Anterhaltimgsblati des vorwärtsNr. 121.Donnerstag, den 23. Juni.1898(Nachdruck verboten.)17J Am die �veiheik.Geschichtlicher Roman aus dem deutschen Bauernkriege 1523.Von Robert Schwei chel.„Ja, er kam zwischen Licht und Dunkel, Herr Altbürger-meister," antwortete Kaspar Elschlichs Vater, den Gast erkennend,und holte aus der Stube dieKerze, die auf einem eisernen Leuchterbrannte. Das Licht flackerte über derbe Züge, ähnlichdenen des Sohnes, nur zeigte sich von dessen Humor inihnen keine Spur. Meister Kilian's großer Mund trug einherbes Gepräge, und eine tiefe senkrechte Stirnfalte, welchedie starken Brauen gegen die Nasenwurzel herunterdrückte,gab den Augen einen mürrischen Ausdruck.„Wollet mir folgen, Herr Altbürgermeister," so lud erdiesen, der Treppe zuschreitend, ein.„Er ist also noch nicht zur Ruhe gegangen?" fragte HerrEhrenfried.„Ich weiß nicht, ob er überhaupt Ruhe braucht."„Wie denn, Meister Kilian? Was meinet Ihr?"Der Tnchscheerer schüttelte nur stumm den Kopf. Erführte Ehrenfried Kumps in das oberste Geschoß, wo er mitden Worten:„Tretet nur ein, ich hol' Euch nachher wiederab!" eine Thür vor ihm öffnete und daraus sich entfernte.Es>var eine geräumige, doch niedrige Stube mit weißgetünchten Wänden, in die der Altbürgcrmeister trat. Ihrebeiden Fenster, die auf den Hof hinausgingen, in dessen Ge-bäuden die Scheergaden sich befanden, waren von innen durchLüden verstellt. Eine schmale Bettstelle, einige Strohstühleund ein großer Tisch von ungebeiztem Tannenholz bildetendie ganze Ausstattung des Gemaches. Der Bewohner des-selben saß an dem Tische und schrieb bei einer Lampe, derenBlechschirm das Licht auf einen engen Kreis beschränkte. Nebenihm auf dem Tische stand Eßgeschirr, dessen Inhalt kaum bc-rührt schien, an der Seite lag ein Schwert in einer zerrissenenScheide und ein vielgebrauchter Schlapphut. Das Kommen desAltbürgernieisters hatte er überhört; seine Gänsefeder knirschteweiter über das grobe Papier. Er unterbrach seine Beschäftigungerst, als Herr Ehrcnfried, der ihn eine Weile still betrachtethatte, an ihn die Worte richtete:„Das heiß' ich einen Feuer-eifer! Kaum in einiger Sicherheit, so greifet Ihr auch schonzur Feder. Ehrenfried Kumps heißet Euch willkommen in Rothen-bürg, Herr Doktor I"Nun warf jener die Feder weg, schlug den Lampenschirmin die Höhe und ergriff, aufspringend, lebhaft beide Händedes Besuchers. Es war ein kleiner dürrer Mann mit einemschwärzlichen Gesichte und dunkeln, von innen heraus leuchten-den Augen. Gekleidet war er wie ein Bauer, in weißlichemZwillich und Bundschuhen.„Ich habe zu lange feiern müssenund Eile thut noth," sagte er, die Hände des Altbürger-meisters festhaltend und zu ihm hinauf blickend.„Ich zwickedas sanftlebende Fleisch in Wittenberg. Ach, Thomas Münzerwird seine Freude daran haben, wann er es liefet, nicht minderdie Freunde, so ich mir in Straßburg und Basel gewonnenhabe. Möget Ihr etwa einen Blick hineinthun?"Er raffte die von ihm bereits beschriebenen Blätter zu-sammen, ordnete sie und gab sie Herrn Ehrenfried, der unter-dessen Barett und Mantel abgelegt hatte.„Ein Waffengang mit Luther in der Abendmahlsfrage?"rief der Gast und begann zu lesen.„Ihr kennt sicher seine Schrift, darinnen er behauptet,daß der Wein und das Brot wirklich der Leib Christi seien,"sagte der kleine Doktor.„Darauf diene ich ihm, wie solcherGrobkörnigkeit gebührt. Daß ich für meine symbolische Auf-fassung der heiligen Handlung auch Zwingli gewonnen habe,damit habe ich es itzt vollends bei ihm verschüttet und erhält sich, wie er gestehet, gegen mich und meine Freunde allesfür erlaubt. Er verschreit uns als aufrührerische Geister undschüret bei Fürsten und Obrigkeiten, daß sie uns des Lehr-amts entsetzen und aus dem Lande weisen. Es soll uns keinOrt bleiben, allwo wir ruhen und unsere Vertheidigung gegenseine Verdächtigungen und Schmähungen, die seine uüimsiratio sind, in Druck ausgehen lassen können. Ein römischerKetzerrichter könnte diejenigen, so anderer Meinung ünd denner, nicht fanatischer verfolgen."Es war Dr. Karlstadt, so