzen und dem Herzliebsten wirr hin und her.

XIV.

schreiben. Sie befleckste so viele Bogen, daß sie jeden Brief mindestens sechs bis achtmal abzuschreiben hatte, ehe er versandtfähig war. Dann freilich präsentirte er sich sauber und wie gestochen, und machte dem guten Franz in Hamburg  bodenlose Freude. Jm Stil war dieser selbst schwach und Als die Tante aufwachte, hatte die allmälig aufbämmernde er legte mehr Werth auf die Liebesbetheuerungen und auf Erinnerung an Jettchens Verlobung zunächst auf sie annähernd eine saubere Handschrift. Natürlich tamen auch von ihm den gleichen Eindruck, wie gestern bei der Erstickungsgefahr. täglich Briefe, und ihre Lektüre veränderte Jettchen von Tag Es war unglaublich und unerhört. Sie stand auf und ging zu Tag mehr. Sie wurde ganz still und mädchenhaft, las in das Nebenzimmer, Jettchen war aber bereits seit vielen und lernte Gedichte, die Franz ihr geschenkt hatte, Stunden unten. Franz hatte sie natürlich schon auf der und schaute mit der tiefsten Rührung auf den goldenen Terrasse erwartet. Er führte die ganze Tasche voll großer Ring. Die Liebe wirkt Wunder, dachte die Tante in den Banknoten, die in der Frühe aus Hamburg   angelangt waren, ersten Tagen, als sie noch bisweilen Zeit hatte, Jettchen zu bes und er hatte in seinem Glück bereits den Leichtsinn begangen, obachten. Das Unglück regnete aber mit so unausgesetzten dem Agenten fünfhundert Franken zu leihen. Alle drei früh- Schauern auf die arme alte Dame ein, daß sie bald aufhörte, stückten in der schönsten Laune, dann wurden in der Stadt sich mit anderer Leute Interessen zu beschäftigen. Verlobungskarten bestellt, die der Agent nach Aufschreiben aller Ganz jämmerlich gestaltete sich die Sachlage für den Adressen zu expediren sich verpflichtete. Agenten. Je rascher die großen Banknoten aus der Tante Verwahrsam  - wo dieses Versteck sich befand, war ihr Ge heimniß hinaus wanderten, um so mehr prasselte ihr Zorn auf den Agenten. Die Tante verpflegte sich und ihn mit der elendesten Sparsamkeit und als es ihm gelungen war, mit heiligen Schwüren und unglaublichen Lügen aus Jettchen's Depot eine Hundertmarknote zu locken, ging diese mit größter Promptheit am selben Tage futsch.

Gegen Mittag tam die Tante hinunter, war aber im Vergleich zu gestern wie ausgetauscht und ließ sich mit Jettchen nur in die nothwendigste und fühlste Unterhaltung ein. Sie wünschte nunmehr zu erfahren, wo der berühmte Spielsaal sei, und war verwundert, daß man dorthin noch mit der Eisenbahn zu fahren habe. Sie drängte zum Aufbruch und alle vier unternahmen die Fahrt gemeinsam.

Jettchen tam aus dem Staunen nicht heraus, als ihr Liebster ihr klar zu machen suchte, was da auf den grünen Tischen eigentlich vorgehe, und sie wollte zuerst gar nicht glauben, daß die Herren und Damen die Massen Geld weggeben müßten, wenn sie die falsche Farbe gewählt hatten. Sie ließ sich die Summen nennen, die da bisweilen auf dem Spiele standen, und rechnete insgeheim aus, daß Fräulein Mödling,

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Vierzehn Tage nach ihrer Ankunft war die Tante so radikal ausgeplündert, daß selbst Jettchen ein herzliches Mit leid erfaßte. Sie waren alle drei oben im Salon. Der Agent brütete vor sich hin und fühlte einen kannibalischen Hunger, Jettchen lehnte verlegen am Fenster und die Tante lag auf dem Kanapee. Ihr Gesicht war ganz spitz geworden und der schwache Versuch, sich Jettchen gegenüber noch eine gewiffe