Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 86.
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Dienstag, den 3. Mai.
( Nachdruck verboten.)
Der Schiffsjunge.
Eine Seegeschichte von Peter Egge . Einzig autorifirte Uebersetzung von E. Brause wetter. Seine eigene Unbedeutenheit wurde ihm in diesen Tagen flar. Früher hatte er bisweilen ein gewisses Selbstgefühl empfunden, wenn er daran dachte, daß er, der begabte und gebildete junge Mann aus guter Familie, seine Studien hatte zum Teufel fahren lassen, um Seemann zu werden. Das mußte ihn doch gewiß in ihren Augen erheben!
Aber nun? Seine Stellung irritirte ihn ständig, wenn er an sie dachte. Und das geschah oft.
Sie erwies ihm im Grunde genommen nicht mehr Aufmerksamkeit als den andern. Sie grüßte ihn freundlich, wenn er zuerst grüßte, und sagte hier und da einige Worte zu ihm. Aber so war sie auch gegen die anderen. Sie hatte ihm freilich in Europa Abmusterung versprochen; aber das hatte sie wohl nur aus Mitleid gethan. Sie hatte ja gesehen, daß er beinahe Hu, daß er niemals etwas anderes als ein Schiffsjunge sein sollte, so lange sie ihn sah!
1898.
barsten Umwegen wieder aufgetaucht und hatten seine Hoffnungsfreudigkeit zerstört.
Er ging zu den Kameraden hinein. Es wurde ihm zu falt auf Deck. Geschwätz, Lachen und lärmende Freude schlug ihm entgegen.
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Alle ausgenommen Tom und Benn- waren aus Arendal, und drei oder vier von ihnen hatten gemeinsame Bekannte in New- York , die sie zusammen besuchen wollten. Und fie wurden niemals damit fertig, von diesen Besuchen zu reden.
Einer schwagte begeistert von der dicken Liese und sann zum einundzwanzigsten Mal darüber nach, ob sie noch hinter'm Buffet bei Desen aus Barbu stand, der bei Brooklynbridge eine Kneipe hatte.
Ein anderer drückte die Hand eines Kameraden und schwor hoch und heilig, er würde ihn zu einem Wäschermädel in Fourty- Street mitnehmen. Aber Jens Christian erbettelte sich Hilfe, um in New- York einen Freiersbrief zu schreiben. Er nahm Jokum beim Stragen, denn nun wollte Jens Christian heirathen, wenn er heimkam. Das sollte so ver teufelt klar dastehen, daß er das Hannchen haben wollte, daß der verdammte Klempnergeselle, der auch Hahnenbeine hinter Wenn in der Roof von der Schiffersfrau" gesprochen ihr her machte, pfeifen und trähen sollte. wurde, ärgerte er sich über die anzüglichen, oft zynischen Der fleine Tom saß auf seiner Kojendecke zusammenWorte. Von seinem Platz in der Ecke behielt er die Kame- getauert und las feinen englischen Roman von Liebe und raden im Auge und beobachtete sie. Er sah ihren Augen, die Revolverschüssen.
weinte.
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durch den Tabaksrauch leuchteten, an, wie vergafft sie in sien Diwind spielte auf einer Mundharmonika eine traurige waren, und er fühlte die Eifersucht in seiner Brust bohren. Seemannsweise, die ein paar Kameraden hie und da mitWenn Tom zum neunzehnten oder zwanzigsten Male daran fangen, während sie auf ihrer Schiffskifte unter sich Seife, erinnerte, daß die Frau ihm in einer Kneipe Whisky spendirt Streichhölzer und Tabak theilten, die sie einem von ihnen abhatte, fühlte Benn, daß er ihn haßte.- geschwazt hatten.
X.
Noch war Merry Schnor" nicht ganz aus dem Passat herausgekommen. Der Kurs ging in nordwestlicher Richtung und wurde nicht selten einen Strich nördlicher genommen. Die Luft war fühl geworden. In den Nächten froren die Leute bisweilen auf Wacht, und die Kälte nahm ständig zu, je mehr das Schiff in der frischen Brise gegen das falte Nord amerika vordrang.
Jedesmal, wenn Benn erwachte, um auf Deck zu gehen, war er darauf gefaßt, eine stärkere Kälte zu spüren, als da er sich in die Koje gelegt hatte, und diese betrübliche Erwartung traf fast immer ein.
