Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Sonntag, den 10. April.

Nr. 71. aldais

30] Am häuslichen Herd.

20 Roman von Jwan Franko.

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1898.

Und dicht an das Ohr geneigt, sprach er weiter:" Gehen Sie augenblicklich nach Hause, Herr Hauptmann, und durchsuchen Sie gründlich alle Schubladen, Schränke, Schachteln und Kassetten Ihrer Frau Gemahlin; nehmen Sie alle Papiere, Ja, ja, ich weiß, Herr Hauptmann sind sehr eifrig in Briefe, Visitenkarten heraus, wideln Sie alles mit Aus­der Pflichterfüllung, aber für ein so großes Opfer gebührt| nahme etwaiger Geburtsscheine oder sonstiger amtlichen Zeug­Ihnen das goldene Verdienstkreuz! Ha, ha, ha! Das trifft nisse, in eine alte Zeitung, gehen Sie damit in die Küche nicht ein Jeder! Eine junge Frau fünf Jahre lang Stroh- und werfen Sie es ins Feuer. Aber thun sie es gleich, ohne wittwe sein lassen!" Zögern!" Der Hauptmann war ganz betäubt.d

Das letzte Wort, das er mit keiner besonderen Absicht ausgesprochen, bligte nur wie ein elektrischer Funke in seinem Kopfe auf, und beschien plöglich eine ganze Reihe von Wahr­nehmungen, erhellte einen ganzen Zusammenhang von That sachen, die ihm vorher zwar als undeutliche Verdächtigungen er­schienen waren, die jedoch sein polizeilicher Verstand erst jetzt klar, wie auf der Hand liegend faßte. Er schwieg einige Minuten und erwog und kombinirte im Geiste alles, was er gehörtund gesehen. Je länger er nachdachte, desto hellere Freude verbreitete sich auf seinem Gesichte. Er warf sich im Sessel umher, machte heftige Bewegungen, als wenn ihm die ganze Haut juckte, und feine ganze Gestalt drückte eine so freudige Veränderung aus, daß es dem Hauptmann mit Staunen und zugleich mit Etel erfüllte.

er

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Was bedeutet das? Was wollen Sie von mir?" fragte halb bewußtlos.

Hirsch klopfte ihn noch immer auf die Schulter.

" Nun, Sie sind ja ein kluger Mensch, Herr Hauptmann. Braucht man da viel zu reden? Sie wissen ja, ich biu Polizeis revisor und verstehe mich aufs Kombiniren. Und dazu ist nicht einmal viel Klugheit nöthig, um herauszubringen, daß die Haupts mannswittwe, die sich mit Auwerbung von Mädchen abgab, und Ihre Frau eine und dieselbe Person sind, und wer weiß, ob jene Frau Szablinska, die gestern verhaftet ist, nicht ihre Geschäftsgenossin ist? Das ist sehr leicht möglich; und die Polizeikommissare, die die Papiere jener Frau durchsahen, mußten es schon ohne mich herausgebracht haben. So eilen Sie denn, Herr Hauptmann. Ich gehe jetzt auf die Polizeidirektion, und werde trachten aus Rücksicht für Sie, Herr Hauptmann, der Sie gewiß au der häßlichen Geschichte ganz unschuldig sind daß die Haus­durchsuchung bei Ihnen erst spät abends oder morgen früh Also, ich habe die Ehre, Herr Hauptmann!" stattfindet. Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte Hirsch seinen Hut

Was haben Sie denn?" fragte er endlich. " Ach nichts! Das tommt so manchmal bei mir vor," meinte Hirsch und dabei blinzelte er mit den Augen und ließ an seinem Mienenspiel erkennen, daß er ein großes Geheimniß in der Seele bewahre und es ihn die größte Willens­anstrengung tofte, es nicht zu verrathen. Und plötzlich sein Gesicht, das die Physiognomie eines Satyrs zeigte, ganz nahe auf und eilte aus dem Zimmer. zum Hauptmann neigend, flüsterte er ihm mit einem ver­traulichen Augenblinzeln zu: Ich bitte, Herr Hauptmann, wohnen Sie in der That dort in jenem Hause auf der Bäckers gaffe?" sib

Nun ja," erwiderte der Hauptmann, unwillkürlich seinen Kopf wegwendend.

" Ju welchem Stockwerk?"

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" Im ersten."

Und ist bei Ihnen wirklich ein Rind krant?" " Ich weiß nicht; als ich ausging, war es unwohl, vielleicht ist es jetzt schon gesund."

Ein unangenehmes, widriges Gefühl bemächtigte sich des Hauptmanns, als er diese Lüge vorbrachte. Doch fühlte er es wohl, daß er sich jetzt unmöglich mit einem Male zurückziehen konnte, und daß dieser verdammte halb trunkene Hallunte aus der Rolle eines demüthigen, verlegenen Spizels in diejenige eines gefährlichen Gegners überging, vor dem man sich in acht nehmen mußte.

