Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 22.

22]

Dienstag, den 1. Februar.

( Nachdruck verboten.)

Alltagsleute.

Roman von Wilhelm Meyer- Förster .

Er antwortete nicht und schaute irr hin und her. Nun umschlang sie ihn mit Thränen und Küssen, strich ihm die Haare aus der Stirn und nannte ihn ihren Liebsten. Sie war in dieser Stunde mehr Mutter als liebendes Weib, und dieses Sorgendürfen, Tröstendürfen, Aufrichtendürfen verflärte fie und beseligte sie. Die Thränen in ihrem Auge versiegten, aller Schmerz von gestern und alle Angst von gestern traten zurück, sie hatte ihn, für den sie sorgen konnte, den sie lieb hatte, an den auch sie sich lehnen durfte. Ganz weit entschwand die Mutter, die nicht mehr zu ihr gehörte, sie wird Haus und Mutter verlassen und mit dem Manne gehen.

1898.

War diese verschnörkelte Rede ja doch nichts weiter als die brutalfte Lossage von dem eigenen Kinde! Herr Kreiser um gelehrt war sehr bewegt und fand den geheimräthlichen Ton so herzlich, daß er mit einem schönen Entschlusse vortrat und der alten Dame seine Hand hinstreckte.

" Ich verspreche es Ihnen. Ich habe Klara lieb wie mein Leben und will an ihr alles gut machen."

Ganz leise berührte die Geheimräthin mit den Spitzen ihrer Finger seine Hand und sagte, sie hoffe, daß dieser Vorjah in Erfüllung gehen möge.

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Ein paar Wochen später fand die Hals über Kopf vor bereitete Hochzeit statt. Die Geheimräthin war trant", Klaus verreist", nur Hedwig sette es trot heftiger Stürme durch, daß sie an der Schwester Hochzeitstage nicht fehlte. Herr Baum vom Genua - Hotel ließ sich in anbetracht der sozialen Stellung der Braut herbei, bei der Trauung zugegen zu sein, war aber höchft erstaunt und unangenehm betroffen, daß die Er verstand von allem nur den kleinsten Theil: von dieser Verwandtschaft der Braut fast ganz durch Abwesenheit glänzte. Hingebung und der Größe dieses Empfindens. Aber selbst In einem prachtvollen Bariser Kostüm erschien Fräulein dieser kleinste Theil genügte, um in seine flache Seele Aufruhr Anna Kreiser: selbstverständlich hatte aber ihr bejahrter und Bewunderung zu bringen, und groß und heroisch deuchte Bräutigam, Herr Justizrath Simon, es abgelehnt, an er sich, als er jetzt aufstand, sie fest in seine Arme schloß und dieser eigenthümlichen Hochzeit theilzunehmen. Klara. sagte, er und sie würden den Weg allein finden. Hänisch als Braut eines sozial so tief unter ihr

Mit Dir, Richard, Dein treues Weib."

Er war nicht dreift, er sagte gar nichts, er überließ alles Klara. Die Geheimräthin wollte loswettern, aber eine andere Klara als sonst stand vor ihr.

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Sie nahm seine Hand in die ihrige und ging so mit ihm stehenden Mannes! Er hatte es erst gar nicht glauben wollen. hinüber in das warme Zimuter der Geheimräthin, wo diese Nun würde trog Eva's Sterben die Familie Hänisch oder aufgeregt wie ein gereizter Löwe auf und ab marschirte. wenigstens ein Glied derselben zu ihm in Verwandtschaft treten! Jetzt ging die Thür auf, und die beiden erschienen- skandalös! Freilich ein seltsamer Zufall. Er war mißgestimmt und ver Das just hatte noch gefehlt! Dieser Mensch wagte barg das nicht. Aber Anna hatte eine starke Macht ihm es, vor sie hin zu treten! Das war das Letzte und Ultra der gegenüber, und er mußte sein Nichterscheinen bei der Hochzeit Dreiftigkeit! durch allerhand Ausflüchte motiviren.Uebrigens hatte er seine Verlobung mit Fräulein Anna bereits offiziell bekannt gemacht, und im allgemeinen wunderten sich die Leute darüber nicht. Der alternde Mann hatte wohl eine Pflegerin für seine einsamen Tage nöthig, und daß seine Wahl auf das hübsche, fesche Ding gefallen war, dazu konnte man nur gratuliren. Man kümmerte sich überhaupt nicht all­zuviel mehr um ihn. Eva war todt, und in der Gesellschaft waren die Simons halb und halb vergessen. Auch als An­walt war er nicht mehr der schneidige Rechtsgelehrte von früher, und einige verlorene Prozesse trugen nicht wenig dazu bei, seinen Stern erblassen und den Goldstrom, der sonst in seine Kassen floß, spärlicher werden zu lassen.

