Anterhaltungsblatt des HorwärtsNr. 145.Mittwoch, den 27. Juli.1898(Nachdruck verboten)411 Um die Fveiheik.Geschichtlicher Roman aus dem deutschen Bauernkriege 1525.Von Robert Schweichel.Die schöne Gabriele nahm an der laxen Moral des ungenannten Dichters keinen Anstoß, obgleich sie das Blatt miteiner fast heftigen Geberde weg warf. Es erinnerte sie anMax Eberhard, den sie trotz ihrer verführerischen Reizenicht bezwungen hatte. Die Wunde brannte nochimmer. Sie lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen,jedoch nicht, um von ihrer Liebe zu träumen. Was nutzteihr in dem kleinen Rothenburg, wo ihr alles fehlschlug undsie verletzte, ihre Schönheit, die sie für einen großen SchamPlatz zu bestimmen schien? Sie sehnte sich fort aus den engenVerhältnissen der Vaterstadt, die ihr feuriges Temperamentnur noch mit Ungeduld ertrug. Hier mußte sie apathischwerden, wie es Sabine war, die es ohne Widerspruch übersich ergehen ließ, daß sie mit dem Stadthauptmann vonAdelsheim vermählt wurde, obgleich sie nicht die geringsteNeigung für ihn empfand. Hier mußte sie zu einem solchenFettklumpen von Gewöhnlichkeit und Willenlosigkcit werden,wie es Frau von Muslor war. Sie haßte diese beidenWesen jetzt beinahe um der Zuneigung und Liebe willen,die ihr von ihnen erwiesen wurden. Es war eine Fessel.„Da kommt der Vater und Herr Eberhard mit ihm,"verkündete endlich Sabine und verließ das Zimmer, um fürden Tischgast ein Gedeck auflegen zu lassen. Es war nichtsUngewöhnliches, daß Erasmus von Muslor aus der Raths-sitzung einen Gast zu Tische mitbrachte. Die Speisestundewar die einzige Erholung des vielbeschäftigten Mannes. SeineGäste mußten fürlieb nehmen; denn er war kein Feinschmeckerund Schlemmer wie Stephan von Menzingen. Die beidenBürgernieister kamen in keiner heiteren Stimmung vom Rath-hause. Die schmale hohe Stirn des Herrn Erasmus war be-wölkt und Bitterkeit krümmte seine feinen Lippen abwärts.Die scharfgeschnittenen Züge und stählernen Augen des HerrnKonrad hatten einen noch härteren Ausdruck als sonst und ermilderte sich auch nicht wie sonst, wann er seine schöne Mündelbegrüßte. Gabriele selbst verhielt sich kühler gegen ihn,seitdem es ihr mißlungen war, ihn zum Wstand von der Klagegegen Zeisolf von Rosenberg zu bewegen.„Es hat wieder Verdruß gegeben?" wagte Frau von Muslorihren Gatten schüchtern zu fragen.„Nun, Du magst es wissen, es ist kein Geheimniß," ver-setzte er, die Brauen zusammenziehend.„Der Aeußere Rathhat sich aufgelöst, und der Ausschuß tritt an seine Stelle."„Das wolle Gott nicht," rief die Hausfrau erschrocken.„Gott vielleicht nicht, aber dieser Teufel von Menzingenhat es verlangt und dem Ausschuß eingeblasen," knirschteKonrad Eberhard:„Wenn in dem Aeußeren Rath Männersäßen!— Der Innere Rath sollte ihn seiner Verpflichtungenentbinden, bat er flehentlich."„Und der Innere Rath hat nachgegeben?" fragteGabriele, indem sich ihre wollüssigen Lippen verächtlichkräuselten.Der Vornumd warf ihr einen unwilligen Blick zu undsprach mit nachdrücklicher Betonung:„Von der Gemeinde und ihrem Ausschuß in der Stadtversperrt, gefangen, schwerlich und hoch bedrängt, mußte derInnere Rath Wohl, wenn auch mit bekümmertem, traurigemGemüthe, thun, was die Gemeinde wollte, gleichviel, ob esgut oder böse war, ob es wohl oder übel gerieth."„Und so werden wir denn," fügte der Hausherr hinzu,der inzwischen jedem am Tische vorgelegt hatte,„das Ver-gnügen haben, Bäcker, Hafner, Metzler, Tuchscheerer, Gerberdemnächst als unsere liebwerthen Rathskollegen zu begrüßen.Nun, ich bin nur froh und Ihr werdet es auch sein, verehrterFreund, daß unsere Amtsdauer in vier Wochen abläuft."„Und es wird ein Gaudium sein, den ehrenfesten RitterStephan von Menzingen als Bürgermeister unserer gutenStadt zu sehen," äußerte Konrad Eberhard mit grimmigemHohn.„Aber es darf dahin nicht kommen," rief die schöneGabriele mit flammendem Antlitz.