Unterhaltungsblatt des Vorwäris

Nr. 104.

Sonntag, den 29. Mai.

( Nachdruck verboten.)

Frühkonzert.

Von Hans Ostwald .

" Ich will nicht!"

Nu, schrei doch man nich so!"

,, Und wenn ich sage, das Mädel soll nich mit dem Menschen gehen, dann hat sie zu hören!"

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1898

Sauberkeit herrschte, die im Verein mit den gestickten Decken auf dem Bett und dem rothen Ripssopha die Gemüthlichkeit des Zimmers noch bedeutend erhöhte. Nur darum allein war Wilfe's Namen nicht auf einem der Pappdeckel am Hausthor zu finden.-

Die Nachbarinnen meinten, jetzt habe sie einen Dummen gefunden. Aber, man muß sich nicht immer an die Nachbaren kehren, dachte Klara und ebenso ihre Mutter, die am Pfingst­morgen den Streit mit ihrem Manne gehabt und das Fenster geschlossen hatte.

Mit dem jetzigen Zimmerherrn war Klara aber doch ver trauter geworden. Als sie eines Mittags nach Hause gekommen war und in dem vermietheten Zimmer ein bischen Staub So flangen zwei Stimmen aus der Arbeits- und Wohn- wischen wollte, hatte sie auf dem Tisch ein Buch über die stube des Schneidermeisters Wilfe. Gleich darauf wurde Frauenfrage gefunden. Sie hatte es sich am Abend δας. Fenster geschlossen. Nun drang die zornige von dem Zimmerherrn, dem Tischler Otto Kempf, Stimme des Schneidermeisters nur noch gedämpft heraus. Auf ausgeliehen. Nachdem sie es gelesen, hatte sie mit dem schmalen, langen Hof herrschte wieder die Sille der ihm disputirt. Dann hatte er sie zu Versammlungen ein­Nacht. Die Fenster der Wohnungen waren alle geschlossen. geladen, und so waren sie schließlich ganz gute Freunde In dem fahlen Dämmerlicht des kommenden Morgens sah geworden. der Hof so todt, so nüchtern aus. Am Tage, ja, da war hier ein ganz anderes Leben! Eines der fünf Fenster jedes Stock­werkes der beiden Seitenflügel oder des Quergebäudes war stets geöffnet. Entweder flatterte ein weißer Vorhang heraus, oder das Klappern eines Bügeleisens und das mehr oder weniger kunstvolle Pfeifen eines Schneiders drang auf den Hof. Es tam auch vor, daß aus mehreren Stockwerken zugleich das Klappern der Bügeleisen flang und oben einer pfiff: Ach Du lieber Augustin!", während unten ein anderer mit Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" ihn begleitete und in der Mitte ein dritter dazu gab: Du bist verrückt mein Kind". Doch das störte die Bewohner der Hinterhäuser nicht. Es waren mit wenigen Ausnahmen Schneider mit ihren Familien, die alle die Eigenthümlichkeiten ihres Standes kannten und verstanden. Und was man versteht, vergiebt man bekanntlich auch.

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Was hast Du denn gegen Herrn Kempf?" fragte sie ihren Mann. Du solltest froh sein, daß sich so ein tüchtiger, ordentlicher Mensch um Deine Tochter bemüht."

,, Wenn ich sage, ich will nicht, daß Klara mit einem so gottlosen und... und.. na, ich will das nicht! Und was ich sage, das geschieht! Sonst sollt Ihr mal sehen...!" Er fuhr mit dem Bügeleisen hastig über die neue Hose. Dann stellte er es mit einem wuchtigen Ruck beiseite und zog seine Hose hoch, die langsam herabgeglitten war, so daß schon fast das ganze Hemde heraussah. Seine Frau fletterte unterdessen auf den großen, breiten Arbeitstisch, der fast die ganze Fensterseite einnahm, und blies die darüber­hängende Petroleumlampe aus, deren Schein schon eine ganze Weile von der eindringenden Dämmerung unterdrückt wurde. Dann ging die Frau in die Küche.

Klara stand dort vor einem kleinen Spiegel und kämmte sich die Haare, die sie in einem einfachen Knoten zusammen­drehte und vorn nur ein wenig aufzupfte, ohne sie zu brennen. Am Fenster putzten die beiden jüngeren Söhne Wilke's, die auf Feldbetten in der Küche schlafen mußten, während Klara in der Wohnstube bei den Eltern schlief, ihre Stiefel. Sie wollten eine Frühpartie machen.