Es herrschte eine menschenfreundliche Stimmung in dem fleinen Raum. Jungen, die einander gehänselt hatten, wurden nun offenherzig und freundlich. Keiner dachte an Arbeit, bevor es acht Uhr schlug, und die Nachtwache begann.
Ungefähr dreißig Meilen vor New- York bekam Merry Schnor" Gegenwind. Es ward unermüdlich gekreuzt, und die Leute wurden ungeduldig.
Ja, nun waren sie alle darüber einig, daß sie hier bis nach Weihnachten liegen und laviren und brassen konnten. Die Jungen drängten sich oben in Lubwart mit ihrer Arbeit zusammen, um sich gegen den falten Wind zu schützen. Sie guckten neugierig über die Reeling: die Schuten standen vor vollem Segel von New- York hinaus; große Postschiffe mit drei bis vier riesigen Schornsteinen durchschnitten schnell und sicher das Wasser und spalteten es in hohe, flare Wellen.
Die Kameraden sprachen von nichts anderem, als von New- York , von Weihnachten dort und den Briefen. Er saß stumm in seiner Ecke und hörte zu. Er sehnte sich auch ans Land, aber ohne jene herzpochende Freude, wie früher. Er Ein paar Stunden, nachdem der Lootse an Bord geversprach sich nichts mehr von New- York . Er hatte die fommen war, sprang der Wind aber um. Der zweite SteuerEmpfindung, daß er seine Erwartungen zu hoch gespannt und mann kam nach vorn und sagte freudestrahlend: sich selbst genarrt hätte.
Er sah sie bei Tage nun selten auf Dec. Zeigte sie sich, war sie in Shawls, bisweilen in Belzwert eingepackt und verschwand um ein Weilchen wieder.
0930 113
Die Freude fannte keine Grenzen. Alle Arbeit, die nicht unbedingt nothwendig war, wurde fortgelegt. Die Am Abend ging er aus der Roof hinaus, sobald er ge- Sungen tanzten und rangen, um sich warm zu machen, während gessen hatte. Er wollte den Kameraden nicht zuhören. Seine fie auf Ordres warteten. Jedes Mal, wenn eine solche fam, Erwartungen wurden dort drinnen noch dürftiger und schwanden sprangen alle Mann mit feltener Lebhaftigkeit an die Arbeit. schließlich unter ihrem Lachen und frohen Geplauder völlig Es war, als glaubten sie, gerade dieses Manöver würde sie dahin. früher als berechnet ans Land bringen. Wenn sie nach New- York tam , blieb sie wohl die ganzen In Benn's Gemüthsstimmung hatten die Worte des Lage am Land und amüsirte sich mit Freundinnen und Be- zweiten Steuermanns einen großen Umschlag hervorgerufen. tannten. Sie freute sich wohl darauf, geradeso wie die Sie bliesen seine trüben Gedanken fort. Er sollte wirklich in Matrosen; sie hatten alle jemand, zu dem sie hingingen, New- York sein, in Amerika ! Noch heute!... Er war nicht viele Meilen von dort, jemand, bei dem sie es sich am Abend gemüthlich machen mehr wo Briefe lagen und auf ihn warteten! Briefe bon der fonnten. Sie hatten auch hier ein Heim. Mutter, den und Dann fonnte er sich wohl ärgerlich fragen:„ Was willst Schwestern den und Brüdern in Christiania Und den Kameraden. Du? Was?" Konnte er sich nicht den Andern anschließen, von sollte morgen an sich für sein Monatsgeld amüsiren oder mit Oivind ans Land sie schreiben und Antwort bekommen! Und dann fam gehen zu seinen Bekannten aus Arendal? Er konnte massen- Weihnachten und die freien Tage, die er in norwegischen FaHaft Briefe an seine Mutter und seine Freundinnen und milien verbringen sollte. Und dann ging es nach Europa Kameraden schreiben; dann bekam er natürlich wieder von zurück wieder heimwärts. Allen Briefe, wenn er sie bat, sofort zu schreiben. Und all das, was er von der Reise zu erzählen hatte und besonders von New- York !
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er
Am Nachmittag rief einer, daß er Land sähe, und die Leute strömten oben auf der Bak zusammen.
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Noch ist wenig zu sehen," meinte einer. Die Jungen Aber ehe er sich selbst dessen recht bewußt war, waren hüpften und liefen wieder auf das Deck herab, und bald war die beunruhigenden, peinigenden Gedanken auf den wunder- lder Tanz um den Fockmast in Gang.