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vorzubereiten. Er blieb paffiv Er blieb paffib, wie so viele seiner russischen| geführt wurde. Der„ Moralist" Tolstoi wollte hier auch in erster Standesgenossen. Plöglich, für die Seinigen unvermittelt, faßte er Reihe sich Geltung verschaffen; aber nicht er, der gestaltungsmächtige den Entschluß, sich der Militärlaufbahn zu widmen. Er wurde Dichter greift an die Seele. Die Macht der Finsterniß ge= Offizier und nahm am Krimfrieg theil. Im Lager- und im Kriegs- hört zur sozialen Anklageliteratur. 8ola's Schreich klage an!" leben scheint der innerliche Mensch Tolstoi gereift zu sein. Hier tönt auch aus diesem Drama hervor. Tolstoi flagt hier die Gesellscheint sich in ihm vorbereitet zu haben, was ihn später zum Moral- schaft an, seine russische Gesellschaft, die das Volk in Finsterniß und ethiker von solchem geistigen Einfluß machte, daß an einzelnen Verwahrlosung verkommen läßt. Ueber die Lächerlichkeiten und Stellen heute behauptet wird, auch im gegenwärtigen Friedens- Gespreiztheiten derselben Gesellschaft, über ihren Bildungsdünkel und manifest des garen sei ein Hauch Tolstoi 'scher Wirksamleit zu ver- den dünnen Kulturfirniß macht sich eine weit schwächere Komödie, spüren gewesen. ein satirisches Lustspiel Tolstoi's lustig.
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Die dramatischen Versuche Tolstoi's blieben vereinzelt. Im technischen Sinne ist Tolstoi nichts weniger als ein Meister der dramatischen Kunstform. Was in der Macht der Finsterniß so erschüttert, ist die Wucht der Anklage und das düster- große Pathos des Werkes.
Die Waffen legte Tolstoi fortan ab. Er griff zur Feder. Unter den kleineren Erstlingsnovellen Tolstoi's giebt es eine reizvolle Erzählung. Es war in der Schweiz . Tolstoi traf in einem beborzugten Fremdenort einen armen Teufel, der ihn interefsirte. Aber der Mensch sah der Kleidung und Haltung nach „ reduzirt" aus, wie man so prächtig zu sagen pflegt. Er war Zum Sensationsbuch wurde eine der relativ jüngsten einer der Geduckten; und die reichen Hohlköpfe im vornehmen Hotel Arbeiten Tolstoi's, die„ Kreuzersonate". Nicht der Form, als wie deren aufgeblasene Bedienten hätten das Männchen sicherlich von vielmehr ganz unfünstlerisch dem rein Stofflichen galt die allsich verwiesen. Aber Tolstoi, nicht faul, nahm seinen neuen Bekannten gemeine Sensation. War schon in den Früchten der Zivilisation", mit in den Saal, trotz aller Laffen und trotz des Naserümpfens der der vorher erwähnten satirischen Komödie die dichterische Absicht Kellner. Eine an sich unscheinbare Ich Erzählung ist ohne Selbst- hart an die Grenze gelangt, von der aus man völlige Flucht zur Renommage wiedergegeben, und aus dem kleinen Kunstwerk schon Einfalt, völliges Verwerfen all' unserer aufgeblähten Zivilisation flingt die melancholische Mitleidsbetrachtung wieder, wie sie später predigt, so ging Tolstoi in der Kreuzersonate als moralischer Eiferer das treibende Element Tolstoi 'scher Dichtung werden sollte und noch weiter. Fast bis zum Heilsruf: Unterdrückt alle Fleischlichkeit, wie fie ein Grundzug neurussischer Literatur im all- ihr Erdgeborenen, wollt ihr der Seligkeit theilhaftig werden! gemeinen ist. Der Altruismus, die Mitleidsphilosophie erscheint wiederum das doppelte Gesicht, dem man in unserer gesammten wie ein geistiges Gegengewicht gegen die Gewaltherren, gegen den Anklageliteratur so häufig begegnet. Meisterlich charakterisirt Regierungsdruck und die Sünden eines absoluten Willens. Es ist die ist das Gesellschaftsbild hier an cinem Beispiel typischTugend eines schwer beladenen und häufig refignirten Stammes, die bürgerlicher, unreinlicher Che. Aber es erfolgt keine positive Antsich hier entwickelt hat. wort, was statt der Prostitutions- Ehe zu sehen sei. Nur ein Hinweis auf mönchische Abtödtung ist gegeben, oder im günstigsten Sinne, wie unbedingte Tolstoi- Berehrer annehmen, die Mahnung: Strebt nach idealer Keuschheit hin!