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Und

Das Haus lag in einer Straße des Südwestens, nicht weit von den Hauptverkehrswegen mit ihren großen Herren­garderoben- Geschäften. Im Hausthor war eine Pfandleihe des Vorderhauses angekündigt, groß, breit, aufdringlich. Daneben und darunter befanden sich einige Porzellan- und Blechschilder mit Namensaufschriften und dem auf allen Schildern wieder­tehrenden Titel: Schneider". Ueber der aufdringlichen An­Kündigung des Leihhauses aber waren eine ganze Anzahl der be­kannten weißen Pappschilder mit der Aufschrift: Hier ist ein möblirtes Zimmer zu vermiethen" befestigt. Es war das ein Zeichen, daß die Wohnungen für die Inhaber zu theuer waren, und daß sie alle einen Mitträger der schweren Miethslast suchten. Wilke's und noch zwei oder drei Miether waren zu= Du gehst ruhig," sagte Frau Wilfe. fällig nicht hier vorn angeschlagen. Auf keinem der weißen Nun, selbstverständlich!" meinte Klara, während sie sich Pappschilder war neben dem üblichen, mit ungelenker Hand von der Mutter die Taille zuhaken ließ. Ich komme so schon geschriebenen zu erfragen bei..." der Name Wilke zu so wenig aus.. Wenn's nach Papa'n ging, möchte ich über­lesen. Sie hatten, wie die Hausgenossen sagten, in ihrer haupt nur in der Stube hocken." Tochter einen feinen Köder für die jungen Herren, die Na, gewiß gehst Du!.' n junges Mädel muß auch nach einem Schlafraum fuchten. Das war Vergnügen haben. aber' n bischen frische Luft und etwas zu biel behauptet, denn Klara Wilke war dann dachte sie darüber nach, wie man Papa besänftigen den ganzen Tag im Geschäft. Wie Frau Wilke könne, wenn nun Herr Kempf wirklich die Klara haben unten im Milchkeller erzählte, war es ein sehr vornehmes wolle. Denn Herr Wilfe war ein gottesfürchtiger Mann, Geschäft ein Schirmgeschäft in der Potsdamerstraße. Und der an den großen Feiertagen in die Stirche ging und wie zur Vornehmheit gehört bisweilen auch eine schmale Kost und von Sünden befreit wieder heimkam. Er war der festen Klassische Einfachheit in der Lebensführung. Der Befizer des Meinung, daß er sich nicht habe kirchlich trauen lassen, sei Schirmgeschäftes bewies denn auch seine Vornehmheit, schuld an ihrer wirthschaftlichen Lage. Sonst hatte er doch indem er seinem Personal die Einfachheit der Lebens- alles gethan, was nöthig war, daß es einem gut ging. Er führung durch schmale Gehälter möglichst erleichterte. hatte sich in die Innung aufnehmen lassen und führte doch Bei alledem war es zu verwundern, daß Klara immer auch den Meistertitel, wenn er auch bis jetzt immer noch so frisch und sogar beinahe elegant gekleidet ging. Sie allein auf seinem Arbeitstisch gesessen hatte. Und außer­ließ es eben niemand sehen, wenn sie sich abends und Sonn- dem er war doch immer der Herr im Hause, wie es tags vormittags hinsekte, um ihre Röcke und Kleider selbst zu einem echten Mann zukommt. Seine Tochter sollte einmal nähen. Die Nachbaren glaubten, daß Klara Kleiderlurus kirchlich getraut werden. Und der Kemps, dieser gott­treibe, um einen der Zimmerherren in das Joch der Ehe zu lose Revolutionär, der würde das nicht zugeben, wenn Locken. Aber da Klara um die Zimmerherrn sich nicht im ge- er Klara heirathete. Dabei kostete doch heute eine kirchliche ringsten bemühte, muß man diesen Glauben für einen Glauben Trauung nichts! Ja, zu seiner Zeit! Da war sie noch kost­erklären, der ja immer nur aus erdachten Dingen besteht und spielig gewesen! sich nicht um das Wissen kümmert und geradezu alles, was man weiß, für unwesentlich erklärt.

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Schneidermeister Wilke war Herr im Hause. In der Küche aber sagte Frau Wilke, als die Söhne fort waren und Klara über den Hof ging, wo Herr Kempf sie erwartete: Na, endlich ist doch Ruhe! Nun kann man doch gemüthlich auf­räumen."

Klara hatte nie mit einem der Zimmerherren ein Wort gesprochen. Die jungen Leute erstaunten immer nicht wenig, wenn Klara ihnen mal einen Brief ins Zimmer reichte, den der Postbote eben für sie gebracht hatte. Sie versuchten auch, mit ihr anzubandeln, aber es wurde nie was draus. Darum zogen sie stets bald. Doch Wilke's hatten auch schnell wieder Klara und Herr Kempf gingen rasch die Straße entlang. bermiethet, weil nämlich in dem Zimmer eine peinliche Es war schon ganz hell. Die Läden und Fenstervorhänge

Damit langte sie sich den Scheuereimer vor, in dem große Zweige duftender Maien standen.