Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 82.
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Mittwoch, den 27. April.
( Nachdruck verboten.)
Der Schiffsjunge.
Eine Seegeschichte von Peter Egge . Einzig autorifirte Uebersetzung von E. Brause wetter.
VI.
Ein paar Wochen waren vergangen. Merry Schnor" lief vor gleichmäßigem, schwachem Ostwinde. Der Kapitän, ein langer, hagerer Mann von einigen 30 Jahren, ging oben luvwärts des Mittelschiffs auf und ab, ein wenig ärgerlich darüber, wie lange sich die Fahrt hinzuziehen begann. Ein Monat war bald vergangen, und noch nicht die Hälfte des Weges!
Die Mannschaft war bei bestem Humor.
Laßt uns hier nur noch einen Monat in der Wärme liegen, Jungen, dann geht es nach New- York , und dort feiern wir Weihnachten," sagte Jofum eines Tages während der Mittagsruhe. Das Wetter war schön und warm. Alle Fenster und Thüren standen offen.
1898.
„ Na, Dich sollte Deine Anna gehört haben!" rief der Steward und lachte laut auf. Die anderen stimmten mit ein. Es schlug 2 Uhr.
Die Pfeifen wurden bei Seite gelegt, und die Leute gingen einer nach dem andern zur Thür hinaus.
Benu bekam Befehl, das Messing in der Kajüte zu puzen. Er holte Del, den Buylappen und den Puzstein aus dem „ Malkasten" und begab sich, ein wenig gespannt, zur Rajüte. Im Mittelschiff sah er den Kapitän in der Hängematte unter dem Sonnensegel liegen und schnarchen: Die Frau war viel leicht allein hinten!
Er ging durch die Messe*) in den Salon hinein. Sie war nicht da, und er blieb stehen und sah sich um. Sein Herz Klopfte fast hörbar, und sein ganzer Körper war wie gespannt, als erwartete er, daß plöglich jemand kommen würde.
Das Licht fiel in Strömen durch das große Oberlichts fenster herein. Kleine, feine Pflanzen standen in weißen Töpfen dort oben und streckten ihre Blätter in den Licht strom empor. Ein Kanarienvogel hüpfte im Bauer hin und her und sang. Das Licht spielte auf den Tasten des Pianos Ach, Teufel, bleiben wir hier lieber bis zum Februar und auf den untersten Goldverzierungen der weißgemalten liegen, dann ist der Winter in New- York vorbei. Wir ver- Wände. Der ganze Boden war von einem einzigen großen, dienen unser Geld so am bequemsten," meinte der Steward. rothen Brüsseler- Teppich bedeckt. Auch die Möbel hatten rothe Er hatte sich in die Kajüte gesetzt und rauchte sein Pfeifchen Bezüge. nach dem Essen.
Bist Du verrüdt, Steward," rief Jofum, und die Briefe von unseren Mädeln, die in New- Yort auf dem Konfulat liegen! Mein Mädel schrieb bereits in der Woche, als ich von Hause abreiste. Darauf möcht' ich schwören."
Der Rheder will auch Geld verdienen, und er verdient nichts, wenn wir hier liegen bleiben," schob Michel ein.
O, der hawt Monney genug," meinte Tom, der sich besser auf die Geschäfte der Rhederei verstand, als die anderen. Der hawt Monney, wie Gras auf der Wiese. Der führt feine eigene Schute und hat noch theil an einer anderen."
Er näherte sich still und vorsichtig der Etagère unter dem Spiegel, um ein Bild der Frau als junges Mädchen, als Das Gesicht war kindMerry Schnor, zu betrachten. licher, als jetzt, und etwas schmaler, aber die Augen schienen ihm noch dieselben zu sein, und er griff danach, entdeckte dann aber, daß es in der Etagère feststand: natür lich.- Dann legte er sich auf die Knie und putte eine der messingbeschlagenen Thürschwellen. Die Arbeit ging nur mechanisch, mit langen Pausen vor sich, und er sah sich dabei wieder um.
Es tam ihm vor, als wäre es lange her, seit er einen so gemüthlichen Raum, ein Familienzimmer gesehen hatte. Ihm wurde ein wenig wehmüthig zu Muth, und er empfand eine unflare Sehnsucht nach hellen Zimmern und Menschen, mit denen er froh und vertraut plaudern konnte.
Er starrte wieder das Bild auf der Etagère an. Als er mit der Arbeit an der Thürschwelle fortfuhr, geschah es nicht ohne Bitterkeit, nicht ohne eine Art Unzufriedenheit mit fich selbst. Das Bild und die feine Umgebung ließen ihn seine geringe Arbeit als eine Demüthigung empfinden.
