Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 21.
21]
Sonntag, den 30. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Alltagsleute.
Roman von Wilhelm Meyer Förster. Klara!!"
Sie sah sich nicht um und blieb bewegungslos. Da tauchte eine schreckliche Vermuthung in der Geheimräthin auf. Sie stürzte auf ihre Tochter zu, riß ihr die Hände vom Gesicht und sah ein todtenblasses, entstelltes Antlig.
Auch Hedwig fam herein und sah staunend, was vorging. Die Geheimräthin suchte sich zu faffen. Sie zerrte Klara vom Fenster fort in die Stube und stellte sich dicht vor fie hin.
Er war hier?" Sie nickte.
wirrte.
Und da-?!"
Ein Gedanke ging durch das Hirn des armen Mädchens. Sie sah ihre Mutter an mit einem leeren Blick, der doch unendlich viel sagte und die Geheimräthin einigermaßen verJa aber was Hedwig war herangetreten und hatte in Angst die Schwester umgefaßt. Wie eine Verjinkende schloß sich Klara an sie, nicht mit heftigen Bewegungen, nur die Hände wie mit Klammern um die der Schwester pressend.
-
was war denn?"
Leise, toulos sagte sie alles, verschwieg nichts.
Als sie geendet hatte, stand sie allein. Hedwig lehnte am Fenster und schaute nach den Schwalben, die den Frühling gebracht hatten und die zwischen den Häusern hin und her huschten. Die Geheimräthin saß auf dem Sopha und war während der Erzählung immer schwächer und kleiner geworden, so sehr, daß sie einige Zeit ganz still blieb.
Sie fuhr nicht auf Klara los, wie diese es in Todesangst sich ausgemalt hatte. Erst nach einiger Zeit wandte sie sich an Hedwig, mit der sie überhaupt das nächste Gespräch allein führte.
Es wäre nun gut, man brächte mich zu Grabe. Man hat mir an meiner Wiege vielleicht von Kummer und Noth und Armuth gesungen, aber nicht von Schaude. Ich kann nun nicht mehr. Nein, ich kann nun nicht mehr."
Hedwig versuchte die Mutter zu trösten, was diese dankbar anerkannte. Sie sprach mit merkwürdiger Fassung über Klara weg von allerlei Dingen, daß der Tischler einmal kommen und die Stühle leimen müsse und so weiter. Den Namen Richard's nahm sie nicht in den Mund. Dann bat sie Hedwig, mit ihr in das andere Zimmer zu kommen, und Klara wurde allein gelassen.
Einige Male hörte sie die Mutter heftig reden, aber es wurde bald, wieder still, und die beiden im Nebenzimmer unterhielten sich nur gedämpft.
So saß sie Stunden allein. Sie konnte nicht denken, alles verwirrte sich in ihr.
Es wurde dunkel, sie achtete nicht darauf. Gegen Abend kam Hedwig mit der Lampe herüber, und die Geheimräthin folgte ihr.
Diese begann jetzt zu sprechen, aber nicht zu Klara, sondern gleichsam in eine ferne Ecke.
Sie, die Geheimräthin, will nicht davon reden, was sie bisher für Klara gethan und wie sie zu aller Zeit für sie gesorgt hat. Das war Mutterpflicht und darüber verliert man fein Wort. Sie wird jetzt noch ein letztes thun. Sie wird bei den v. Böcks mit einem Fußfall vorstellig werden, und der General wird einer unglückseligen Frau nicht die legte Bitte verweigern: Man wird im St. Annen Stift für Klara eine Stelle auswirken, und wenn das nur ein sehr bescheidenes Stift ist, ohne überflüssigen Luxus, so wird Klara doch bis zu ihrem Lebensende dort aufgehoben sein.
" Geh' mun schlafen, Klara."
Das Mädchen stand auf, und sie ging- wie sie es feit Alters gewohnt war- zu ihrer Mutter, um ihr den Gutenachtekuß zu geben. Die Geheimräthin verweigerte diesen Ruß nicht. Aber sie schaute dabei über Klara weg und kam sich wunderbar erhaben vor, daß sie diesem Kinde, das namen lose Schande über sie gebracht hatte, die althergebrachte, wenn auch noch so formelle Zärtlichkeit nicht wehrte.
1898.