Hirsch lächelte halb gutmüthig, halb boshaft mit jenem eigenthümlichen Lächeln, das mehr in der Seele weh thut, als die ärgfte Beleidigung.

" O gewiß, das Kind ist gesund! Ganz gesund! Es ist sogar schon in die Schule gegangen, ha, ha, ha!"

Der Hauptmann knirschte mit den Zähnen, preßte die Fauft auf die Stuhllehne und hielt sich mit aller Gewalt zurück, um den Elenden nicht zu erwürgen, oder ihm den Schädel einzustoßen.

Herrrr!" röchelte er nur, vor Wuth fast erstickend. Aber nein, nein!" beruhigte ihn Hirsch. Ich wollte doch nichts Schlechtes damit sagen, ich verstehe ja, ich verstehe alles!"

" Was verstehen Sie?" Das ist meine Sache; wissen Sie, Herr Hauptmann, ich will Ihnen etwas sagen."

Und Hirsch legte seine Hand auf des Hauptmann's Rücken und begann ihm sogar im Laufe des Gesprächs so von uben herab, protektionsmäßig auf die Schulter zu klopfen. Leider war der Inhalt des Gesprächs ein derartiger, daß der Hauptmann nicht mehr daran denten konnte, den Sessel gegen ihn zu schlendern oder einen Fuß vom Tische abzubrechen und mit einem einzigen Schlage dem Lächeln, den Reden und den Plänen dieses Menschen ein Ende zu machen.

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Der Hauptmann saß einige Minuten wie versteint da, Er fühlte nur ohne etwas zu denken oder zu empfinden. instinktiv, daß nun alles zu Ende war, daß es keine Zukunft mehr für ihn gab. Alle Ziele und alle Interessen seines Lebens waren plöglich abgeschnitten, und wohin er auch blicken mochte, überall gähnte ihm eine bodenlose, unansfüllbare Leere entgegen.

Was er nie für möglich gehalten hätte, jetzt war es ge­schehen die ungeheuere, ewig unanslöschliche Schande war auf sein Haupt niedergestürzt und hatte ihn mit ihrer Last zer malmt. Es schien ihm, als wäre er ein Getreidekorn, das sich in rasendem Wirbeltanze zwischen den Mühlsteinen wand und brehte, bis es unter den Stein gefallen, augenblicklich in tausend Stücke zersplittert, zu Staub, zu Mehl geftampft und jezt empfindet noch jedes Mehlstäubchen wurde; und besonders, einen Moment lang den ungeheuren Schmerz, der durch das gewaltsame Herausstoßen aus dem natürlichen Bus sammenhange verursacht wurde. Plöglich erwachte er aus der Betäubung. Eine furchtbare Angst bemächtigte sich seiner. Ein einziges Wort hielt sein ganzes Wesen wie mit Raubthier­trallen fest, zerrte an ihm und verursachte ihm Fieberschauer. Es war das Wort: Polizei!

Er klingelte, zahlte und begann im Eilschritt nach Hause zu laufen. Er hatte nur einige Schritte zu gehen, doch dachte er, daß gerade in diesen einigen Minuten bis zu seiner Ankunft etwas Schreckliches geschehen könnte. Die Polizei konnte inzwischen tommen und ganze Haufen von abscheulichen Papieren vorfinden - das war im Moment für ihn der Inbegriff alles Schrecklichen. An die Konsequenzen eines solchen Faktums dachte er gar nicht. Das bloße Einschreiten der Polizei in seine Wohnung die gestern noch sein Paradies auf Erden gewesender Zweck dieses Einschreitens bedeutete die Hölle für ihn, und war ihm eine Qual, die seine Kräfte zu übersteigen drohte. Er mußte sich zusammennehmen, seine Vorbereitungen treffen, mußte thun, was zu thun möglich war. Mit Aufbietung seiner legten Kräfte lief er nun die Treppe hinauf, öffnete eilig die Thür und trat ins Vorzimmer. Da er hier niemand fand, eilte er mit derselben nervösen Haft, wie am Tage seiner Rück­fehr aus Bosnien weiter, öffnete die zweite Thür und trat in den Salou .

XII.

Jm Salon fand er Angela. Stehend stützte sie sich mit " Ich weiß ja, Herr Hauptmann, Sie sind ein guter der linken Hand an ein Tischchen und blickte unverwandt Mensch, ein braver Mensch, ein ehrenhafter Mann mit nach der Thüre. Die Beiden sahen einander an, und unwill cinem Worte eine edle Natur. Sie waren freundlich gegen fürlich entrang sich aus dem Munde beider ein Ausruf des mich, deshalb will ich Ihnen etwas sagen, Herr Hauptmann." Staunens. Sie konnten einander kaum wiedererkennen.