Ich habe mit Richard gesprochen, Mutter. Er hat an Dir und uns nicht recht gehandelt, aber ich habe ihn lieb. Ich lasse ihn nicht, ich werde sein Weib. Zürne mir deshalb nicht, Mutter, ich kann nicht anders."

Sie schlang den Arm um des Mannes Schulter und lehnte sich an ihn.

Es folgte eine lange dürre Pause.

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Die Geheimräthin hatte in einer halb und halb schlaf­lofen Nacht das Pro und Kontra ziemlich genau erwogen. Wenige Monate noch, und man stand finanziell vor dem Ende. Die Hoffnung, Klara im St. Annenstift unterzubringen, war immerhin nur eine vage wahrhaftig die Zeit war zu Ende, in der man sich, wenn auch nicht auf ein hohes Roß, so doch noch auf einen mäßigen Klepper setzen durfte. Trotzdem schien diese Verbindung undenkbar. Die Enkelin des Joachim v. Böck und das?! Nie! Aber immer wieder rüttelten allerlei Gedanken an diesem Nie!" herum, und der Schluß ihrer Ueberlegung war eine namenlose Wuth auf diesen Lügner und Gauner, der ihr Luftschlösser vorgespiegelt hatte. Das alles erwog sie in dieser Pause noch einmal. Endlich sah sie auf. Da, in der Mitte des Zimmers stand der hübsche elegante Mensch, der sicherlich zeitlebens sein Austommen haben würde, und neben ihm, in seinem Arme, das verblühte Mädchen, das in dem fadenscheinigen Kleide trostlos kümmerlich aussah.

Groß war die Tattit, welche in dieser verhängnißvollen Minute die Geheimräthin einzuschlagen verstand. Sie zog ihren Einsatz aus dem Spiel und überließ es Klara, die verlorene Partie zu Ende zu bringen.

Der vierte und legte Gast bei der kleinen Hochzeit war Er war niemand anders, als unser Freund, der Agent. ein alter Bekannter Richard's und hatte sich mit Bergnügen bereit erklärt, als Trauzeuge zu fungiren. Die schwere Nizzaer Kampagne hatte ihn allerdings start mitgenommen und seinen Humor einigermaßen lahm gelegt, immerhin war seine Ans wesenheit bei der Hochzeitstafel ein Glück, denn er thante schließlich doch auf und wußte reizende Geschichtchen zu er zählen.

Natürlich ging die ganze Hochzeit auf Kredit, aber daran fehlte es Richard Kreiser nicht, denn man kannte ihn als einen jungen Manu mit sicherer Stellung und guter Zukunft. Schwester Anna hatte einige Baarmittel von dem Justizrath entliehen, und so konnte die ganze Sache mit hübschem Prunt vor sich gehen.

Man speiste im Englischen Hause, das schon Herrn Baum zu Ehren sich in Speisen und Getränken redliche Mühe gab, und war es auch nur eine sehr kleine Hochzeit, so durfte Klara damit doch zufrieden sein. Ihr einfaches weißes Kleid und das etwas veraltete Kostüm Hedwig's standen arg im Gegens Klara ist über das Alter hinaus," sagte sie, wo Eltern saße zu der blendenden Toilette der fünftigen Justizräthin, die Pflicht oder gar das Recht haben, ihren Kindern den noch mehr aber ihre blaffen, verblühten Wangen und Lebensweg vorzuzeigen. Sie hat ihre Absicht hier kund ge- ängstlichen Augen zu der frischen Gesundheit Aennchen's. than, und ich kann und will sie nicht hindern. Allerdings Aber diese zeigte sich so lieb und nett, wie man es nur wird dieser Weg für Klara ein schwerer und einsamer sein, wünschen konnte. Sie war auf die vornehme Schwägerin denn sie muß sich sagen, daß es gewisse Grenzen giebt, die sich stolz und wollte immer noch gar nicht begreifen, daß nicht überbrücken lassen. Sie, Herr Kreiser, haben nicht ehrlich mit ihr und Bruder Richard das Schicksal es so glänzend gegen mich gehandelt, ich verzeihe es Ihnen. Je weiter fich Klara's Wege von dem meinigen nun trennen werden, um so mehr lassen Sie mich hoffen, daß meine Tochter an Ihrer Seite glücklich werden möge. Versprechen Sie mir das."

Ihre fette Stimme zitterte leicht, denn es war das doch schließlich eine rührende Sache. Klara sah die Mutter nicht an, und ein Grauen ging bei deren Worten über sie hin.

freundlich meine. Man trank schließlich auch auf den armen Papa in Blößensee, der immer noch eine hübsche Zeit festliegen mußte und große Augen machen würde, wenn Aennchen mit Droschke erster Güte ihn von dort abholen käme. Alle lachten, und Klara und Hedwig mußten wohl oder übel daran theil nehmen. Nachher erzählte der Agent seine Reise nach Nizza mit allen Chikanen, und Aennchen kam beim Wein in so