MnterHaltungsblatt des HorwärtsNr. 116.Donnerstag, den 16. Juni.1898(Nachdruck verkoten.)Mm die Freiheit.Geschichtlicher Roman aus dem deutschen Bauernkriege 1523.Von Robert Schweichel.„Ja, sa, er hat sich ihrer erbarmt," sagte Wölffl, als obihm die Worte nicht aus der Kehle wollten, und er rücktean seiner Pelzmütze hin und her.„Just, wie ich meineMähren anschirrte, brachten sie sie— alle drei— tobt— ausdem See."Seine Zuhörer waren tief erschüttert. Die Männerstanden stumm, während die Frauen ihem Gefühl durch Aus-rufe des Entsetzens und durch Thränen Luft machten. Esschien, als ob die Männer aus Furcht, ihre geheimsten Ge-danken zu verrathen, einander anzusehen sich scheuten.„Und hier, unter dieser Linde hat uns neulich der Prädi-kant unseren von Gott ausgestellten Freibrief ausgelegt, denkeine Menschenhand zerreißt," erhob Simon mahnend seineSttmme.Wendel Haim entfernte sich. Simon folgte ihm.„Feig schiltst Du dem Konz sein Thun?" fragte ihn Simonmit gedämpfter Sttmme. Wendel Haim sah sich unruhig um.„Feig?" wiederholte Simon.„Er war ein Einzelner gegendie Gewalt, die ihn zur Verzweiflung trieb. Aber wie heißestDu es alsdann, wenn wir, anstatt mitsammen unseren Plackernoffen die Sttrn zu bieten, uns mit Schafsgeduld den Fuß aufden Nacken setzen lassen? Wie die Bienen sammelt unserFleiß in die Zehntenscheuern, und wir dulden's, daß die Herrenden Honig verzehren."„Man kann mit dem Kopf halt nicht durch die Wandrennen," vertheidigte sich Wendel Haim.„Haben's doch diearmen Leut' hier und dorten schon versucht, sich mit Gewaltwider die Herren zu setzen. Es hat nimmer gelingen wollen.Wurd' ihr Vornehmen nicht schon vor der Zeit verrathen, wardoch den Pfaffen das Beichtgeheimniß nicht heilig, so wurd'sin Blut erstickt. Ich trau keinem."Simon ließ sich jedoch nicht entmuthigen. Er wollte liebermit dem Schwert in der Hand erschlagen liegen, als das Jochder Knechtschaft weiter schleppen. Während Wölffl auf feinerHandelsfahrt die traurige Geschichte des Konz Hart in allenDörfern verbreitete, benutzte Simon die fülle Zeit in derLandwirthschaft, um mit den Leuten über ihre Lage ausführlichzu reden. Die Rede des Prädikanten hatte so manchen ausdem Elend, in dem er bisher stumpf und dunipf dahin gelebthatte, jäh aufgerüttelt, erschreckt sah er den Abgrund zu seinenFüßen gähnen und ergriff begierig die Hand, die Simon ihmreichte.Am Sonnabend fuhr er nnt einer Last Dinkel nachRothenburg zu Markt. Es hatte in den Tagen vorher zumersten Male in diesem Winter geschneit, dann war Frost ein-getteten und es gab eine prächtige Schlittenbahn. Friedcl, derKnecht, mußte mitfahren. Der Wochenmarkt war aber nur einwillkommener Vorwand, um, wie verabredet worden, mit denFreunden unauffällig im Bären zusammen zu tteffen. Käthedrängte es, ihn zu bitten, daß er sich nach Hans Lautner er-kundigen möchte. Dennoch ließ sie ihn davon fahren, ohneihren Wunsch über die Lippen gebracht zu haben.Sie hatte die Woche über angestrengter als sonst gearbeitet, um sich die„dummen Gedanken", wie sie es nannte,aus dem Kopfe zu schaffen. Denn es erschien ihr gar zudumm, daß sie fortwährend um den blonden Gesellen sichsorgte. Wenn ihm etwas Ernstliches zugestoßen wäre, sowürde Kaspar es ihr schon angezeigt haben. Es wollte nichthelfen, und heute nun gar nicht. Die Schwägerin hatte esihr längst angemerkt, daß sie nicht mit der frohen Sorglosigkeit arcs Rothenburg zurückgekommen, mit der sie hingegangenwar.„Das Mädel ist wie aufs Maul geschlagen," klagte sieeinmal ihrem Manne.„Ich kenn' mich gar nit mehr in ihraus." Er wußte ihr keine Erklärung zu geben.„Wenn ihrWeibsleute euch nicht in einander ausiennt, wer soll's denn?"sagte er. Aber auch er machte ihr Sorge. Denn sie waran seine häufige Abwesenheit von Hause und seinBrüten daheim, ohne daß sie erftchr, was er trieb und dachte,nicht gewöhnt. Der Argwohn, der in ihrer Brust keimte,lenkte ihre Aufmerksamkeit von ihrer Schwägerin ab.Simon blieb ungewöhnlich lange aus. Schon wurde esdunkel. Käthe ging in die Küche und zündete das Abendfeuerauf dem Herde an. Die Schwägettn folgte ihr. Die Kinderwaren bei dem Großvater auf dessen Stube.