Die Kontraste im Leben sind seltsam. Gestern und heute in der Frühe noch eine glückliche Braut, nun am Abend ein gebrochenes Weib, so namenlos elend wie keines mehr. Sie legte sich in ihr schmales Bett und verbarg den Kopf in den Kissen. Nach einiger Zeit hörte sie nebenan Teller klappern und die Theemaschine sieden. Es war noch früh, und nach dem verdorbenen Mittagessen trug die Geheimräthin Hedwig auf, Rartoffeln zu braten. Beide unterhielten sich noch lange, und die würdige Frau, vielleicht angeregt durch den Thee, begann jetzt maßlos über den Schurken von Kellner herzuziehen. Klara versuchte den Kopf in den Kissen zu vergraben, um nichts mehr zu hören, aber ein Dämon zwang sie immer wieder von neuem, sich aufzurichten und nach der Thür zu starren, durch deren Schlüsselloch ein Lichtschimmer fiel.
Gegen zehn Uhr wurde draußen geklingelt, und Bruder Klaus tam heim. Er war offenbar in der vergnügtesten Dann Laune und bat sich noch ein Butterbrot aus. wurde er still, und Klara hörte mit weit aufgerissenen Augen, wie die Mutter immer lanter und heftiger ihm die Geschichte erzählte. Er lachte erst leise, plöglich stieß er ein förmlich gellendes Lachen aus, sprang empor und riß mit einem Ruck die Thür zum Schlafzimmer auf. Der volle Schein der Lampe fiel auf Klara, die in ihrem Bette aufrecht saß und bei dem unerwarteten Zwischenfall leise aufschrie.
"
Der also! Und da zerbricht man sich seit acht Tagen den Schädel, wo man den Kerl schon mal gesehen hat. Der Bahlkellner aus dem Café Royal! Bravo! Guter Geschmack, Klara, alle Achtung. Pfui Teufel!"
Und er schmiß die Thür wider zu, daß sie in allen Fugen
trachte. Aber im nächsten Moment wurde sie wieder geöffnet und geschlossen, Hedwig war hereingehuscht. Sie unschlang die Schwester und sagte ihr stammelnd, zitternd Trostworte. Nach einiger Zeit wurde sie freilich in das Wohnzimmer zurücks beordert, und als dann spät in der Nacht nach endlosem Schelten, Reden und Jammern die Geheimräthin und Hedwig herein tamen, um zu Bette zu gehen, hatte Klara sich nach der Wand gewendet und schien zu schlafen.
Es wurde allmälig still, und die Geister der Nacht bei gannen ihren Schattentanz. XVI.
Es giebt Leute mit einem erstaunlichen Maß von Reckheit, die vielleicht zum theil einer großen Naivetät entspringt. Bu diesen gehörte auch Richard, der geschniegelt und gebügelt wie immer am andern Mittag in der Geheimräthin Wohnung erschien. Er zweifelte nicht daran, daß seine Braut einen schweren Sturm zu überwinden gehabt habe, aber nach vierundzwanzig Stunden hatte sich die See wahrscheinlich leiblich beruhigt, und er dürfte sich wohl hineinwagen. Erklärlich war diese Auffassung der Sachlage wohl nur durch sein Unvermögen, genau den Abstand der einzelnen Stände zu beurtheilen. Er sah mehr die ärmliche Haushaltung der Geheimräthin, als deren gesellschaftliche Rangstellung, und gab sich dem Wahne hin, daß die vornehmen Leute in finanziell mißlicher Lage aufhören,
den Werth ihrer Person hoch zu tayiren. Ju seinen Augen hoch zu tarinana" eine immens be
war die Stelle eines Leiters des„
deutende, und er vermochte nicht fich klar zu machen, daß diese Stellung mit der einer Geheimrathsfamilie wie Kreuzberg und Chimborasso kontrastirt.
Slls er flingelte, wurde ihm von Hedwig geöffnet. Die prallte zurück wie vor einem bösen Geist.
Mama ist leider kraut, sie bedauert-" Etwas eingeschüchtert fragte er: Und Klara?" „ Klara istich glaube, Klara ist ausgegangen." Nein, Klara war nicht ausgegangen. Man hörte in der Wohnstube einen kurzen Wortwechsel, etwas umfallen, die Geheimräthin laut sprechen dann kam Klara heraus und auf ihren Bräutigam zu.
" Komm herein, Richard, hier in mein Zimmer."
Hedwig zog sich verwirrt und erstaunt zurück, und das Brautpaar trat in eine kleine ärmliche Stube, die halb als Rumpelkammer benutzt wurde und die Richard bisher noch nicht zu sehen bekommen hatte. Das Aschenbrödel hatte hier vor der großen Stunde der Verlobung zumeist seinen Aufenthalt gehabt. Es standen da ein kleiner Holztisch mit Näharbeiten, zwei Stühle und in der Ecke der große Korb für die Wäsche.