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der Doktor ins Torf fam, paßte ihm Brigitte auf. Der Arzt achtung werth. Die jüngsten Lieutenants sprachen von einer Pro­schüttelte den Kopf und machte ein ernstes Gesicht. Die menade" nach Paris ; die Redensart vom verfaulten Weften Schwäche, der Gang durch die stürmische Regennacht, die Auf- war zur Straßenweisheit geworden, wie sie in der heutigen exklusiv­regung Brigitte solle sich auf alles gefaßt machen. Der russischen Bewegung Prinzip und Glaubenssatz geworden ist. Das Doktor komme noch einmal nachsehen. Der Doktor war ge- ruffen wie ein Zeichen der Bernichtung. Die russischen Offiziere Frühlingsdämmern einer neuen Zeit erschien den Boll- und National­gangen, und Brigitte hielt sich am Thürpfosten fest. In sollten ihre hohen Stiefel schmieren und fich marschbereit halten, um ihrem Innern ftöhnte es auf: Nein, das durfte ihr Gott nicht dem faulen Westen den Reff zu geben. In Jwan Turgenjew's thun das nicht!" scharfer Schilderung Dunft" findet sich eine charakteristische Probe diefer Stimmung. Der Raisonneur, der zugleich die Ansichten des europa - freundlichen Dichters wiedergiebt, spricht von seinen russischen Landsleuten: Sobald zehn Engländer zusammen tommen, fangen fie an, vom unterirdischen Telegraphen zu reden, von der besten Methode, lichem. Kommen zehn Deutsche zusammen, so erscheint natürlich fo= Rattenfelle zu gerben, das heißt von etwas Bestimmtem, Nütz­fort die Einigung Deutschlands auf der Bildfläche. Sigen aber zehn Russen irgendwo zusammen, augenblicklich taucht unter ihnen die Frage von der Bedeutung und der Zukunft Rußlands auf-in so allgemeinen Bügen, als handelte es sich um die Eier der Leda. upd Sup? Und natürlich können sie diese Frage nie berühren, ohne sofort dem verfaulten Westen einen Fußtritt zu geben."

Aber Ann' wurde schwächer Tag um Tag, sie weifte wie ein Pflänzlein, das man mit den Wurzeln ausgeriffen hat, und an einem hellen Sonntag im November, als durch's offene Fenster die Glockentöne hereinzogen, und die Sonnenstrahlen das Haar der Ruhenden küßten, da flüsterten die bleichen Lippen ein leises: Gute Nacht, Ahning, und habe mein Aennchen lieb!" In dem Blicke, mit dem die braunen Augen die Großmutter und das Kleine umfaßten, lag eine Welt voll Dank und Liebe. Und dann schlossen sich die Augen zum ewigen Schlummer.

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Als sie die Anu' zu Grabe trugen, da schlich Brigitte da­hin, als werde sie sich nimmer aufrichten, und die Leute Die hohen Stiefel der russischen Offiziere wurden nicht ge= glaubten, ihr letztes Stündlein sei nicht mehr fern. Dann schmiert. Nicht zur Promenade ging's gegen Paris ; wir haben aber, da gab sie sich gleichsam einen Ruck, so von innen, und als dann die Kleine heranwuchs und lieblich heranwuchs, das mußte ihr der Neid laffen, da flog es manchmal wie ein Abglanz von Sonne über das verwitterte Gesicht.

Großmutter, Großmutter!"

