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waren noch geschlossen. Nur vor den Milchkellern wurden von Männern in blauen Schürzen Milchfässer abgeladen. Aber am nächsten Platz, auf dem der verblühende Flieder noch stark die Luft erfüllte, standen schon viele Gruppen, die sich zum Frühkonzert treffen wollten. Klara und ihr Begleiter schlossen sich einer Gruppe an, und dann ging es unter Lachen und Erzählen nach einem Parklokal im Osten.
Unterwegs blieben Klara und Kempf etwas zurück. Sie erzählte, daß sie am Sonnabend sehr viel im Geschäft zu thun gehabt habe. Dabei versuchte sie, mit dem großen Mann gleichen Schritt zu halten.
Plöglich hob er seinen Kopf und sagte:" In den hellen Kleidern mag ich Sie sehr gut leiden."
Dabei umspannte er mit seinen Blicken ihre ganze Gestalt. An dem bloßen Hals, dessen fein geäderte Haut sich scharf von dem weißen Battist abhob, blieb sein Blick haften. Einen Augenblick zeigte sich der unzufriedene, sehnsüchtige Ausdruck in ihrem Gesicht, der früher dort die Herrschaft geführt hatte. Doch im nächsten Augenblick lächelte sie halb verlegen, halb befriedigt und sagte: So, so?"
Er schritt langsamer, sich ihr dabei nähernd. Sie gingen ein Stück, ohne zu sprechen. Mit einem Male hatte er seinen Arm auf ihre Schultern gelegt und beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte: Wissen Sie, Klara, ich habe Sie eigentlich
ganz gern."
Diese plötzliche Liebeserklärung auf der Straße, wo alle Menschen sehen konnten, wie er sie umarmte, verlegte sie. In ihren glatten, reinen Zügen erschien Furcht. Sie schob feinen Arm von den Schultern und schnippisch und energisch den Mund hochziehend antwortete fie:" Ja, ja! Ich weiß schon." Sie schwiegen den ganzen Weg über.
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Als sie mit der Flasche und den Gläsern in die Wohnstube kamen, brummte Wilfe immer noch:" Ich bin Herr im Hause." Na, Vater Wilfe, wollen Sie nicht auch auf das neugebackene Baar anstoßen?" Er sah den im Glase funkelnden, hellen Kognat... Na, Prost! Kinder... Auf Euer Glück!"
Sonntagsplauderet.
Pfingsten! Für den Berliner ist mit diesem Worte die Vorstellung von einem fröhlichen Ausflug unauflöslich verknüpft. Es buldet ihn an diesem Tage nicht zu Hause. Wer es irgend vermag, fährt weiter hinaus, nach einen durch seine Naturschönheit berühmten Ort es giebt solche, trotz des schlimmen Rufes, auch in der Mark. Die Meisten müssen sich freilich mit den bescheidenen Reizen der nächsten Umgegend begnügen. Es kommt nicht allzu viel darauf an, wo man hingeht. Eben ist die Natur zur vollen Entfaltung ihrer Herrlichkeiten gelangt, in diesem Jahr ging es besonders schnell. Ueberall das frische faftige Grün der Bäume, der Gräser, der Felder. Gehört nur noch das reine Blau des Himmels dazu, und es ist eine Farbenharmonie von bezaubernder Schönheit. Meint es der Himmel gut, dann werden auch wieder aus allen Straßenzügen, die ins Freie führen, die dichten Massen der Ausflügler hervorquellen. Nur aus der bedrückenden Enge der Großstadt, aus der stidigen Atmosphäre heraus, aufathmen, Freiheit, Licht und Luft genießen!
Daß das Naturgefühl des heutigen Menschen sich mit solcher Macht geltend macht, ist einer der bezeichnendsten Züge in dem Empfindungsleben der Zeit. In dem Herzen des Großstadtmenschen lingt es beständig wie ein Heimweh nach der Natur. Jetzt erst, nachdem er von der Natur losgerissen ist, denkt er an sie mit sehnender Liebe und mit einer Teisen Resignation. Die Tische im Garten waren dicht besetzt. Meistens junge und doch wird es wenige geben, die in der Großstadt Leute. Die Mädchen in hellen Kleidern. Viele fröstelten. gelebt, ihr mächtiges Treiben empfunden haben, denen die Die Feuchtigkeit der Morgenstunden lag noch in der Luft und Rückkehr in fleinere, ruhigere Verhältnisse nicht als setzte sich in den Kleidern fest. Dennoch lachten und scherzten Verbannung erschiene. Auch die Thatsache, daß Maler wie die alle. Dazu übertönte auch noch das Klappern der Kaffeetassen die Musik des Orchesters.
Herr Kempf und Klara hatten sich an die Ecke der aus mehreren Tischen zusammengestellten Tafel setzen müssen. Sie saßen abgetrennt von den andern. Klara hatte ihm Kuchen vorgeschnitten. Doch er hatte keinen essen können. Seine großen Hände zitterten, wenn sie die Tasse zum Munde führten.