„Ich weiß gar nit, warum der Bauer heut so langmacht," begann Ursel nach einer kleinen Weile, ihrer UnruheAusdruck gebend.„Sonst war er um diese Zeit immer schonvom Markt zurück. Mir schwant nichts Gutes."Käthe blies erst das Feuer an; dann fragte sie:„Wieso denn?"„Er hat was vor, seit er mit Dir letzt in Rothenburgwar," seufzte Ursel.„Ich merk's hatt, wenn er auch mit derSprach' nit heraus will. Und Du weißt auch darum. Aberdas Hilst ja alles nix. Wir kommen blos ttefer ins Unglück,und wer's nachher auszufressen hat, das sind die Kinder."Käthes braunröthliche Wangen erglühten. Sie hatte ihremBruder versprechen müssen, über den Beschluß, der im Bärengefaßt worden war, zu schweigen.„Du siehst nach DeinerArt halt zu schwarz," rief sie.„Das Elend muß ein Endhaben, Schwägettn. Ich wollte, daß ich ein Bub' wäre undauch dazu thun könnte! Fürchten thu' ich mich nit und KraftHab' ich auch wie so mancher Bub' nit. Aber da schlenkerneinem die Weiberröck' um die Beine und aus is's."„Jesus, Matta, was fallet Dir denn ein, Mädel?" fragtedie Bäuettn, die sich auf einem Schemel niedergelassen hatte,mit verwunderten Augen.„Nu, da hockst Du und wattest auf den Bauer," ttefKäthe hefttg,„und— und—. Ach, es ist gar zu dumm,daß wir Frauensleut' in allen Stücken immer zuwattenmüssen, bis es an uns kommt, ob's einen auch in allen zehnFingern kribbelt." Schmollend warf sie den Mund auf.Ursel sah sie noch immer erstaunt an; dann sagte sie:„Wirst es schon noch lernen, geduldig sein, wann Du erst einenMann und Kinder hast."„Das wär' erst recht ein Elend; ich Heirath' nie!" ant-wottete Käthe entschlossen.„So sagt jede," erwiderte die Schwägettn, und einmattes Lächeln glitt über ihr schmales sorgenvolles Gesicht.„Ja, Geduld! Was hast Du davon, wenn Du dem, waskomnit, entgegenläufst? Das Unglück kommt immer zu schnellund zu früh."„Das Unglück?" wiederholte Käthe bettoffen, und dasHerz schlug ihr bis in den Hals hinauf.„Du weißt was?Was ist's?"Die Bäuettn schüttelte verneinend den Kopf.„Ich weißnichts nich. Aber wo soll denn ein Glück herkommen in diesenZeitläuften?"Der alte Neuffer mit den Kindern unterbrach sie. Diebeiden kleinen Flachsköpfe mit den rothbackigen Apfelgesichternsprangen zur Mutter und begannen eifrig durcheinander voneinem Märchen zu zwitschern, das der Großvater ihnen erzählthatte. Es handelte von Dornröschen. Der Alte wärmte sichunterdessen die Handflächen an der Herdflamme, welche sichin dem kupfernen und blechernen Küchengeschirr spiegelte, dasKäthe nachmittags am Dorfbrunnen blank gescheuert hatte.„Das Dornröschen, das sind wir Bauern," erklätte er, seinverrunzeltes Gesicht der Tochter zuwendend,„und der Pttnz,wo sie mit seinem Kuß entzaubert, das ist die evangelischeFreiheit. Der Pfeifer von Niklashausen, das war nicht derRechte."Käthe gab nicht acht und verstand ihn nicht. Denn dieWorte ihrer Schwägerin lagen ihr wie eine schlimme Prophe-zeiung auf dem Herzen und sie klapperte bei der Zubereitungdes Abendessens mit dem Geräth geräuschvoller als nöthigwar. Jetzt ließ sich auf dem Dorfplatz Schellcngeklingel ver-nehmen, Hunde bellten, eine Peitsche knallte.„Der Bauer,"sagte Ursel, als das Hofthor knarrte, und stand rasch auf.Vater Martin nahm eine Stalllaterne vom 5!agel und zündetesie an. Bevor er damit zu stände kani, schrillte auf dem Flurvor der Küche eine Pfeife, brach aber nach zwei, drei Tönenwieder ab. Die Thür flog auf, und Simon schob lachend denjungen Goldschuriedgcselleu herein, der zum Schutz gegen dieKälte einen leeren Gettcidesack über die Schultern geworfenhatte. Käthe hatte bei den Pseifentönen einen kleinen Schreiausgestoßen; jetzt war es ihr, als ob sie Blei in den Füßenhätte. Im nächsten Augenblick trat sie rasch aus Hans zu, er-