Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 220.

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Donnerstag, den 10. November.

( Nachdruck verboten.)

Meu- Karthago.

Roman von Georges Eekhoud .

Frau Béjard hat unter einer entseglichen Migräne zu Leiden, sie erfüllt aber nichtsdestoweniger mit tadellosem Takt ihre Repräsentationspflicht bei diesem Diner, das gar kein Endenehmen will. Wie gern würde sie auf all die Gemeinheiten kräftige Antwort geben, durch die die braven Leute, Dupoissy an der Spitze, den guten Ruf Bergmans' zu begeifern beslissen sind, um sich bei dem Hausherrn lieb Kind zu machen.

Frau?"

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1898

herausarbeiten kann! Wie die Dinge gegenwärtig liegen muß das Unglück, das über Sie hereinbricht, auch mich mit reißen. Es ist Wahnwiz oder beispiellose Unverfrorenheit, wenn Sie unter diesen Umständen noch auf mich rechnen...." ,, Und trotz alledem werden Sie zusehen müssen, wie Sie die Sache möglich machen, Herr Dobouziez! Es sei denn, daß Sie vorziehen, als Schwiegervater eines Zahlungs­unfähigen, eines Bankrotteurs vor der Welt zu paradiren... Aber Sie haben ja die Briefe wohl gar nicht zu Ende gelesen! Haben Sie nur die Güte, in der Lektüre fortzufahren. Sie werden dann unschwer einsehen, daß die Sache mindestens reifliche Ueberlegung verdient! Sie müssen zugeben, daß Sehr gut! Ausgezeichnet! Haben Sie gehört, gnädige die Verantwortung mich nicht trifft. Wer konnte auch voraussehen, daß Smithson u. Comp. in New York , Und der Mann aus Sedan beeilt sich, Gina das amüsante ein solch bombensicheres Bankhaus, zusammenbrechen würde! Zötchen in zweideutigen Worten ins Ohr zu tuscheln. Wenn und habe ich etwa den Ankauf der Kupferminen von Szreveniẞ, fie auch in den allgemeinen Beifall nicht einstimmt, muß sie deren Aktien just zwanzig Prozent unter Bari gefallen sind, doch zum mindesten durch ein verbindliches Lächeln, ein angerathen? Wenn Sie der Wahrheit die Ehre geben, müssen Liebenswürdiges Neigen des Kopfes für die Mittheilung Sie mir zugeben, daß lediglich Ihr blindes Vertrauen auf danken. diesen fleinen Ingenieur, Ihren ehemaligen Waffengefährten, Béjard studirt seine neue Rolle ein. Er schwadronirt und der uns das Geschäft antrug..." nation onion tannegießert mit den parlamentarischen Kollegen um die Wette Schweigen Sie!" unterbricht ihn Dobouziez. Kein Wort und befleißigt sich, wie sie, als Sachverständiger über Enqueten, weiter! Die wahnwißigen Caféspekulationen, die in kaum Kommissionsberathungen, Budget und Berichterstattung ein vier Tagen die gesammte Mitgift Ihrer Frau verschlungen Langes und Breites zu reden. haben, habe ich Ihnen wohl auch gerathen? Was? Und Herr Dobouziez spricht noch weniger als sonst. Der Ge- dieses sinnlose Hazardspiel, das Ihr Dupoissy für Ihre danke, seine Tochter unglücklich zu wissen, hat ihm vor der Rechnung in Staatspapieren betreibt? Glauben Sie denn Zeit zum Greise gemacht, er liebt sie viel zu sehr, um sich wirklich, die Börsenbesucher sind so dumm, um auch nur durch Gina's Verstellungskünfte über den wahren Stand der einen Augenblick anzunehmen, daß die hundert- oder Dinge täuschen zu lassen. Dobouziez ist seit einem Jahre zweimalhunderttausend Frank Differenzen, die das Schaf, das Wittwer, fein Haar ist gebleicht, die Bruft eingefallen außer der Wolle, die seinen Duckmäuferschädel schmückt, keinen und das Haupt vornübergeneigt. Allem Anschein nach sind Wollfaden sein eigen nennt, bezahlen mußte, aus seiner einige seiner Probleme ungelöst geblieben, oder der un- Tasche kommen? Und um das Maß vollzumachen, ist dieser trügliche Rechentünstler hat all seinen Scharfsinn an ein un- plattfüßige Kerl, der Ihnen in seiner heuchlerischen Unter­lösbares Exempel verschwendet. inwürfigkeit am liebsten die Stiefel ablecken möchte, im besten

Herr Dobouziez sikt abseits für sich in einer Ede und hängt an den Lippen der Sängerin, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legt. Es ist Béjard, der ihm halb­Laut zuflüstert: Wir wollen einen Augenblid rüber in mein Arbeitszimmer gehen, Papa, ich habe Ihnen etwas mit zutheilen."

