Messing I Erschrocken ob des sündigen Gedankens schlug er ein Kreuz. Tiefsinnig versenkte er seinen Blick in den leeren Krug und siehe, es kam ihm eine Erleuchtung. Das Herz der dicken Lammwirthin war wohl noch zu rühren, wenn er selbst seine Beredsamkeit au ihr versuchte. Zunächst aber gedachte er des Pfundes Wachs, das Simon Neuster noch immer der Kirche schuldete. Schon griff er nach feinem Hute, als ihm einfiel, daß er Simon jetzt nicht treffen würde. Er war sicher wie alle anderen Bauern beim Pflügen. Dennoch hinzugehen, um Ursel über das Schicksal ihrer Schwägerin zu trösten, daran dachte er nicht. Im Gegentheil, mit pfäffischer Logik erkannte er in dem Unglück sofort ein Strafgericht Gottes über die Ketzer, die der heiligen Kirche nicht zahlten, was sie ihr schuldig waren. Dieses Gefühl sprang in dem ehrwürdigen Herrn auf, als er Kaspar Etschlich über den Dorfplatz, auf dem die Kinder lärmend spielten, nach Sinion's Hofstätte gehen sah. Kaspar galt im Dorfe als Käthe's Freier. Die Unglücksbotschaft, die er brachte, drückte ihn schwer. Wieder kam er als Unheil krächzender Nabe! Des Vetters kleiner Bube, der aus dem Platze spielte, kam zu ihm heran- gesprungen, reichte ihm eine Hand und rief eifrig und mit glänzenden Augen:„Du, sie haben die Käthe in'n Thurm ge- sperrt; sie hat eine umgcbrungen." Husch, sprang er wieder davon. Es war ein Trost, wenn auch ein leidiger, für Kaspar, daß man in Ohrenbach schon darum wußte. Unter der Linde. die erst ganz kleine braune Knospen hatte, saß der Ohm und sonnte sich. Und Käthe, dachte Kaspar, sitzt in dem kalten. düsteren Weiberthurm. Es war der Mauerthurm, auf den die kurze und breite Hofftattgasse mündete. Dorthin hatte der Stadtrichtcr die Aermste nach einem ersten Verhör führen lassen. Der Lärm, den ihre Begleitung von Müßiggängern, Weibern. Gassenbuben und Bettlern ver- ursachte, war bis in die auf dem Hofe gelegenen Werkräume Etschlich's gedrungen und hatte Kaspar und den Vater vor die Hausthur gelockt. Käthe, zwischen zwei Stadtknechten schreitend, war schon an der Thür vorüber. Tödtlich er- schrocken rief Kaspar ihren Namen, aber sie schien nicht zu hören. Er wollte zu ihr stürzen, aber die Stadtknechte wiesen ihn unsanft zurück. Jetzt wandte Käthe den Kopf, eine flüchtige Röthe huschte über ihr Gesicht und sie nickte ihm zu. Sein Versuch, in den Thurm zu dringen, dessen Pforte sich aufthat, nm das Opfer zu verschlingen, wurde gewaltsam verhindert. Stärker als nachträglich der Schlag, den er dabei von der wuchtigen Partisane des einen Stadt- knechts erhielt, schmerzte ihn die aus Käthe's That auf- gehende Erkenntniß, wie fest ihr Herz an dem Todten hing und daß all sein Werben bisher umsonst gewesen war. „Die arnre Dirn'," sagte der Alte bekümmert, nachdem Kaspar erzählt, wessen er Augenzeuge gewesen, und ging mit dieseni nach dem Gehöft.„Und just jetzt, just jetzt!" Sie fanden Ursula auf dem Hofe, wo sie an dem fließenden Brunnen das Küchengeräth scheuerte, während ihr kleines Mädchen die Sperlinge zu haschen suchte.„Wir wissen schon, weshalb Du kommst," rief sie Kaspar entgegen.„Die Unglücksdirn, das hat blos noch gefehlt." Die Thränen traten ihr in die Augen.„Aber geh' nur in die Stuben," fuhr sie, die Augen mit einem Schürzenzipfel sich trocknend, fort.„Ich komm' gleich nach. Der Bauer ist drinnen, auch der Jckclsamer." (Fortsetzung folgt.)