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Brigitte fuhr auf. Wahrhaftig, nun war sie doch ein­geschlafen. Oder war ihr nur im Halbschlaf ihr ganzes Leben im Geist vorübergezogen? Die Sonne war hinunter, taum daß noch ein rother Streif den westlichen Horizont säumte. Schon wuchsen die Schatten des Abends über die Ebene, die Tannen ragten schwarz und drohend in die graue Luft, und fröftelnd schmiegten sich die Blätter der Laubbäume an ein ander. Von der Dorfstraße her, eingehüllt in das Scheidelicht des sterbenden Tages, tam Annchen, ihr Annchen. Ahning!" rief es wieder, und als Brigitte sich aufrichtete, und das Kind fie fab, da flog es mit einem Jubelruf auf sie zu, ein zier­liches Geschöpf, mit dunkeln leuchtenden Augen, ein Gewirr blonder Locken und Rosenwangen, und einen süßplaudernden Kindermund, der nun mit tausend Fragen auf Ahning ein­stürmte: Wo fie so lange geblieben sei, es werde ja schon dunkel, und der Bugemann mit den Feueraugen tomme schon aus dem schwarzen Busch. Und es sei Besuch da, ein Onkel aus der Stadt. Sie habe habe sich zuerst so gefürchtet und wollte ihm garnicht die Hand geben, aber so was Schönes habe er ihr mitgebracht, eine Puppe mit wirt­lichen Augen, die sie aufmachen könne und zu, und so einen großen Chokolademann. Und so schöne Geschichten könne der erzählen, und nun sei er mitgekommen, Ahning suchen zu helfen.".

( Schluß folgt.)

Sonntagsplandevei.

Stürme des Frühlings brechet herein! Es ist das der Sehn­fuchtsruf eines Dichters. Man glaubt, ihn aus dem Ringen der bewegten Zeit, deren Andenken wir immer näher rücken, überall hervorklingen zu hören. Bald find die Märztage herangekommen. Es scheint, sie wollen uns diesmal mit mildem Frühlingsglanz er­frenen. Als die Berliner Erhebung begann, waren die Märstage ja auch ungewöhnlich warm und milde. Aber in den Seelen brauste es: Stürme des Frühlings, brechet herein!

russischen Offiziere von int den legten Jahren Jahren das Schauspiel erlebt, daß die

russischen Offiziere von den Damen der Pariser Gesellschaft unischwärmt wurden, dieselben russischen Difiziere, die unter dem starren Herrensystem aufwuchsen und erzogen wurden, die heimathlich heilige Kraft des Mütterchens Rußland gegen die giftigen Einflüsse des stechen Westens zu wahren.

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Um derselben Gesellschaft willen vielleicht war man genöthigt, den Zolaprozeß zu dem Ende zu bringen, zu dem er gelangt ist. Das war war ein Satirspiel und keine Tragödie trotz aller lang athmigen, pathetisch geschwellten Deklamationen in unserer Presse. Baris ist nicht vor Scham in die Erde gesunken, Genie Frankreichs

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einem Jahr Gefängniß verurtheilt wurde. nicht erstarrt, trotzdem Zola zu Uebrigens werden politische Häftlinge in Paris so ganz anders behandelt, als bei uns, daß wir Zeitungsschreiber alle schon aus diesem einem Grunde uns hüten sollten, vernichtende Jeremiaden über das wilde Land Frankreich zu veröffentlichen. Warum sollten wir die Dinge tragischer nehmen und sie übertriebener ausmalen, als die davon Betroffenen selber?