nach seinem unweit Würzburggelegenen Geburtsort genannt, der diese schweren An-klagen erhob. Sein eigentlicher Name war AndreasBodcnstein. Selbst seine Gegner mußten von ihm ein-räumen, daß er an Wissen und Tiefsinn demReformator überlegen war, dem er als Dekan der theologischenFakultät zu Wittenberg den Doktorhut gereicht hatte. Durchdie Unduldsamkeit des„Gottesmanns" aus Sachsen vertrieben,war Dr. Karlstadt zunächst nach dem Oberrhein gewandert,wo sich auch Thomas Münzer, Bucer und andere von denKanzeln und Lehrstühlen Verscheuchte aufhielten. Als er vondort seiner ostfränkischen Heimath sich zuwendete, ließ derMarkgraf Kasimir auf ihn fahnden. Valentin Jckelsamer jedoch,dem lateinischen Schulmeister zu Rothenburg, der in Wittenbergzu seinen bedeutendsten Schülern gehört und die Universitätnach seiner Austreibung verlassen hatte, war es, dank seinenBeziehungen zu Dr. Deutschlin, dem Altbürgermeister, undanderen Gesinnungsgenossen gelungen, den Flüchtling in dieStadt zu schmuggeln. Die Wache am Röderthor, in dessenNähe der Tnchscheerer wohnte, mochte den kleinen, bäuerlichgekleideten Mann gar nicht beachtet haben, da der lateinischeSchulmeister allgemein bekannt war und man wußte, daß eraus dem Dorfe Ohrenbach gebürtig war, also bäuerliche Ver-wandte besaß.Dr. Karlstadt hatte laut Verabredung seinen ehemaligenSchüler vor dem Thore in einer Herberge erwartet, in welcherdie von Augsburg nach Würzburg ziehenden Frachtfuhrleuteeinzukehren pflegten. Seine Bauerntracht war übrigens keineMaske, ivie das Junkerkleid Luthers auf der Wartburg. Schonehe letzterer von dort zurückgekehrt war, hatte Karlstadt inWittenberg gelehrt, daß ein Handwerk treiben besser alsGottesgelahrtheit sei; die Doktoren und Magister derselbenseien ein Greuel; die Jugend sollte die Hochschulen, dieMönche die Klöster verlassen und entweder ein Handwerkerlernen oder wie Adam die Erde aufgraben. Er selbst warmit seinem Beispiel vorausgegangen, hatte auf dem Guteseines Schwiegervaters zur Karst gegriffen und nannte sichNachbar Andreas.Seine Aeußerungen hatten Herrn Ehrenfried augenblicklichlebhafter interessirt als die noch unvollendete Schrift.„Esschmerzet mich," seufzte er und legte die Blätter wieder ausder Hand.„daß dieser hochverehrte Mann sich selbstnunmehro auf den Papst hinausspielt und danach trachtet,die kanm befreite Vernunft wiederum in Fesseln zu schlagen."„Auch ich habe ihn um seiner großen Gaben willenwie keinen geschätzt," versicherte Dr. Karlstadt.„Durch dieHölle wäre ich für ihn gegangen, und Ihr wisset, wertherGönner, daß deren Fürst ihm viel zu schaffen gemacht hat. Aberden wahren Teufel, so in der Einsamkeit der Wartburg Machtüber ihn gewann und ihn zu Fall gebracht hat, den hat erleider nicht erkannt. Das ist der Teufel der Eitelkeit, der ihnglauben machet, seitdem er zu Worms vor den Fürsten undStänden des Reichs stand, daß die Refonnation einzig ausseinem Kopfe entstanden sei, als wie Pallas Athene aus demHaupte des Zeus geboren wurde. Er maßet sich an, daß erunfehlbar sei, und daß Gott einzig und allein durch seinenMund spreche. Er ist unstreitig ein kühner Mann und vonder Leidenschaft durchglühet, ohne welche nichts Großes unter-nommen wird. Allein der Böse trübet seinen Geist, und seinemBlicke gebricht die Helle und Weite, deren es bedarf, um dieReformation zum Siege zu führen. Und jetzt hat derenfel ihm also den Nacken gesteifet, daß er dieProtestanten lieber in zwei Parteien auseinander reißt, alsdaß er von seinem Jrrthuni in der Abendmahlslehre weichetund die Hand fasset, die ihm Zwingli zur Verständigungbietet."„Da sei Gott für," rief der Altbürgermeister betroffen.Der Flüchtling aber fragte:„Ja,>vas meint Ihr wohl, warum er zornentbrannt vonder Wartburg dahcrgestoben kam, als ich in Wittenberg dieOhrenbeichte aufhob, die Messe abschaffte und das Abendmahlin zweierlei Gestalten reichte?"„Und die Heiligenbilder aus dem Dom gcthan hattet,"ergänzte Ehrenfricd Kumps.„Das geschah ohne mein Zuthun," versicherte der Doktor.„Aber es geschah mit Recht, daß man die Götzenbilder