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Vitalie sucht nun, indem sie die allgemeine Erregung benutzt, die Der überlebende Feodor Kowalev zeigt in seinem Verhalten Ausführung des Selbstmordes, an den alle schon dachten, zu be- deutlich, wie weit diese Erstase gegangen ist. Als er verhaftet wird, schleunigen. Sie versichert, der Antichrist sei schon auf die Erde find seine Gefichtszüge verzerrt, auf beiden Seiten ungleichmäßig herabgestiegen, in zwei bis drei Tagen würde das Ende der Welt zusammengezogen; sie verrathen den Fanatiker. Nach zwei Monaten fie überraschen. Mit einem gewissen Behagen malt sie die Schrecken schon haben sich diese Kontraktionen der Muskeln gelöst, und es er­des Todes, die sie beim freiwilligen Einmauern erwarten würden, scheint wieder das Gesicht des sanften, willenlosen und beschränkten in allen Einzelheiten aus; aber, fügt sie hinzu, das würde nur zwei Menschen, der er vordem war. In der Schilderung jeder bis drei Tage dauern, was wäre dies gegenüber den ewigen einzelnen Szene tritt der suggestive Einfluß der Vitalie Qualen der Hölle, die ihrer harrten, wenn sie nicht den freiwilligen auf ihn hervor. Er hat sich jedesmal erst geweigert, die Opfertod vorzögen? Sie wendet sich an jeden einzelnen und jucht Einmauerung zu übernehmen ein paar Worte in be= ihn zu überreden. Es gelingt ihr. fehlendem Lon, und er gehorcht. Auch sein Gefühlsleben scheint Am 23. Dezember 1896 geht die erste Gruppe von neun Per- völlig aufgehoben. Er war der zärtlichste Gatte und Vater- dann fonen in den Tod. Unter feierlichen religiösen Zeremonien steigen mauert er die Seinen ein, ohne auch nur Kummer zu empfinden. fie in einem Keller in eine von ihnen selbst gegrabene Grube, Es ist charakteristisch, wie er endgiltig erwacht: Er fragt nach dem die darauf von Feodor Kowalev zugemauert wird. Vier Tage Grunde der Volkszählung. Sikorski jagt ihm, der Staat müsse doch später folgt eine zweite Gruppe von sechs Personen. Am seine Bewohner zählen, wie der einzelne sein Geld; er stutt, wieder­5. Februar 1897 werden Vitalie und sechs andere Personen ver- holt die Worte nochmals mechanisch und dann kehrt ihm das haftet, weil sie bei der Volkszählung keine Auskunft gegeben haben. Bewußtsein des Geschehenen zurück; er kann sich nicht mehr be­Sie weigern sich fünf Tage lang, Nahrung anzunehmen und geberden ruhigen und schiebt Vitalie die ganze Schuld zu. fich derart exaltirt, daß die Behörde sie vorläufig entläßt. Bald Für die Probleme der Massenpsychologie", auf die man erst in darauf lassen sich vier alte Frauen eingraben, und zulegt geht Vitalie der letzten Zeit aufmerksam geworden, bieten Ereignisse wie die selbst mit sechs anderen in die Gruft. Kowaleb mauert sie ein, geschilderten außerordentlich bedeutsames Material.- nachdem er das Versprechen gegeben, den Hungertod zu sterben. Er wird verhaftet, da die Sache ruchbar geworden ist, und mant hält ihn für den Anstifter. Er nimmt auch seinem Versprechen getreu zunächst keine Nahrung zu sich, be ruhigt sich aber allmälig, als das Ende der Welt immer noch nicht eintritt. Er wird dem Professor Sikorski bekannt und nun der Haupt- Frankf. 3tg." wird geschrieben: Im Jahre 1451 sandte Herr Junker Studentenwirthschaft des 15. Jahrhunderts. Det zeuge für dessen Untersuchungen. Soweit die Thatsachen. Und ihre Ort zum Jungen, wohnhaft in Frankfurt zum Roobe auf dem Korn­Erklärung? Es ist richtig, wenn der französische Autor darauf hinweist, marti, seinen Sohn Petrum Jungen nach Erfurt auf die hohe Schule daß die Erscheinung, die in dieser Ausdehnung sich auf Rußland und gab ihm einen gewissen Nicolaus Rode von Lindenfels als beschränkt, auch in dessen besonderen Verhältnissen ihre Ursache Informator und Begleiter mit. Von diesem letteren ist im groß­finden muß. Der Charakter des russischen Volkes neigt, wie herzoglich Hessen - Darmstädtischen Archiv ein Rechnungsbericht über viele Ereignisse auch aus der letzten Zeit beweisen, zu religiösen die Ausgaben seines Zöglings von Ostern 1451 bis Ostern 1452 Exaltationen. Auch mag sich der Einfluß der Geisteskranken, die in borhanden, aus welchem hier auszugsweise einige Notizen mitgetheilt Rußland nur zu einem verschwindenden Theil internirt sind, in feien, die wohl geeignet sind, das damalige Studentenleben zu Zeiten großer Erregung unheilvoll geltend machen. Andererseits Charakterisiren. Wie mancher unserer heutigen Studenten, wenn er aber zeigen die geschilderten Vorgänge bei einer genaueren Analyse noch so bescheiden sich durchzuhelfen gewöhnt ist, würde es doch