Die golvene Ahe. Nach dem Dänischen des L. C. Nielsen. Seit langer Zeit habe ich nun schon nicht mehr zu Mittag ge- gessen. Das heißt, ich habe wohl mittags etwas gegessen, denn ich besaß etwas Brot und Butter und �täse, da Frau Hansen mir krcdittrt hatte. Aber jetzt will sie nicht mehr. Ich konnte es ihr gestern anmerken. Ms ich von dem Gelde sprach, das ich in Bälde bezahlen würde, und daß sie mir bis dahin schon vertrauen tonnte — blickte sie mißtrauisch in die Höh' und sagte gar nichts. Ich glaube, daß ich in diesen Tagen Geld bekomme, dann will ich ihr alles zahlen. Mit meinen Schuhen ist es auch schlecht bestellt. Aber dafür wird schon Rath werden, wenn ich in einigen Tagen vielleicht acht, vielleicht nur vier, vielleicht--. Wenn es dann nur nicht zu spät ist, so daß sie nicht mehr reparirt werden können! Es war gestern, die Sonne schien herrlich. Da ich es liebe, im Sonnenschein spazieren zu gehen und viele frohe Menschen zu treffen, ging ich aus. Wenn man nicht recht kräftig ist, wenn man lange auf dem Krankenlager gelegen und blaß geworden ist und steht dann eines Tages auf und kommt in die»varme Sonne hinaus, dann ist es,
als ob man viel heißen Wein tränke. Es wird einem schwindlich. doch es ist ein sonderbarer, sanfter Schwindel. Darum dachte ich nicht an meine Schuhe. Erst als der Schwindel soweit vorüber war, daß ich wieder zu denken vermochte, fiel es mir ein, daß sie durchlöchert waren und auseinanderzugehen drohten-- Ich habe einmal einen Brief gelesen, den ein Vater an seinen Sohn schrieb,— da hieß es:„Achte stets darmif, daß Dein Hut und Deine Schuhe elegant sind, dann wird man Dich für einen Gentleman halten, wie auch immer Deine übrige Bekleidung sein mag." Ich glaube, das ist richtig. Ich hatte die Empfindung, als ob viele Menschen mich betrachteten, und ivenn ich ihren Blicken be- gegnete, schienen sie mir unten von meinen Schuhen herzukommen und an mir hinaufzuglciten, neugierig und stech. Hätten sie ein Urtheil über mich abgeben sollen, dann hätten sie mich beurtheilt nach meinen Schuhen. Einen Augenblick dachte ich daran, nach Hause zu gehen, weil die vielen Augen mich genierten; aber ich war schon West von Hause entfernt. Und überdieß, weshalb sollte ich mich um diese Menschen kümmern, die mich garnichts angingen? So schritt ich denn weiter, aber ich suchte stets in das größte Gedränge zu kommen. Gelangte ich in einen Menschenhaufen hin- ein, dann hielt ich mich so lange wie möglich darin. Ich ging die Hauptstraßen entlang, wo die ineisten Leute waren. Vor allem gab es dort viele junge Damen in hellen Kleidern. Sie kamen meist zu zweien, plaudernd, lachend, leuchtend— eine in weiß, die andere in lila oder ganz hellblau. Es that mir leid, daß ich nicht stille stehen und ihnen nachschauen konnte; aber ich mußte ja darauf achten, in der Menge zu bleiben. Keine von ihnen hätte mich angeblickt, wenn sie meine Schuhe entdeckt hätte. So aber kam es doch hin und wieder vor, dast ihre Augen den meinen begegneten. Geschah das, dann kam dasielbe Gefühl des Schwindels wieder über mich wie vorhin. Da begegnete mir plötzlich