Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 40.

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Brigiffe.

Von G. Stein,

Freitag, den 25. Februar.

1898.

( Nachdruck verboten.) und das kleine Neckerchen, das dazu gehört, und Franz ist ganz stolz, wenn er mit unserer Kuh" das fleine Stückchen Land umpflügt. Haben sie daheim nichts zu thun, oder eigentlich, hat der Großbauer Arbeit für sie, so arbeiten sie nach wie vor bei Kempe's Heiner und befinden sich wohl dabei, bis die Kinder kommen und die Sorgen.

Die alte Brigitte hieß sie schon, als Rempe's Frige, der doch nun schon seit fünf Jahren als Großbauer auf dem Hofe sitt und eine Frau und ein paar pausbäckige, Eines Tages brachten sie den Franz heim. Ein fallender flachstöpfige Jungen hat, noch ein kleiner Junge war, Baumstamm- fie rodeten ein Stück Wald - hatte ihn so unglück­und noch niemand an die blonde Marie dachte, die heute lich getroffen, daß er nach drei Tagen todt war. Gesund und allen Burschen im Dorf die Köpfe verdreht. Brigitte todt in drei Tagen! Mein Franz, mein armer Franz!" war alt, uralt, und es war ein Wunder, daß sie noch so Starr und thränenlos folgte sie der Bahre, starr und thränen­bei der Hand war und der Gemeinde nicht zur Laft zu fallen los hörte sie die erbauliche Rede des Herrn Pfarrers brauchte. Sorgte auch noch für ihr Urenkelkind, die Tochter mit an. Wie aus weiter Ferne flangen ihr die Worte von der braunen Ann'. Mußte wohl, denn zu dem Kind war fein von dem wackern Arbeiter, den der Herr abberufen, Bater da, war ein Stadtkind-- Wer mochte da wiffen- Ja, ja! daß er eingehe zur ewigen Herrlichkeit, von der Wittwe und Das waren Geschichten. Die konnten einen alle machen! Und den Waisen, denen nun Gott ein Vater sein werde. Er doch seit das Kind da war, war die Alte förmlich wieder sprach sehr schön, der Herr Pfarrer wenn man bedachte- jung geworden. Freilich zuerft, als sie die Ann' begraben hatten, nur ein armer Häusler! Dann gingen fie fort, einer nach schlich sie dahin, wie ein Bündel Kümmerniß, und die Leute glaubten, dem andern, und Brigitte warf sich über das Grab und ihr legtes Stündlein sei nicht mehr fern. Dann aber, da gab sie wimmerte: Drei Tage! Gesund und todt! Mein Franz! fich gleichsam einen Ruck, so von innen, und als dann die Kleine Mein armer Franz!"

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Sie zog sie auf in Zucht und Ehren.

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Die Jahre gingen ins Land. Mancher Sommer kam und mancher Winter, und Brigitte war alt geworden. Die alte Brigitte! Nicht alt an Jahren. Wer sich die Mühe ge nommen hätte, im Kirchenbuch nachzuschauen, der hätte höchstens achtundvierzig Jahre herausgerechnet, als sie ihren jüngsten Buben in die Christenlehre schickte.

heranwuchs und lieblich heranwuchs, das mußte ihr der Neid Bis der Todtengräber mit seinem Weib tam und sie halb laffen da flog es manchmal wie ein Abglanz von Sonne mit Güte, halb mit Gewalt vom Grabe wegholte. Ob ste über das verwitterte Gesicht der Alten, und sie konnte denn nicht an die Kinder dente? Sollten die Vater und Schritte machen, wie eine Junge, wenn sie so, wie heute, Mutter auf einmal verlieren? Die Kinder! Ihrer fünfe, vier nach ihrem Sammelgang durch den Herbstwald, dem Buben und ein Mädel. Klein beieinander o duo mein Dorf wieder zustrebte. Die Ausbeute war heute eine Gott! mein Gott! befonders reiche gewesen, und während sie mit geradezu liebkosendem Blick immer und immer wieder die prächtigen Pilze umfaßte, die sie gesammelt, überschlug fie in Gedanken, wie viel sie ihr morgen wohl einbringen mochten. So selten und so schöne große Exemplare! Da langte es viel­leicht zu dem schönen rothen Kleidchen für die flcine Ann', das in dem großen Geschäft am Markt, mitten in der Auslage, aufgestellt war, daß jedermann gleich merken konnte: Das ist etwas besonderes! Wie das zu den goldenen Locken und den flaren Augen ihres Herzblatts passen würde! Und ein Leb fuchenherz sollte sie dazu haben. Die Freude! Die Freude! Es überwältigte die Brigitte so, daß sie ganz müde wurde, und die Beine nicht mehr weiter wollten. Da mußte fie sich ein Augenblickchen verruhen. War ja auch noch früh am Nachmittag, die Sonne stand noch ziemlich hoch, und Ann' war sicher noch in der Kinderschule, die sie unlängst für die Bewahrtinder eingerichtet hatten. Und hier am Waldes rand war's schön, so schön, daß selbst die nicht mehr gar eindrucksfähigen Sinne der Alten sich daran fest jaugen mußten. Drüben das Dörflein mit der Kirche auf dem Hügel, die hochragenden Scheunen bis oben gefüllt mit dem Segen der abgeernteten Felder. Und um das Sioppelfeld zog sich in buntem Kranz der Wald. Die Sonne kleidete das vielfarbige Laubwerk in prächtige Farben und lag in tiefen Tönen auf dem immergrünen Schmuck der dunklen Tannen.