Kleines Feuilleton.

gk.

sehr scharf gewisse Grundzüge des psychologischen Geschehens in der für eine starke Zumuthung halten, wenn mit nur 26 Gulden auskommen sollte! Mehr beträgt

Masse.

er in einem Jahre Die Motive, welche die Vitalie zu ihrem Vorgehen brachten, find sie jedoch sich dabei hätten etwas abgehen lassen; auch ist alles nämlich nicht die Rechnung für beide zusammen, ohne daß schwer zu verstehen. Sikorski vermuthet, daß diese Fanatikerin, Nothwendige mit eingerechnet: Scollegienhonorar, Wohnung, Kleidung, indem sie die Menschen hinopferte, weniger an das Heil ihrer Wäsche, und auch was verkneipt worden ist. Nach der vorliegenden Seele dachte, als daß sie den Triumph ihrer Macht über die Zusammenstellung betrug die Rechnung im ersten halben Jahr Menschen austoftete. Sie ist aber gewiß erst durch die völlig willen- 14 Gulden weniger 14 Pfennige und im zweiten 9 Gulden 10 Groschen lose Hingabe dazu getrieben worden, die ihr, der Energischen, von 4 Pfennige; dazu kommen noch an Geschenken für Nicolaus Rode den Schwachen entgegengebracht wurde; vielleicht lag in dieser Macht 3 Gulden: macht 26 Gulden. Auf der Hinreise hat er 5 Groschen über Leben und Tod die stärkste Spannung ihres Machtgefühls. dem Fuhrmann für das Gepäck gegeben, und für die Fahrt von Wie aber gewann sie einen so großen Einfluß? Daß es sich um Kreuzberg bis Salzen 6 Groschen, von da bis Erfurt 8 Groschen, und Suggestion handelt, scheint einleuchtend. Vitalie hat mit großeni Ge­Zur häuslichen Einrichtung schick eine hierfür geeignete Auslese unter den Menschen zu treffen gewußt. unterwegs verzehrten sie 3 Groschen. Schon der Skit bot ihr eine solche, indem sich in ihm stark degenerirte bersahen sie sich dann mit einigen Kissen, Polstern und Betten. Die Menschen mit durchaus gleichgerichteter Stimmung gruppirten. Sie Einschreibegebühren haben 23 Groschen betragen und an die Magistri verstärkte dieses Moment noch, indem sie alle zu entfernen wußte, mußte halbjährlich ein Honorar im Betrage von einem Sera­die ihr irgendwelchen Widerstand boten. Schließlich bestand die genar entrichtet werden. Außerdem find noch einmal 3 Pfennige für Gemeinschaft aus lauter psychopathischen, pessimistischen, frankhaft den Magifter Haffnis, den Konvektor des Paedagogii, angesetzt und ängstlichen Personen, die in ihren stillen Zellen in dumpfiger Luft ebensoviel für einen Magister Simon. Einmal sind auch 5 Denar dahinlebten. Dann ging sie noch weiter, indem sie in diesem Milieu pro Zecha" in Gemeinschaft mit den Herren Magistris in An­die Leute, die in ihrer seelischen Veranlagung am meisten zu ein- rechnung gebracht. Ebenso ist der Bedell zweimal mit einem Salair ander paßten, zu einzelnen Gruppen zusammenfaßte und so jede find 5 Novi halbjährlich für Miethzins angesetzt. Für die Zeche find von 4 Pfennigen bedacht worden. Was die Wohnung anlangt, so auf besondere Weise bearbeiten konnte. wöchentlich im Durchschnitt 3 Denar in Rechnung gebracht u. f. w. Zu einer so vorbereiteten Masse mußte sich gerade durch das Für Wäsche gewöhnlich alle 14 Tage werden durchschnittlich Zusammenwirken die Stärke der Gemüthsbewegung außerordentlich 2 oder 3 Denar, wenn aber der große Magistermantel dabei ist, steigern. Eine Erwägung, die in Sigheles' neuem Buch Psychologie 6 Denar ausgegeben. Ein Bad ist mit 2 Denar angesetzt und der des Auflaufs und der Massenverbrechen" ausgeführt wird, ist hier Barbier halbjährlich mit 4 Groschen. Nach glücklicher Absolvirung wohl heranzuziehen. Zwischen dem inneren Gemüthszustande und des Studienjahres findet sich in der Osterwoche 1 Denar für die Den förperlichen Ausdruck besteht eine enge Wechselbeziehung. Mit Beichte in Rechnung. - den Mienen, den Geberden, den Bewegungen 2c., die im Affekt un­

