„ Neu- Karthago".
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zahlreichen Korporationen der Hafenarbeiter verändert sich auch der Schauplatz der Ereignisse. Haben wir die verkehrsreichen Quaistraßen und Georges Eekhoud's Sozialroman Neu- Karthago", mit dessen das dichtbevölkerte Hafenquartier bisher nur flüchtig gestreift, so treten Veröffentlichung wir am Sonntag beginnen, unterscheidet sich durch wir jetzt mitten hinein in das werkthätige Getünimel des Hafens, in dem die ungeschminkte Wahrheitsschilderung des Lebens und Treibens in das Verkehrsleben der Handelsstadt seinen intensivsten Ausdruck der belgischen Handelsmetropole Antwerpen und die großzügige Auf- findet. Werftarbeiter, Schauerleute, Stauer, Taller, Schiffer und fassung des sozialen Gedankens aufs vortheilhaftefte von der Mehr- Fischer sind Eekhoud's erklärte Lieblinge, ja, seine Theilnahme für zahl der Hervorbringungen der neuzeitlichen sozialen Erzählungs- alle, die mit der See in irgend welcher Beziehung stehen, erstrect literatur, die sich der Bezeichnung sozial zumeist nur als Köder und sich sogar auf die Antwerpener Spezialität der„ Runner", die be= Lockreiz für das Sensationsbedürfniß des Lesepublifums bedienen. rüchtigte Gilde der Nepper und Hausirer, die die an Land befindSein bemerkenswertheftes Unterscheidungszeichen erhält das Werk lichen Matrosen verschleppen und um ihr sauer verdientes Geld indessen durch das flammende Temperament und die persönliche prellen. Dem Laden und Löschen der Schiffe, der Arbeit auf Speicher Eigenart seines Schöpfers, der die Sache des Proletariats mit dem und Lagerboden, dem Hin und Her des Speditionsverkehrs und all ganzen ungestümen Drang eines in Liebe und Haß gleich stark der geschäftigen Hantirung und mannigfachen Verkehrsthätigkeit, die δας haftende Treiben eines großen Handelshafens belebt, empfindenden Herzens vertritt und zu seiner eigenen macht. Eekhoud, das Haupt und der Führer der aufstrebenden jung- gilt die unermüdliche Aufmerksamkeit des helläugigen BeobAn der Hand des kundigen Führers durchwandern belgischen Dichterschule, ist in allem, was er denkt und schreibt, der achters. er bahnt beredte und unerschrockene Vorfämpfer der Enterbten und wirth- wir Werft und Hafen die Kreuz und Quer, schaftlich Schwachen. Jedes Wort, jeden Gedanken, dem er Ausdruck uns den Weg durch das Gewirr der Nollwagen und Waarenstapel giebt, durchglüht und erwärmt das Feuer echter, überzeugungsstarker und das Werkeltagstreiben der schaffenden Arbeiter, er macht uns mit Menschenliebe und des allerbarmenden Mitleids mit dem Schicksal der eigenartigen Organisation der„ Nationen", der Genossenschaften der Armen und Elenden, die unter der schweren Bürde des Lebens der Antwerpener Hafenarbeiter, wie mit dem Heuerwesen bekannt, mühselig einherkeuchen. Ihnen gilt seine Liebe wie ihren Beinigern wir kehren mit dem von der Fahrt kommenden Matrosen in die und Drängern sein heiligster Zorn, und Liebe und Zorn haben ihm Spelunken des Hafenquartiers ein, wo Schlepper und Dirnen den auch sein ,, Neu- Karthago" in die Feder diftirt, den gewaltigen Sozial- leichtsinnigen Seemann in ihre Nezze verstricken, wir weilen in den roman, aus dem der gellende Verzweiflungsschrei der leidenden gemüthlichen Schenken im Kreise der trinkfreudigen„ Baes" und Menschheit laut und vernehmlich an unser Ohr fchlägt. begleiten die Züge der Auswanderer, die für ihre Arme in der Der vlämische Schriftsteller, der am 27. Mai 1854 in der Stadt, Heimath keine Verwendung finden und die thränenden Auges auf die den Schauplatz seines Romans bildet, das Licht der Welt erblickte, der Suche nach einer neuen Lebensexistenz in die weite Welt hinauswäre kein rechter Sohn der heimathlichen Scholle, in