Ein größer angelegter Plan tauchte in Tolstoi auf, als er der Schicksale jener Verbannten gedachte, die als„ Aufständige und Verschwörer" eine Zeit härtester Berfolgung zu bestehen hatten. Es war eine Massenvertreibung; ein dunkeles Kapitel russischer Geschichte. Der Noman„ Die Decabristen", den Tolstoi schaffen wollte, blieb Fragment; das Bruchstück wurde vor etwa acht Jahren in der Berliner Zeitschrift Freie Bühne" auch deutsch veröffentlicht.
Tolstoi's eigenes Leben hat ihn zu Schrullen, inneren Widersprüchen und Inkonsequenzen geführt. Man muß sich bei seinen Dichtungen, namentlich bei denen des hohen Alters, an den künstlerischen, nicht an den sozial- ethischen Inhalt flammern. Während Tolstoi an den„ Decabristen" arbeitete, beschäftigte ihn Ein zukunftsfrohes Geschlecht wird man nicht auf ein Ideal immer lebhafter ein anderer Gedanke. Erfahrungen und Empfin- todtmüder Askese vertrösten dürfen. Sehnsüchtig hat sich Tolstoi ans dungen aus seiner eigenen Kriegerzeit, Gestalten aus seiner Jugend Bolt gewandt; aber die Prophetennatur in Tolstoi ist rückwärts getauchten vor ihm auf, sie gewannen ein neues Dasein, und 1865 gab wandt. Auch sein starkes dichterisches Vermögen giebt Zeugniß ab der 37jährige fein erstes Hauptwerk, das umfassende, großgegliederte für einen Gesellschaftszustand, innerhalb dessen die Besten am Ende Epos, oder meinetwegen auch den Noman Krieg und in der Lebensflucht die Reform und den Segen für alle erblicken. Frieden" heraus. Hier in den Kulturbildern und Dar- Das neusoziale Mühen setzt den Preis: Erobert die Lebensgüter in stellungen aus napoleonischer Zeit bleibt nicht mehr eine kampffreudiger Genossenschaft. Der soziale Wehgesang Tolstoi's trocken lehrhafte Tendenz übrig, wie etwa in dem Roman eifert: Vereinigt Euch in Armuth und werft sie von Euch, die Die Waffen nieder!" der Frau Suttner. Alle Empfindung Lebensgüter. Zwei Weltanschauungen von unüberbrückbarem Widerist in künstlerische That umgesetzt. Um so wirksamer bricht der spruch!- moderne Ideengehalt hervor; der Krieg, die napoleonische Legende verlieren ihren heroisch anfeuernden Zug, ihre Furchtbarkeit bleibt übrig.
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Krieg und Frieden " übte in Rußland eine Wirkung aus, die wir heute uns nicht mehr vorstellen können. Sie war stärker, die des zweiten großen Romans Anna Karenina ".
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Kleines Feuilleton.
Alpha.
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Der Zopf im Postivesen. Man schreibt der Frankf. 8tg.": als" Ich habe an einem Postschalter der deutschen Reichspost eine deutsche Reichs- Postkarte für 5 Pf. gekauft, um einem Freunde eine MitDa trat wieder ein jäher Umschwung bei Tolstoi ein, das theilung zu machen. Ein paar Minuten darauf fällt mir indessen war zu Anfang der 70 er Jahre. Die Art seiner literar- cin, daß ich diese Mittheilung schicklicher Weise nicht per Postkarte künstlerischen Wirksamkeit befriedigte ihn nicht mehr. Ift schon machen kann. Da ich aber zufällig ein Kouvert bei mir habe, stecke anderswo, Dank dem wirthschaftlichen Druck, die Zahl der Leser, die ich meine Visitenkarte in dasselbe und gehe an den Schalter, um mit Verständniß und Muße dem künstlerischen Schaffen ihrer Zeit mir die Postkarte gegen eine Fünfpfennigmarte umzutauschen. Be= folgen können, verhältnißmäßig gering, um wie viel enger mußten daure!" schallt es mir entgegen, das geht gegen meine Instruktion. diese Kreise im rückständigen Rußland sein. Tolstoi wollte nun die wir dürfen weder umtauschen, noch das Geld zurückgeben!"" Halt," Boltsseele erobern. Er wurde Agitator in seinem Sinn und ver- denke ich mir, der deutschen Reichspost werde ich