willkürlich ausgeführt werden, verbindet sich der entsprechende Affekt

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Theater.

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selbst. Die rein mechanische Ausführung der Geberden des Im Lessing Theater wurde am Sonnabend das Schau­Zornes zum Beispiel ruft in der Seele selbst einen An- ipiel Eheliche Liebe" von Georg v. Ompteda zum Hang bon diesem Affekt hervor. Im allgemeinen aber ersten Male aufgeführt. Der Verfasser, ein bekannter Novellist, ist ahmen die Menschen instinktiv die Geberden, die sie an teine starke dichterische Persönlichkeit; aber er hat mit Ernst und Anderen wahrnehmen, nach; und dies ist der Weg, auf dem der ehrlichem Fleiß ein brauchbares Theaterstück geschaffen, das sich über eine Mensch auf den anderen seine eigene seelische Verfassung zu die sensations durstige, wie über die hohltändelnde Theatralit gleich übertragen vermag. Je stärker der körperliche Ausdruck der Gemiths- weit erhebt. Das Schauspiel Eheliche Liebe" rührt ganz allgemein bewegung ist, um so fräftiger vermag er die Anderen zu beeinflussen. an eine soziale Wunde, die Eheprostitution; im besonderen behandelt Aus diesem Grunde führt in erregtem Zustande gerade das Zu- es die ergrübelte Thesenfrage: Kann eine Prostitutionsehe unter fammenwirken einer Masse zu viel gewaltsameren Explosionen als eigenthümlichen Bedingungen zur Reinlichkeit gedeihen? Gewiß dieselbe Veranlassung es beim einzelnen vermöchte. Alle die ver- kann das geschehen, wie das Ausnahme- Exempel in der ehelichen hängnißvollen Beschlüsse der Gemeinde wurden in jenen gemein- Liebe beteist. samen Sizungen gefaßt, in denen sich alle gegenseitig in die höchste Erstase brachten. Jedes ruhig mahnende Wort wird überhört, die Klagen und das Schreien der leicht Beeinflußbaren reißen schließlich auch die Stärkeren mit fort. Bitalie selbst gestikulirt heftig, eilt von einem zum anderen und redet auf jeden ein, sie deklamirt beständig mit lauter Stimme, jedes Wort betonend, in einer feierlich gehobenen Sprache. So wird schließlich eine Grundstimmung heraufbeschworen, in der nur die eine Vorstellung von der Nothwendigkeit des Einmauerns noch die Gemüther beherrscht.

Der Fabrikant Bittor Schröter hat nach einer ziemlich locker verbrachten Jugend das Bedürfniß gefühlt, sich durch eine Heirath zu rangiren". Ein Agent soll ihm eine reiche Braut zuführen, für sein Bemühen erhält der Vermittler eine Provision. Das ist eine alltägliche Geschichte. Verwunderlicher schon ist es, daß die reiche junge Dame, die an einem Bein lahmt, an alles andere eher denkt, als daran, daß ihre Ehe ein glattes Suppelgeschäft gewesen sei. Indessen, man glaubt gern, was man wünscht, und so schwört auch Frau Hedwig Schröter darauf, daß ihr Gatte sie gesehen und gleich