der er mit ziehen, nach dem Abfahrtsquai der Ueberseedampfer. So reiht sich Bild an Bild und eint sich zu einem grandiosen jeder Faser seines Herzens wurzelt, wenn nicht etwas von dem Geiste jener wildtrogigen terels" in ihm lebendig wäre, die sich dereinst Gemälde, das in Kolorit und Einzelzügen wohl national gefärbt ist, das normännische Naubgesindel so wacker vom Leibe hielten und die im großen und ganzen aber ein treues Abbild des vielgestalteten in ihrem unbezwinglichen Freiheitsdrange sich lange dem Joche nicht Lebens giebt, wie es sich in jeder Handelsmetropole der Welt abbeugen wollten, das die Feudaltyrannen der alten Zeit ihrem Nacken spielt. Und das Gemälde, das uns Eekhoud's„ Neu- Karthago" ent aufzuzivingen trachteten. Dieser trozige Geist, der sich gegen jede rollt, ist in seinen hellen wie dunklen Farbentönen als Ganzes so Freiheitsbeschränkung furchtlos auflehnt, ist der Grundton, der aus wahr und echt wie das düstere Schlußtableau, mit dem die sich in Eekhoud's sozialer Symphonie heraustlingt. So wird sein Buch eine bittere gewaltiger Steigerung entwidende Romanhandlung ihren Höhepunkt Anflageschrift gegen das selbstherrliche Gebahren der modernen erreicht und dem die im September 1889 erfolgte Dynamiterplosion Thrannen der Großfinanz und Börse, deren Thun und Treiben dem der Corvillain'schen Patronenfabrik und die dadurch hervorgerufene Autor ein Recht geben, Antwerpen als Neu- Karthago zu kennzeichnen. Feuersbrunst des unweit des Antwerpener Hafens gelegenen Just wie in der Handelsmetropole der antiken Welt ist auch in ihrem Betroleumlagers der Firma Rieth u. Sto. als realer Hintergrund modernen Abbild die Herrschaft in die Hände einiger durch Reich- dient. thum und Abkunft hervorragender Familien übergegangen, deren Willtürregiment alle Merkzeichen krasser Selbstfucht und Habgier zeigt, und die im Sinne und Geist einer despotischen Oligarchie ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit ihre Macht ausüben. Wie dort der Baalsdienst ist hier der Mammonskult das einzige Ideal, das der nüchtern praktische Sinn dieser geldmächtigen Zunft noch gelten läßt, und wie dort, bietet sich uns auch hier das erbauliche Bild eines genußhungrigen, durch frivolen lebermuth wie perverse Neigungen gleich ausgezeichneten Plutokratie, die alle Rechte für sich in Anspruch nimmt und alle Pflichten auf die Schultern des in ihren Diensten stehenden Proletariats abzuwälzen sucht.
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Kleines Feuilleton.
gk. Die Weste ist jetzt ein unentbehrliches Kleidungsstück geworden, schon wegen der vielen Taschen, die der heutige Mensch benöthigt. Sie ist aber keineswegs alt, sondern kam erst, wie Hottenroth in seiner Geschichte der deutschen Volfstrachten ausführt, gegen Ende des 17. Jahrhunderts in die Garderobe. Eingeführt wurde sie Antwerpen , die stolze Königin der Schelde, verdankt seine als Haus- oder Arbeitskleid. Sie wurde ganz wie der Rock zufommerzielle Machtstellung und seinen Reichthum Fluß und Hafen; geschnitten, nur etwas enger und fürzer als dieser gemacht, da man Als Arbeitskleid mußte dann aber auch der Betriebsamkeit einer weitblickenden Kaufmann- sie beim Ausgehen unter dem Rock trug. schaft, die mit Kluger Ausnutzung der natürlichen Vortheile der sie aus festem Stoff hergestellt sein, Leder wurde bevorzugt; die war recht bescheiden. Sehr bald war die günstigen Lage den Weltverkehr in ihren Hafen zu lenken Ausstattung der Reiche trug sie und dadurch Antwerpen zu einem vlämischen Kalifornien zu machen Weste ganz allgemein im Gebrauch, der Jagd und auf der Reitbahit, der Soldat im wußte. Einen typischen Bertreter dieser altantwerpener Geschäfts- auf Teute lernen wir in dem Chef der Firma