„Wohin es immer kommen mag, mein liebes Kind, eswird arg genug sein," antwortete Herr Erasmus mit einemLächeln über ihren Eifer.„Wir können es nicht hindern. DerSchwäbische Bund ist nicht gerüstet und die Fürsten und freienStädte haben alle selbst vollauf mit ihren aufrührerischenUnterthanen zu thun, als daß sie uns helfen könnten. Wirwerden alle darunter zu leiden haben, auch ihr Mädchen,und meine arme Sabine wird sich in den Aufschub ihresGlückes schicken müssen; das ist keine Zeit, um Hochzeit zumachen."„Armes Binchen," seufzte Frau von MuSlor und streicheltezärtlich den Rücken von ihrer Tochter Hand.„O, ich kann warten," versetzte Sabine mit großerGemüthsruhe, und Gabriele bemerkte sarkastisch:„Auf einsolches Glück kann man nie lang genug warten."„Du thust übel daran, zu spotten, schönes Fräulein."rügte der Vormund.„Der Aufruhr wird auch Deiner nichtschonen."„Spüre ich ihn denn nicht schon?" erwiderte Gabrielespitz.„Verdank' ich's ja ihm. daß die Dirne, die mich erstechenwollte, der Justiz eine lange Nase macht und die Handwerks-knechte, die sie befreiten, unbehelligt bleiben."„O, Gabriele, möchtest Du so dem eigentlichen RetterDeiner Ehre lohnen?" fragte ihre Freundin vorwurfsvoll.„Denn das war doch der Tuchergeselle. nicht der junge Gold-schmied."„Und sein Vater sitzet im Ausschuß. Vielleicht erlangstDu es von ihm, daß er den jungen Burschen, diesen Plebejer,der Deinen Dank damals verschmähte, uns. den Patriziern,zur Bestrafung für seinen Frevel ausliefert?" So äußerteHerr Erasmus ironisch und fügte dann ernst hinzu:„Ist dieRechnung auch noch unbeglichen, so ist sie doch nicht zerrissen.Auch nicht die des Mädchens."„Sie ist eben verrückt," bemerkte Herr Konrad mit einemAchselzucken und Frau von Muslor meinte, daß man sie iudiesem Falle nach Dettwang ins Narrenhaus thun müßte.Gabriele schwieg zu dem allen. Ihr Stolz hatte nichtdas Geständniß gelitten, daß Eifersucht das Motiv von Käthe'SThat gewesen. Unerträglich war es ihr. daß ein so tief unterihr stehendes Geschöpf wie HanS Lautner die Augen zu ihrzu erheben gewagt hatte. Sie empfand seine Liebe wie einenSchimpf, die Erinnerung daran tauchte ihre Wangen in einetiefe Gluth. Sie wollte sich emporschwingen wie ein Adlerund alles zog sie in die Tiefe. Die Ungeduld, mit der sieinnerlich an ihren Banden zerrte, flammte jetzt in den Wortenauf:„O, wie das alles so halb ist l Ein Belauern hüben unddrüben und keine ganze That l"Frau von Muslor und ihre Tochter schauten sie betroffenan, Herr Erasmus strich sich lächelnd den Schnurrbart vonden Lippen und sein Amtsgenosse setzte mit trockener Schärfeein:„Unten im Tauberthal und in St. Jakob ist es ja schonzu Thaten gekommen. Mich will es fast bedünken. Du sähestes gern, wenn der Bundschuh Glauben, Wiffen, Bildung, kurzdie ganze Kultur, deren Segnungen wir uns erfreuen, in einwüstes Chaos stampfte. Das wäre wohl eine That nachDeinem Sinn?"„Aber das Chaos wird kommen, wenn nicht ein Mannder That aufsteht," rief Gabriele mit blitzenden Augen,„einHeld, ein Ritter Georg oder ein Siegfried, wie er in den Volks-büchcrn steht, und den Drachen überwältigt und ihm das Hauptabschlägt."„Es geschehen heute keine Wunder mehr," versetzte derVormund geringschätzig und der Hausherr scherzte:„Einensolchen Helden hätten wir ja gleich zur Hand, wenn es unsgleichgiltig wäre, ob wir in der Pfanne oder am Spießegebraten würden. Ich meine den Markgrafen Kasimir."Damit neigte er sich leicht gegen den Gast, der den dünn-lippigen Mund zu einem unhörbaren grimmen Lachen indie Breite zog, warf sein Handtüchlein auf den Tisch und er-hob sich.Fast schien es, als ob der Wächter auf dem Rathhaus-thurm nur auf das Ende der Mahlzeit gewartet hätte. Dennkaum war man vom Tische aufgestanden, so stieß er auf demSteinkranze droben mehrere Male rasch hintereinander in femHorn. Dumps und unheimlich, wie der Stier von Uri, heultendie Töne über die Stadt hin. Die beiden Männer rissen die