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Beim Nachtisch bittet man die Hausfrau von allen Seiten, Buge, Ihnen einen regelrechten Fußtritt zu versehen! Man etwas zu singen. Regina ist noch im Besitz ihrer schönen Stimme, muß hören, wie er Sie in Ihrer Abwesenheit behandelt! der mächtigen, schmiegsamen Stimme, der Laurent bei der Selbst dieser elende Wicht wendet Ihnen schon verächtlich den Soiree in Hemirem mit solchem Entzücken gelauscht Rücken! Er scheut sich nicht mehr, auf der Börse laut und hatte; ja, das Organ hat noch an Ausdrucksmacht gewonnen, öffentlich zu erklären, was er über diese Auswanderungs­es strahlt die Melancholie und den lebenserfahrenen Agentur denkt, Ihren neuesten Industriezweig, der Sie unter Ernst aus, der auch die einst so heiteren Züge der Sängerin Umständen mit dem Staatsanwalt wird Bekanntschaft machen verändert hat. Und heute singt sie auch nicht mehr den lassen. Pfui Teufel!" Walzer aus Romeo", sondern ein schwermüthiges Schubert- Mein Herr!" rief Béjard, vom Stuhle aufspringend, sches Lied. Dupoissy ist ein elender Verleumder, den ich einsperren lassen werde!" bl sind 19 Ohne auf den Einwurf zu achten, fuhr Dobouziez erregt fort: Welch jammervolles Niedersteigen von Stufe zu Stufe! und dabei sind Sie glücklich so weit heruntergekommen, einen schimpflichen Handel mit Menschenfleisch anzufangen I Man ist wirklich versucht, den Gerüchten, die über Sie in Umlauf sind, Glauben zu schenken! Ich weiß wahrhaftig nicht, wer mir lieber ist, ein Sklavenhändler oder ein Aus­Sie gehabt, der Gina", dem Schiff, das heute alle diese Elenden nach Buenos Aires schleppt, einen anderen Namen zu zu geben! Und Ihre politische Feyerei! War ich's etwa auch, der Ihre Kasse um die Goldstücke und Kassenscheine erleichterte, die dazu dienten, Ihnen den Wahlsieg zu sichern? Ich will gar nicht erst davon reden, mit welchem Enthusiasmus und welcher Aufrichtigkeit

Unwillig, sich der einzigen Berstreuung, die ihm noch bleibt, beraubt zu sehen, folgt Dobouziez, der von dem eigen­thümlichen Klang der Stimme des Deputirten einigermaßen wanderungs- Agent? Nicht einmal so viel Schamgefühl haben betroffen ist, dem vorausschreitenden Schwiegersohn.

Die Beiden nehmen an dem Schreibtisch einander gegen­über Platz, Béjard öffnet eine Schublade, kramt in einer Dokumententasche und reicht Dobouziez einen Haufen Papiere über den Tisch.

Wollen Sie, bitte, von diesen Briefen Kenntniß nehmen!" Er lehnt sich behaglich in den breiten Lederstuhl zurück, trommelt mit den Fingern auf der Lehne, während sich seine Augen bemühen, den Eindruck der Lektüre an Dobouziez' Ge­sicht abzulesen.

Auf den Zügen des Lesenden drückt sich eine zunehmende Bestürzung aus, er erbleicht, kneift den Mund krampfhaft zufammen und läßt die Papiere auf den Tisch sinken. hat?"

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Dobouziez hatte seine würdige Haltung und seinen über­legenen Ton von ehedem wiedergefunden und spie seinem Schwiegersohn den ganzen Giftvorrath, den er in sich aufgespeichert hatte, ins Gesicht. Aber daran ließen Sie sich noch nicht genug sein. Nicht zufrieden damit, sich dummerweise zu ruiniren und mit sträflichem Leichtsinn das Vermögen Ihrer Frau und Ihres Kindes zu vergeuden, machen Sie Gina obendrein auch noch unglücklich. Sie bringen nicht nur Ihrem politischen Ehrgeiz maßlose Opfer, nein, Sie halten sich auch Maitressen, Sie halten es für Ihre Standespflicht, Schauspielerinnen aus­tofledion zuhalten unter dem Vorwande, daß das das Ansehen eines Mannes in der Welt erhöht! Einfach ekelhaft! Und das ist noch nicht einmal alles! Die Lasterhöhlen von Riet- Dyd haben keinen zuverlässigeren und freigebigeren Stammgast als

Wollen Sie mir endlich sagen, was das zu bedeuten ,, Das bedeutet ganz einfach, daß ich ruinirt bin, und daß man in vierzehn Tagen oder längstens vier Wochen über mein Vermögen den Konkurs eröffnen wird, wenn Sie mir nicht zu Hilfe kommen!"

Zu Hilfe kommen?" Dobouziez fährt erschrocken vom Stuhle auf. Aber Unglücklicher, ich habe mich für Sie ja schon in Verlegenheiten gestürzt, aus denen ich mich kaum