Daelmaus- Deyrze u. Co. Lager, der Handwerker in der Werkstätte, der Bauer auf Schon int 1700 wurde sie aber kürzer. Die kennen, dessen markanten Charaktertopf Eekhoud mit ersichtlicher dem Felde. Liebe gezeichnet hat und der den wirtungsvollen Gegensatz zu den Schooßfalten an den Hüften, die sie bisher ebenso wie der Rod engherzigen Repräsentanten der jungen Generation bildet, die, in hatte, fielen fort; dafür erhielten sie aber Taschen. Jetzt wurde Reichthum und Wohlleben aufgewachsen und jeder Arbeit abhold, auch der Stoff und die Ausstattung reicher; man besetzte sie mit ihre Zeit zwischen Börse und standesgemäßen" Vergnügungen theilt Stickereien in immer größerer Fülle und nahm Silber- und Goldund die das Geschäftsfeld mehr und mehr dem internationalen Spe- brokatstoffe. So großen Luxus konnte der Bauer natürlich nicht tulantenthum überlassen hat. Dieses letztere und seinen Tummelplag, mitmachen, er konnte nur die neue Form annehmen und mußte sich die Börse, hat der Autor mit überlegenem Hohn in den prächtigen mit einigen gestickten Blumenmustern begnügen. Bis 1770 war Börsenszenen gebührend gekennzeichnet, die uns das dichte Gezweig die Weste so kurz geworden, daß sie nur noch den Oberkörper bedes Giftbaumes Börse und die anrüchige Gesellschaft, die in seinem Schatten ihr unehrlich Spiel treibt, mit Klarster Anschaulichkeit vor die Augen stellt. Mitten zwischen jenem altmodischen Vertreter des Antwerpener Großhandels und diesem neuzeitlichen Spekulanten thum steht eine der Hauptfiguren des Romans, Doboruziez, der Besizer der großen Kerzenfabrik, die den stimmungsvollen Hinter grund des ersten Theiles von Neu- Karthago" abgiebt. Die bis ins Kleinste getreue Schilderung der Stearinferzen- Fabrikation durch die verschiedenen Stadien ihres Werdeprozesses giebt dem Autor will kommene Gelegenheit, uns den technischen Betrieb eines großen Fabrikund Schaffen des etablissements und das gefahrvolle Sein modernen Industriearbeiters in einem eindrucksvollen Bilde vorzuführen. Und dieses Bild ist mit den Augen eines echten Dichters geschaut, der den todten Dingen Leben einzuhauchen weiß und dessen Darstellung die Maschinen, die gezähmten Bestien gleich dem Arbeiter rachgierig auflauern, wie der tückische Abflußgraben, der seine Anwohner mit Krankheit und Tod bedroht, als Sinnbilder des Klaffengegensatzes erscheinen läßt.
Mit dem Scheiden des Helden des Romans aus der Fabrik, in der er seine Jugendjahre verlebte, und seinem Eintritt in eine der
deckte und der Schooß einen kurzen Vorstoß bildete. Aber auch dabei blieb es nicht lange; die neue Form war die des französischen „ Gilet", das keine Aermel hatte und im Rücken aus geringerem Futterstoff gefertigt wurde. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die Aermelweste verschwunden, nur wurde die Rüdseite in der Volfstracht noch lange vielfach von demselben Stoff hergestellt wie die Brustseite, und auch die gestickten Blumenmuster erhielten sich an manchen Orten. Solche Westen sind noch heute anzutreffen, bald mit stehendem oder liegendem Kragen, bald mit, bald ohne Brustklappen, die einen mit den Kanten vorn zudie andern sammenstoßend, übereinander zu schlagen und zivei Knopfreihen ausgestattet. Die Knöpfe find mit bei den Bauernwesten besonders wichtige Schmuckstücke. Meist sind sie von Metall, namentlich Silber, ihre Form ist glatt oder kugelig; häufig sind sie dicht aneinander gereiht, an manchen Orten sigen sie sogar auf einem besonderen Riemen, der nach Belieben auf die eine oder andere Weste geknöpft werden kann. An anderen Orten wird der Dienst der Weste von dem„ Brusttuch" oder„ Brustflect" besorgt, der übereinander geschlagen und seitwärts mit Hafen, Knöpfen oder Schnüren geschlossen wird.