Benn saß in Gedanken vertieft. Wenn New- Yort seine Vaterstadt gewesen wäre, wo alle Lieben und Bekannten seit Jahren auf ihn gewartet hätten, er hätte sich nicht stärker danach sehnen können, als er es nun that. Es war, als sollte er dort jemand treffen, an einem bestimmten Tage, der erst anbrach, wenn er hinkam. Sonst fonnte er ihn verfehlen. Aber diese Sehnsucht erfüllte ihn nicht allein. Seit zwei Wochen hatte er mit Frau Merry Olsen nicht gesprochen. Seit zwei Wochen hatte er sich nur hier und da mit einem Schimmer von ihr begnügen müssen. Er fuhr Er erblickte ein paar kleine Damenschuhe, die aus einer zufammen, als Jokum sagte: Ecke hervorguckten. Er hob sie auf, betastete fie von außen und innen, lange, als tönnte sie nicht wieder fortstellen. Da fiel eine Thräne das blanke auf Oberleder. Er strich sie sehr sorgfältig mit dem Blusenärmel fort und setzte sie schnell auf ihren Platz, als hätte er etwas Böses gethan. Dann machte er sich wieder eifrig über die Thürschwelle her, und bald glänzte sie rein und klar.
„ Na, nun will ich achter ziehen, in Deine Kambüse, Steward. Da hat man die Schifferfrau bei Hand.
So' n Faulthier!" sagte der Steward verächtlich; was da schon zu sehen ist, wenn einer selbst ein braves Weib hat, wie ich...."
"
Aber wenn einer kein Weib hat?" wandte Jokum ein. Sie schlängelt sich im Gehen wie ein Wurm." " Aber, hol mich der Teufel, sie ist hübsch," meinte Jokum wieder ein wenig leiser, als vorher.
" Ja, hübsch ist sie," wiederholten mehrere in stiller Begeisterung.
Besonders in der Nachtjacke."
In der läuft sie ja bis weit in den Vormittag hinein herum," fuhr der Steward fort." Nein, da war doch die Frau vom vorigen Schiffer, mit dem ich fuhr, ein ganz anderes Weibsbild!"
"
Das war aber kein so feines Weibsbild, wie die, die wir an Bord haben."
Bah!" meinte der Steward.
" Pah?" wiederholte Jokum ärgerlich. Glaubst Du vielleicht, ich kenne nicht Schiffer Jensen's Frau auf Tyvholm? Die ist ja so mager und dünn, wie' ne Flaggenstange. Aber unsere Schifferfrau! Hol' mich der Teufel! So eine Tatelage und die blanken Laternen! Wenn Du sie nur ansiehst, so fühlst Du es gleich über den ganzen Körper." Das sag ich auch," murmelten ein paar andere.
"
" Na, ich bin in Santos und Kap Taunio und auf Sizilien gewesen und, weiß der Teufel, wo noch überall, aber was Feineres, wie sie, hab' ich noch nicht gesehen." Jokum sprach, als wäre er fürchterlich zornig.
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Dann stand er auf und begann umherzugehen. Er be trachtete und befühlte die Gegenstände, strich an ihnen entlang und setzte sich auf einen Stuhl.
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Diese Berührung war ihm ein eigenthümlicher Genuß. Er hatte das unklare Gefühl, daß er ihr nahe wäre, daß er an ihr vorbeiftrich. Er öffnete langsam und so leise wie möglich eine Thüre. Das war gewiß ihr Schlafzimmer! Aber er entdeckte sogleich, daß es das des Kapitäns sein mußte. Aus den Reden der Matrosen wußte er, daß das Ehepaar fein gemeinsames Schlafzimmer hatte. Dann schlich er sich vorsichtig, wie ein aufgestörter Dieb, über den Boden hin einer kleinen Thür und zweiten öffnete sie mit großer Vorsicht. Sobald sein Blick den kleinen Raum drinnen übersehen hatte, wußte er, daß es ihre Kabine war. Sie wurde fast ganz von einem Bett ausgefüllt. Die Bettdecke lag schief darauf, und einige Pappschachteln, Zeitungen und ein Buch waren darauf verstreut. Der Junge gaffte eifrig umher und spürte einen Schlafzimmerduft. Er erinnerte sich plöglich, daß das Buch auf der Bettdecke dasselbe war, in dem sie auf Deck gelesen hatte, und er bekam große Lust, das Titelblatt anzusehen. Er hatte Bedenken, die Thür schwelle zu überschreiten. Aber er that es schließlich doch.
*) Der Speiseraum in der Passagier oder Kapitänskajüte.