Heinrich. Schon aus weiter Ferne hatte er mich erblickt, sein Antlitz verklärte sich zu einem breiten Lächeln; ich konnte sehe», wie seine Hände sich gleichsam darauf vorbereiteten, die meinen herzlich zu drücken. „Aber Bester, lebst Du wirklich noch?" Ich wollte lächeln und brachte wohl auch ein Lächeln zu stände. Er plauderte unaufhörlich, wie nett es sei, daß er mich wiedersehe, und wie oft er an mich gedacht habe. Um uns entstand, wahrend wir stehen blieben, eine Leere. Ich hatte die Empfindung, daß der elende Zustand meiner Fußbekleidung in all dem hellen Sonnenschein enffctzlich in die Augen fallen mußte. Ich wurde unruhig. Wo sollte ich meine Füße verbergen? Wie sollte ich verhindern-- Jetzt sieht er es— jetzt sieht er es I— fuhr es mir durch den Kopf, und es war, als wenn drinnen gesägt würde— jetzt wird er es sehen! „Laß uns nicht stehen bleiben I" sagte ich, als gerade einige Menschen an uns vorbeigingen,„komm!" Wir schritten hinterher. Ich beeilte mich, gerade hinter ihnen zu bleibe»; meine Füße brannten. Er blieb etivas zurück, aber ich schritt immer, sodaß auch er seine Schritte beschleunigen mußte. Sie §ingen so schnell, die Menschen vor uns. Er sprach unausgesetzt. ich hörte nichts; ich ging nur, ging und ging. Gerade als wir sie erreicht hatten, schritten sie quer über die Straße und traten in ein Haus. Ich blieb stehen mir ward traurig zu Muth. Jetzt hat er eS gesehen, dachte ich und ging nun ebenso langsam wie er. Plötzlich erfaßte er meinen Arm. „Hör' einmal, willst Du mir einen Gefallen thun?" „Ja— wenn—" „Oh ja. Du kannst cS leicht. Du hast solch' guten Geschmack. Siehst Du, ich will mir eine Uhr kaufen." „Hast Du keine Uhr?" fragte ich, um doch etwas zu sagen. „Allerdings, aber sie ist so alt und so langweilig. Aber nun weiß ich nicht recht: soll ich mir eine gute silberne Uhr kaufen oder lieber gleich eine goldene nehmen? Einmal muß ich ja doch eine goldene Uhr haben, nicht wahr?" „Ja das mlißt Du wohl!" antwortete ich und sah die sonnen- helle Straße entlang, sie schien mir wieder voll neugieriger Augen zu sein. Dann blickte ich verstohlen meine Füße an. Ich fühlte, wie mir das Blut zu Kopf stieg. In meinem Gehirn brauste es, als wollte es springen. Plötzlich'fiel mir ein, daß ich unraflrt war. Auch mein Haar war lang und mein Hut— mein Hut! Wie sah mein Hut aus? War das der Grund, weshalb die Vorübergehenden mich so anstarrten? Oder waren es nur die Schuhe, die Löcher— klapperten etwa die Sohlen, wenn ich ging? Es schwindelte mir; ich hatte die Empfindung, als baumelten meine Füße in der Luft, mitten im hellen Sonnenschein! Die Leute standen fülle und lachten. Einige versuchten, mir die Schuhe auszu» ziehen, vermochten ihrer aber nicht habhaft zu werden. Da ergriff Heinrich meinen Ann und schüttelte ihm „Was ist Dir denn. Mensch? Du bist ja kreideweiß!' Ich versuchte zu lächeln; aber mein Lächeln kam mir eben so defekt vor wie meine Schuhe. „Es ist nichts!" sagte ich.„Mir wurde nur schwindlig." „Bist Du trank?" „Nein-- das geht wieder vorüber. Jetzt muß ich nach Haus» und zu Mittag essen, dann geht es vorüber I"