Ein Theil des Satirspiels ist vorläufig zu Ende. Die Soldaten haben die Hacken zusammengeschlagen und mit den Säbeln geraffelt. Autorität um jeden Preis.( Wie oft ist dies auch anderswo ge Die Regierung und die Justiz haben die Autorität geschützt, die schehen!) Und der überwiegende Theil der Bourgeoisie Frankreichs war damit einverstanden, wenn's mun einmal die Staatsraison so will, und wenn das Militär, der Hort wider den inneren und äußeren Feind, geschont werden sollte. Viele haben ein übriges gethan und haben die Straßen bevölkert und unnüßen Radau verübt. Wenn man von allen Straßendemonstrationen erregbarer Großstadtbevölkerung auf das innere Wesen eines Volkes schließen Schilderungen in der abgelaufenen Woche lesen. Das war, als wollte, wo käme man da hin? Man konnte wahrhaft grauenvolle wäre in Paris die Hölle der bösesten Leidenschaften losgelassen, als wäre eine See entfeffelt und sie müßte ihre Opfer verschlingen. Der Eine wollte aus dem Wuthgeheul der Demonstranten den unheim lichen Ton der Bestie im Menschen herausgehört haben, der Andere fühlte den heißen, feuchenden Athem brünstiger Leidenschaft und Blutgier. Und der Erfolg all dieser unbeschreiblichen Aufregungen? Ein paar Raufereien und das ewiggleiche Straßengeschrei, daß am Ende zum Sport wird. Was eine wirklich tobende, wirklich aufgewühlte Straßenmenge verrichten kann, trok Polizei, tros Militärgewalt und Standrecht, das konnte man bei den terroristischen Lärmszenen in Brag fehen. Also möge man drum angesichts der Pariser Ereignisse fühleres Blut behalten und nicht so biereifrig von der totalen Debacle, von dem erschütternden Krach in dem alten Kulturmittelpunkt Paris sprechen. Es war nicht die Hölle Damals überwog der pathetische Grundton. Aber schon meldete gegen den Himmel losgelaffen, und es fämpften nicht fich bei allem Sturm und Drang der Satirzug, der neben lichte Erzengel gegen finstere Dämonen. Die Frage: Wo den feierlichen Geschehnissen einherging. Die bewegliche rheinische ist die Wahrheit? war unbequem geworden. Der aufgestörte Phantaste war immer leicht entzündbar. Im deutschen Rom , im Bourgeois wollte seine Ruhe, sein Vertrauen nicht verlieren. Darum heiligen Köln , war die Bürgerschaft nach den Pariser Februar- wurde der Fragesteller von nervös unlustigen Menschen wie eine ereigniffen in arger Aufregung; man räfonnirte, man warf mit unangenehme Last empfunden. Er hat seine Strafe weg; die dröhnenden Worten um sich; jeder Köll'sche Bürgersmann fühlte Straßendemonstranten haben ihr billiges Vergnügen gehabt; und gedoppelte Kraft in feinen Fäusten. Aber als die Nachricht ein- für ein Weilchen kann man sich wiederum aufs Ohr legen und getroffen war, ein Ouvrier, ein Arbeiter in der Blouse, sei Minister schnarchen. geworden, da war es mit den feierlichen Donner- und Ver Als ob man die lästigen Mahner nicht aller Orten gleich brüderungsreden vorbei. Die Parifer Nachrichten von der Wahl mäßig behandelte; selbst inmitten einer Körperschaft von gleich­des Arbeiters Albert in die Regierung wirfte wie ein Sturz- berechtigten Mitgliedern ist es nicht anders. Wer Mahnungen bad auf einen Theil jener Kölnischen Bürger, die sonst vorbringt, wird von den Erbpächtern der Macht nie fo mannhaft fich die Frühlingsstürme um ihre erhitzten Köpfe mals mit Liebe empfangen und ans Herz gedrückt werden. schlagen lassen wollten. Es war, wie wenn ein dumpfer Druck fich Wenn über militärische Behörden verhandelt wird, so spricht auf die bürgerlich- behäbige Klaffe gesenkt hätte; wie wenn eine trübe der Kriegsminister im Reichstag wegwerfend von den Herren Ahnung diese Leute zum ersten Male beschlichen hätte: das Prole- Genossen"; und Herr v. Stumm gar im hochbegeisterten Bewußtsein tariat pocht an. Und aus den freischenden Bürgern von Köln seiner Größe verbittet es sich, von einem sozialdemokratischen Parla­wurden an diesem Tage schweigsame Leute. mentarier Herr Kollege genannt zu werden. So ganz ernsthaft ist feine Entrüstung, daß er nicht einmal merkt, welche Komik es er­wecken muß, wenn man sich an das Verbot nicht fehrt. Eine ohn mächtige Grandezza wirft immer erheiternd.

Um diefelbe Zeit war es, daß im Often unserer Welt zum ersten Male die russo- flawische Erlöserillusion sich auf die Gaffe wagte. Damals war Paris für diese russische Welt ein Schauplatz, der Ber­