schon diese achtete seine frühere dichterische Thätigkeit. Er wurde Moral- Ethiker. Ungefälligleit heimzahlen!" Ich stelle mich an das SchreibDer Sprößling aus begütertem Adelsgeschlecht predigte Askese und pult, schreibe eine xbeliebige Adresse auf die Postkarte fein Jdeal wurde die urchriftliche Gemeinschaft. Er gab eine Reihe von und gehe noch einmal an den Postschalter, wo mir nun die Bollsschriften heraus und schließlich wollte er durch persönliches Beispiel beschriebene Postkarte gegen eine Fünfpfennigmarte unweigerlich lehren. Er selbst wollte den Acker bebauen und sich seine Schuhe nähen. umgewechselt wird. Also erster Zopf: vollwerthige Postkarten werden Bor sozialdemokratischen Lesern braucht dies Wähnen Tolstoi's" nicht zurückgenommen, entwerthete jedoch für den vollen Kaufwerth! nicht in seinen irrthümlichen Voraussetzungen näher beleuchtet zu Ein andermal habe ich eine entwerthete Postkarte, d. h. also eine werden. Es führte ihn selbst zu mannigfachen inneren und äußeren verschriebene, die ich nicht mehr gebrauchen kann und die ich daher Widersprüchen; und es trug ihm ungerecht schiefe Urtheile ein, wie am Postschalter gegen eine neue Poftfarte umtauschen will. Aber eins von ihnen in einem Buche vorhanden ist, das eine Dame aus das geht nicht! Der Beamte erklärt mir, daß er mur befugt sei, der Umgebung Tolstoi's verfaßt hat. Ein kleinlich flatschlüsternes das Geld oder andere Postwerthzeichen dafür zu geben. Nun, so Weib hat nach menschlichen Schwächen, die es zu beobachten Ge- geben Sie mir das Geld dafür! sage ich und erhalte 5 Pfennige, legenheit hatte, eine gehässige Karrikatur Tolstoi's entworfen. die ich sofort mit den Worten wieder hinlege: Und für diese 5 Pf. bitte ich um eine Postkarte", die ich von dem ganz perplex dreinschauenden Beamten auch erhalte. Jetzt erkläre mir ein Mensch den 3ived und die Ursache dieser Bestimmungen!- Theater.
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Mochte man in den Kreisen der Standesgenossen und der Gebildeten über den Sonderling Tolstoi verwundert den Kopf schütteln, im weichmüthigen, bedrückten, zur Religionssettirerei geneigten russischen Volk waren für Tolstoi's Propaganda genug Vorausbedingungen geschaffen. Die optimistische, nach vorwärts drängende ―r. Die Wintersaison des Ostend Theaters hat am Sozialdemokratie wird sicherlich nicht nach primitiven Kultur- Mittwoch Abend begonnen. Wenn Direktor Weiß diese Neuigkeit verhältnissen seufzen, selbst wenn eine neue Kulturerrungenschaft, ein seinem Publikum nicht in einem besonderen Prolog verkündet hätte, neues technisches Werk im Augenblick Schaden und Bedrängniß be- es wäre wahrhaftig nichts davon gewahr geworden; hat doch der deutet, weil sie ausgebeutet werden. Aber bei Leuten, die dumpf Musentempel des Frankfurter Viertels selbst in den schwülsten dahinleben, fern der modernen Kultur, wird weltflüchtige Sehnsucht Augusttagen Abend für Abend offen gestanden! Zur Feier des Teicht wach. Daher die praktischen Erfolge Tolstoi 'scher Propaganda Tages gab es ein neues Stück: Schlunk fel. Wittwe", in Rußland . Gejangsburleske in drei Akten von O. Haneld, bearbeitet von Joseph Dill. Der Name des Stückes sagt nichts zur Sache, denn mit dem bekannten Geschäftsunternehmen von ähnlichem Klang hat es nicht mehr Gemeinschaft, als der bekannte KolonialwaarenGraf aus Sudermann's Ehre". Als Held der überaus harmlosen
Künstlerblut indessen kann nicht völlig unterdrückt werden. In den achtziger Jahren kehrte Tolstoi wieder zum literarischen Schaffen zurück. Es erschien das ergreifende Drama„ Die Macht der Finsterniß", das von der freien Bühne“ zum ersten Male in Deutschland auf
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