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Worpsweder bei Bremen die Einsamkeit des Landes dauernd auffuchen, spricht nicht dagegen. Sie brauchen die Konzentration und die Vertiefung in die Natur für ihr Wert, auch ihre Empfindungswelt ist auf dem Boden der Stadt entwickelt. Es muß aber wohl ein Besonderes hinzukommen, das die allgemeine Unzufriedenheit mit der Stadt groß gezogen hat. Wir fühlen uns unbehaglich in ihren Straßen, weil diese einen Charakter angenommen haben, der abstoßend wirkt. Sie sah verlegen um sich. Er schien sehr erregt zu ist vor allem schlimm daran. Es ist eine junge Stadt, deren sein. Und sie fand keinen Gesprächsstoff. Das war alles so größter Theil unter den heute herrschenden Prinzipien des Städtebaues entstanden ist. Andere Städte haben wenigstens ältere nichtig Jenseits der Straße, über den Hain , wurden die fahlen Viertel, in denen man sich behaglich fühlt und anregende Bilder Wolfen von einer lichten, fast bläulichen Röthe durchdrungen. fieht. In ihren neuen Theilen sind aber fast alle großen Städte Die Röthe überzog den Himmel immer weiter. Das Wolfen- gleichgeartet. Wo immer von dem Eindruck, den unsere Stadt macht, gedach schien zu brennen. Dann wurde die Röthe sanfter. sprochen wird, läßt man fein gutes Haar an ihr. Der Berliner Die vielen kleinen Wolfen prangten in einer matten Flieder- selbst schimpft wader mit. Es ist auch wahr, die Straßenzüge, die farbe. Häuser, die Denkmäler vermögen selten eine ästhetische Befriedigung Klara hatte nichts mehr von dem Lärm und der Musik zu wecken. Ungeheuerliche Sünden gegen den guten Geschmack gehört, als sie die Morgenröthe sah. Als echtes Großstadt- fommen in ihnen vor. Nächstens wird wieder so ein Bau eröffnet, tind hatte sie fast noch nie einen Morgenaufgang gesehen. der glücklicherweise verborgen genug liegt, daß er nicht so leicht geDieser erschien ihr überhaupt der erste zu sein.„ Da, da l" sehen wird das Abgeordnetenhaus. Und doch hat Berlin etwas, das wirkt: Das imposante Leben und die grandiose Masse. Unser flüsterte sie und wies nach dem Himmel. Kempf blickte auf. ästhetisches Empfinden ist noch zu sehr auf das Einzelne gerichtet, so daß Die Röthe wurde matter und matter. Nur in den wir die Werthe, die nur durch architektonische Maffen entfaltet werden Wolfen im Westen wiegte sie sich noch. Da erhob Klara ihre tönnen und in ihnen unbedingt liegen, gar zu leicht übersehen. Hand. Zitternd strich sie dem Manne mit den Fingerspigen Selbst in den eintönigen, rechtwinklig gegeneinander geführten über das Gesicht. Heiß, brennend, zuckten die schmalen, weichen Straßenreihen, in denen sich ein vierstöckiges Haus an das gleichförmige andere reiht, liegt etwas, das unsere Empfindung mächtig Finger über die Backen... den Schnurrbart... zurück anregt. Und dann die Fülle von menschlichen Beziehungen, die hier " Wollen Sie auch mit keiner andern... mehr gehen?" auf einen fleinen Raum zusammengedrängt find! Ergriffen sagte er:„ Wenn Sie... mir... alles jein wollen?"
Sie beugte den Kopf, mit ihren großen, verlangenden Augen in seine Augen blickend.
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Na ja! Jezt kommen sie sogar schon untergeärmelt an!" fagte Herr Wilte aufgeregt, der eben eine Pause benutzt hatte, um aus dem Fenster zu sehen.
Nu mach doch man feinen Radau!" meinte seine Frau ängstlich, die sich hastig die Hände abwischte." Herr Kempf ist doch.
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Man denkt sich das Ideal der Zukunftstadt gern, indem man eine ungemeine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse voraussetzt, so daß die einzelnen Häuser weit auseinander gezogen werden fönnten. Entfernungen spielten ja dann keine Rolle mehr. Jedem wäre es erlaubt, weit draußen vor der Stadt zu wohnen. Das ganze Land wäre eigentlich eine große Stadt. Es giebt auch ein vollbefriedigendes Stadtbild, das im wesentlichen nicht von dem heutigen verschieden ist.
Die heutige Straße wird besonders langweilig durch die Art, wie die Fenster in den Fassaden behandelt find. Es ist alles auf die äußere Symmetrie berechnet. Eine Reform müßte aber von den praktischen Bedürfnissen ausgehen. Man müßte das Fenster dahin setzen, wo man es für den Innenraum braucht. Man denkt auch
„ Ein gottloser Kerl ist er! Und ich will das nicht!... Wer ist Herr im Hause?!" Unterdessen kamen die beiden jungen Leute schon in die daran, wie unsinnig es ist, ein Zimmer ohne besonderen Grund Wohnung.
" Ja, Du, wie sag' ich's denn nur meinen Eltern?" legen blieb sie vor ihm stehen.
durch mehrere Fenster zu erhellen und so ein unruhiges Licht zu er Verzielen. Das Bild der Straße würde auch einen ganz anderen Eindruck machen, wenn man nicht mehr die wagerechte Linie ausschließlich betonte, indem man die einzelnen Geschosse gegen einander abschnürt. Hier und da begegnet man schon dem Bestreben, die vertikale Linie stärker hervortreten zu laffen. Vielleicht lernt man es auch einmal empfinden, daß die Ballone und Erker, wie sie jetzt
Ja... wie...?" Er drehte sich plößlich um:" Hier, den Kognak dann müssen Sie auf unsere Verlobung anftoßen."