Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 205.

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Donnerstag, den 20. Oktober.

( Nachdruck verboten.)

Meu- Karthago.

Roman von Georges Eekhoud .

VIII.

Regina foll in die Gesellschaft eingeführt werden. Zu dem großen Tage sind sechshundert Einladungen verschickt worden, zweihundert mehr als zum letzten Balle des Ober­präsidenten. In der Stadt spricht man nur noch von dem bevorstehenden Ereigniß.

1898

würdig vertreten. Wenn Herr Dobouziez gerade nicht im Bureau ist, unterbrechen die Herren ihre Arbeit und stellen tiefsinnige Erörterungen über die wichtigsten Fragen der Etikette und der Toilette an. Zunächst halten die drei Ver­treter bei den Kollegen Umfrage wegen der Fassung des Dankschreibens, das an die Gastgeber gerichtet werden muß. Soll man den Brief an Frau oder an Herrn Dobuziez adressiren? nachdem über diesen Gegenstand ein Einverständniß erzielt worden, wendet man sich anderen Formfragen zu. Soll man strohfarbene oder perlgraue Handschuhe wählen? Ist es an­gezeigt, eine Blume ins Knopfloch zu stecken? Parfümirt man Wenn Frau van Belt Frau van Bilt trifft, bildet dieses sein Taschentuch oder läßt man es füglich besser bleiben? nach den üblichen Begrüßungsphrasen das ausschließliche Der Stift, der das Patschuli als besonders vornehmes Parfüm Thema der Unterhaltung, und beide Damen informiren empfehlen zu dürfen glaubte, hat mit seinem Rath solch sich angelegentlichst über die Toiletten, die ihre Töchter lärmende Heiterkeit erregt, daß er fernerhin nicht mehr wagt, tragen werden. Frau van Bal schwelgt in der Vorfreude, feine Meinung kundzugeben. Ja, und dann? Muß man Frau van Bol auszustechen, und Frau van Bul wieder macht einen Rekonnaissancebesuch machen? Und zu welcher Zeit? es ein tenflisches Vergnügen, über das Fest mit ihrer Freundin Das wird sich dann schon finden," meinte der Kassirer, der von Brul zu plaudern, die ohne allen Zweifel nur aus Ver- Naturschwärmer, der glückliche Besizer des Tannengehölzes. sehen nicht eingeladen wurde. Frau van Brand, die eben- Der große, bedeutungsvolle Tag ist endlich heran­falls übergangen worden, giebt vor, die Einladung, die sie gekommen. Das Parkett ist spiegelblant, die Kronen sind gar nicht erhalten hat, dankend abgelehnt zu haben. Sie angesteckt, und an den Thüren stehen die Lakaien in Knie­alle aber brennen darauf, sich möglichst eingehend über jede hosen und Wadenstrümpfen auf Posten. Um neun Uhr Einzelheit zu unterrichten, und wenn sie ihre Neugierde bei abends biegt der erste Wagen in die winkelige, schlecht ge­den Freundinnen nicht befriedigen können, lassen sie es sich pflasterte Vorstadtstraße ein, die zur Fabrit führt, dann folgt angelegen sein, in den Geschäften herumzuhorchen. Putzein zweiter, dem sich in rascher Folge andere anschließen. macherinnen, Traiteure, Zuckerbäcker, fie alle sind von Der widerliche Graben, von dessen Ueberwölbung nach den Dobouziez's mit Beschlag belegt. Die ganze dem Erlöschen der Cholera- Epidemie nicht mehr die Rede ist, Stadt lebt nur noch für sie, wie die Herren Saint- Fardier hat noch keine ähnliche Auffahrt erlebt. In seinem starren zu sagen belieben. Die anderen Kunden geben die Hoffnung auf, Staunen scheint er ganz daran zu vergessen, seinen Besthauch ihre Sachen zu erhalten, und fügen sich feufzend ins Under- in die Winterluft zu senden. meidliche. So flug fie es auch anstellen mögen, zum Ziele Mit ihren Säuglingen auf dem Arm stehen die Arbeiter­zu gelangen, fie erhalten auf ihr beharrliches Drängen un frauen vor der Thür ihrer Hütten und betrachten staunend weigerlich die Antwort: Ganz unmöglich, gnädige Frau, wir die glänzende Auffahrt. Sie strengen ihre Augen vergebens haben ja doch gerade an dem Lage den Ball bei Dobouzieg's 1" an, hinter den angelaufenen Scheiben der im Fluge vorbei Der Traiteur Balduye, dessen bewährten Händen die Auf- rasenden Equipagen die schönen Damen zu erspähen, die sich stellung des Buffets und das Arrangement des Soupers an behaglich in die Ecke ihrer rollenden Stübchen zurücklehnen. vertraut wurde, bereitet wahre Wunder vor. Alle Tapezirer, Das arme Volk sieht nichts weiter als die Lichter der Wagen­Dekorateure und verwandte Berufszweige sind in den Dienst laternen, das Funkeln der Metallbeschläge an den des Hauses Dobouziez's gestellt. Doch das ist alles eitel Geschirren und das Aufblizgen einer Kinntette oder einer Kinderspiel gegen die fieberhafte Thätigkeit, die die Schneide- Goldtresse am Hute des Kutschers. Die Pferde wiehern rinnen entwickeln. Selbst in Brüssel regt man die fleißigen und blasen den weißen dampfenden Athem in die Nacht­Hände und schneidert, näht, säumt, stickt und konfektionirt ganze luft. Und die kleine Madonna am Kreuzweg sieht im Lichte Kilometer von Stoffen, die die Theilnehmerinnen dieses, die des flackernden Heiligenlämpchens just so arm und kleinmüthig Antwerpener Gesellschaftssaison eröffnenden Festes zu schmücken aus wie ihre glaubensstarke Gemeinde. bestimmt sind.