Und freundliche warme Strahlen hufchten über den laub­bedeckten Waldboden dahin und umspielten schmeichelnd den Moossitz der alten Brigitte und den Eichenstamm, an den fie ihren müden Kopf gelehnt hatte. Wie das wohl that und wie das wärmte!

schlief

Alten,

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Aber wenn jahraus, jahrein Wind und Sonne über einen dahin geht, bei harter Arbeit draußen im Feld, und das Glück einen vergessen hat! Die ehemals goldblonden Flechten legten fich in grauen Strähnen um das pergamentne Gesicht, in das Kummer und Arbeit ihre tiefen Runen gegraben hatten; die fnochigen Hände und die sehnigen Arme erzählten von Arbeit, von viel Arbeit und sahen nicht aus, als ob sie jemanden liebkosen könnten. Ja, es ist etwas Eigenes um die armen Leute", meinte die Schloßfrau zu der Pfarrerin, da ziehen sie ihre Kinder auf, von Liebe wird man nicht viel gewahr, und wenn die Kleinen taum flügge geworden sind, dann müssen sie hinaus in die Welt und müffen selbst für sich sorgen. Haben die Eltern so lange für die Kinder geschafft, könnten sie's auch noch ein, zwei Jahre durchsetzen und sie daheim behalten, sich an ihnen freuen und ihnen ihre Jugendlust lassen. Mit vierzehn Jahren in die Fremde! Ich könnt's nicht übers Herz bringen und glaube fast, daß die armen Leute ihre Kinder nicht so lieb haben und froh sind, wenn sie sie los bringen!"

Ich weiß nicht, was die Pfarrerin geantwortet hat, aber das weiß ich, daß feines die Thränen gesehen hat, die in das Bündel fielen, das Brigitte den Kindern schnürte, einem nach dem anderen, und daß keiner das Schluchzen hörte, das aus ihrer Rammer zum Himmel drang, wenn sie sie hingeben mußte, eines nach dem anderen.

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Die Lider sanken immer tiefer über die Augen. Wahr haftig, fie mußte sich zusammennehmen, sonst Sie hatte sie in die Fremde geschickt, sich ihr Brot zu ver­sie richtig ein. sollten, als Tiefer sinkt der Kopf der dienen, und daß sie es weiter bringen sollten, Auch wollten um das von spärlichem, weißem Haar umgebene Haupt daheim im engen Dörflein möglich war. die Sonnenstrahlen eine goldene Gloriole. ihre Kräfte nicht mehr so recht, o sie hatte in all den Jahren Die Sonnenstrahlen! Ach warum nicht gar! Wo habt nichts gehabt, um sie oben zu halten, und sie mußte mit der ihr denn eure Augen? Goldblonde Flechten sind's, und die Zeit sich um eine Arbeit umithun, die leichter war, als fie trägt, ist ein frisches junges Mädel von achtzehn Jahren, die im Feld. Damals verlegte fie sich aufs Beeren und so schön, wie nur je eines zum Tanze ging, und so arm Pilzesammeln. Im Frühjahre brachte sie auch Kienholz und wie eine Kirchenmaus." Ihrer" ist Knecht. Er dient auf Mottenkraut zum Verkauf in die nahe Stadt, und im Winter demselben Hofe und ist nicht älter wie sie. In zwei Jahren muß er zu den Soldaten, in fünf oder sechs Jahren kann dann Hochzeit sein. Thörichte Streiche macht Brigitte nicht, sie will mit dem Myrthenkranz zum Traualtar gehen; aber warten, treu und geduldig warten, das wird sie.

Die Zeit verstreicht. Aus den fünf Jahren sind ihre zehn geworden, ehe sie sich heimführen können. Von ihrem Ersparten haben sie sich die Häuslershütte am Ende vom Dorfe gekauft

sammelte sie Nüßchensalat", wie sie in dieser Gegend das Schmalzbräutchen nennen, bis die dichte Schneedecke nicht mehr gestattete, die grünen Pflänzchen drunter vorzubringen.

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Heim mochte sie nun nicht mehr gern, es war gar so still und traurig im kleinen Hause geworden und wenn's die Schloßfrau auch nicht wußte manchmal stieg es ihr heiß in den Hals hinauf und ihre Gedanken sagten: Ach, wenn ich doch eines, nur eines da hätte." Und eines Tages kam

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