Die Fabrit indessen feiert nicht. Die Nachtschicht hat die am Tage beschäftigten Kameraden abgelöst und ist bei der Arbeit, die Defen neu zu beschicken, denn die Fettmassen müssen beständig flüssig erhalten werden. Während die Herr­schaften sich belustigen, können sich die Proletarier im Schweiße ihres Angesichts wacker abplacken!

Die Festgeber sind nicht weniger in Aufregung als ihre Gäste. Felicitas ist in ihrem ganzen Leben noch nicht übel­launiger gewesen. Sie läßt ihren Unmuth an den aushilfsweise angenommenen Dienstboten und an den Arbeitern aus, die zur Dienstleistung im Hause abkommandirt sind. Frau Dobouziez ist in beständiger Bewegung und hat alle Aussicht, ihre zunehmende Wenn die dickvermummten Gäste aus den Wagen steigen Korpulenz, die ihr solchen Summer bereitete, bei dieser heil- und unter den Thorweg treten, bietet sich ihnen einen furzen samen gymnastischen Uebung um einige Pfund zu vermindern. Augenblick die Vision der schwarzen Fabrikmauer, und das Am vernünftigsten und ruhigsten benehmen sich Gina und dumpfe Gebrüll der arbeitsmüden Maschinen schlägt gedämpft Better Guillaume. Sie haben beide in gemeinsamer Arbeit an ihr Ohr, während ein fader Fettgeruch ihre Nasen be das Verzeichniß der Einzuladenden aufgestellt. Gina strahlt läftigt. Aber schon sind sie durch das weitgeöffnete Glasportal bor Glück und Vergnügen und empfindet die Umstände, die in die mit blühenden Topfgewächsen und Bäumen besetzte man sich ihretwegen macht, als schmeichelhafte Huldigung. Vorhalle getreten, deren warme parfümirte Luft ihre Sinne Dieser Ball, der seinen Riesenschatten vorauswirft, be- schmeichelnd umfängt.

einflußt sogar die Unterhaltung des Bureaupersonals, und Die drei Herren aus dem Bureau erscheinen als die selbst die Fabrikarbeiter sprechen in der Pause davon, die ersten auf dem Plan. Sie haben sich auf gemeinschaftliche Kanne mit dem kalten Kaffee in der einen und die kurze Koften eine schöne Miethskutsche geleistet, obwohl sie von ihrer Thoupfeife in der andern Hand. Die Leute wissen zwar Wohnung nach der Fabrik nur eine Vietelstunde Weges zu nicht recht, was eigentlich los ist, aber das lebhafte Hin und machen haben. Aber das Romptoir soll und muß würdig und Her von Leuten mit Pappschachteln, Körben und Stiften, läßt standesgemäß vertreten sein. Die Zuvorkommenheit der Herren auch die wenigst Neugierigen ab und zu von der Arbeit mit den wohlgepflegten Bartkoteletten und der untadeligen aufschen und giebt allerlei Vermuthungen Raum. Ein Glück Gesellschaftstoilette, die ihnen im Vorzimmer beim Ablegen für Laurent, daß er in der Ferne weilt, er würde zur Zeit der Ueberzieher behilflich sein wollten, brachten das fein Unterkommen finden. Kleeblatt in nicht geringe Verlegenheit, und die Unter der Zahl der Eingeladenen befinden sich auch die Diener mußten förmlich Gewalt anwenden, ehe die drei drei ersten Angestellten des Bureaupersonals: der Buchhalter, verschüchterten Komptoirleute sich ihre Dienste gefallen ließen. der Raffirer und der Korrespondent. Das schmeichelt der Die Frau des Hauses beeilt sich, nachdem sie mit ihrer Schreiberzunft nicht wenig, und selbst der Stift empfindet ob der Toilette glücklich fertig geworden, zum Empfang der Gäste Gnade, die seinen Vorgefeßten widerfahren, ein Gefühl stolzer herunterzukommen. Ein Lakai hat das Schreibertrio gemeldet Genugthuung. Die drei Bevorzugten sollen ihre Kollegen und in den Salon geführt, worauf sich die gnädige Frau