Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 230.

38]

Freitag, den 25. November.

( Nachdruck verboten.)

Neu- Karthago .

Roman von Georges Eekhoud .

1898

Und die andern beiden, die mit Bergmans zusammen ein unzertrennliches Triumvirat bildeten, waren ihm zu haus­backen und lau. Dem Maler machte er insbesondere die Enge seines Gesichtskreises, Interesselosigkeit und Mangel an tief­gründiger Beobachtung zum Vorwnrf, und die überschäumende Gesundheit, die Fülle und der Optimismus der Vivelon'schen Bethätigungsart machten ihm nicht mehr den Eindruck von ehedem.

Ohne Rücksicht auf das Wetter zog Laurent alltäglich die Kreuz und Quer durch die Lande, wenn er es nicht vorzog, an Bord irgend eines Lastkahnes die langen, schnurgeraden blämischen Kanäle zu befahren. Er lebte das Leben der Seine sonderbaren Pilgerfahrten gaben dem kleinen Kreis Schiffer, theilte ihre Mahlzeiten, schlief in ihren sauberen viel Grund zur Heiterkeit, die Freunde behandelten Laurent Kabinen, ging seinen Wirthsleuten ab und zu zur Hand; als Sonderling und nahmen auf ihn wie auf einen Kranken aber zumeist lag er unthätig und gedankenlos im Kahn, billige Rücksicht. Diese zarte Behandlungsweise trug indessen ließ Bäume, Sträucher und Dörfer an sich vorüberziehen und nur dazu bei, ihn in seinen Schrullen zu bestärken. Seine freute sich das Glück absoluter Ruhe. Immer und ewig Ansichten wurden immer verschrobener und kamen auch in die gleiche Hantirung, die sich mit gleichförmiger Regelmäßig seiner Lebensart zu sichtbarem Ausdruck. Er war auf dem feit wiederholt, während die Kähne vor dem Schleusenthor Punkte angelangt, die letzten Vorurtheile und die letzte Fessel liegen, der Schleusenmeister die Winde dreht und das Schiff gesellschaftlicher Konvention von sich zu streifen. Den Freunden mit dem Wasserspiegel sinkt, und immer und ewig die gleichen, wurde die Sache schließlich doch zu bunt, sie hatten denn doch mit näselnder Stimme geführten Gespräche der Frauen von auf ihre Stellung vor der Welt gewiße Rücksicht zu nehmen, Schiff zu Schiff. Selten daß ein kleiner Zwischenfall das und als es sich Laurent eines Tages gar beifallen ließ, regelmäßige Einerlei unterbricht, daß etwa ein Schiffer die ihnen ein paar abgerissene, verkommene Kerle, in deren Gesell­gute Gelegenheit benügt, um ans Land zu springen, schaft er sich befand, vorzustellen, wandten die Drei ent­blitzschnell ein Büschel Vogelmiere auszurupfen, das rüstet den Rücken und ließen es sich gern gefallen, ob ihrer schon nächsten Augenblick das Bauer zimperlichen Zurückhaltung als Philister gescholten zu werden. der unvermeidlichen Lerche hineinpraktizirt. Das Vögelchen Diesmal fonnte sich Bergmans nicht länger beherrschen und dankt durch freudiges Zwitschern für die leckere sagte Paridael seine Meinung offen heraus. Sich des Gabe, aber der jauchzende Dank hat den alten Schiffer, arbeitenden und leidenden Volkes mit Liebe auzunehmen, sei der allein mit der Arbeit nicht zu Rande kommit und seit gewiß aller Ehre werth, aber sich für allerlei zweideutiges einer Minute nach dem Gehilfen Ausschau hält, aufmerksam Gesindel intereffiren, mit Strolchen und verkommenem Lumpen­gemacht, der Murrkopf erwischt den jungen Fant gerade, wie pack Umgang zu pflegen, hieße nichts weiter als einer er sich am Bauer zu schaffen macht, und ein Hagel von kräftigen thörichten Marotte nachgeben, um derartige Verirrung nicht Schimpfworten und nicht minder fräftigen Fußtritten mahnt den mit einem anderen Namen zu nennen. Bergmans versuchte Faulpelz seine zur Unzeit unterbrochene Thätigkeit schleunigst des weiteren, ihn auf den Abgrund aufmerksam zu machen, der wieder aufzunehmen, Langsam ſegt sich die Kette der Kähue sich vor seinen Füßen öffnete, er warf ihm seine Unthätigkeit vor, wieder in Bewegung und setzt die Fahrt nach der Richtung sein Einsiedlerleben, seine verschrobenen Phantastereien und nach Rupel zu fort. erbot sich sogar, ihn in seinem Bureau zu beschäftigen oder

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Zuweilen benutte Laurent auch den Bostivagen für seine ihm bei Daelmans- Deynze eine Stelle zu verschaffen. Wanderfahrten. Zwischen Beveren und Calloo schlug der Paridael lehnte beides rundweg ab. Ihm dünkte jeg­rhythmische Gleichklang der auf die Tenne fallenden Dresch liche Abhängigkeit und Aufsicht ein Joch, unter das er sich flegel an sein Ohr. Der Kutscher hält die Pferde an. Ein um nichts in der Welt bengen wollte. Gleichwohl versprach Mädchen mit halboffenem Mieder und Wangen, die wie er, in Zukunft mehr auf sich zu achten, er wollte sich redliche Aepfel glänzen, flettert die Straßenböschung hinauf und fängt Mühe geben, sich fernerhin an ein geordnetes Leben zu ge­geschicht ein Päckchen auf, das ihm der Postillon zugeworfen. wöhnen, aber die guten Vorfäße gingen bei dem ersten Mit raschen Griff erbricht es das Siegel, entfaltet nach Zusammenprall mit der Plattheit und Verständnißlosigkeit furzem Schwanken den Brief und beginnt zu lesen. Nicht bürgerlicher Anschauungsweise wieder in die Brüche. eine Muskel zuckt in dem Gesicht, aber Laurent glaubt den Vetter Dobouziez' Zukunftsprophezeiung lastete wie ein Pulsschlag ihres Herzens zu vernehmen. Und auch die beiden Fluch auf ihm; der nüchterne und helläugige Mann hatte die Drescher warten in friedlichem Schweigen auf die Neuigkeiten, Entwickelung dieses aus der Art geschlagenen Verwandten nur die der Brief enthält. Kommit er von unserem" Frans, zu gut vorausgeahnt. Laurent war so weit gekommen, die ihrem Bruder, oder von meinem" Jan, dem Schatz, aus der menschlichen Gemeinschaft ausgestoßenen Verbrecher der als Soldat in Antwerpen steht? Hat er fich in den Strafanstalten und die Insassen der Irrenhäuser zu in irgend einen bösen Raufhandel eingelassen, liegt beneiden, die, befreit von jeder Verantwortlichkeit, weder die er sterbenstrant im Garnisonlazareth, oder trägt der Sorge um das tägliche Brot, noch den Kampf ums Dasein Brief gar den Stempel der Strafanstalt von Vilvorde ? kennen. Seine allerbarmende Menschenliebe, eine Liebe, die Laurent drängt es, die Empfängerin um Auskunft auf all diese schon hysterischen Charakter angenommen hatte, bekehrte ihn Fragen zu bitten, aber schon ist das Mädchen im Hause ver- zum Pantheismus. In seinem Fatalismus glaubte er an schwunden. Die Postkutsche holpert weiter, die Glöckchen an sein vorbestimmtes, unabwendbares Schicksal, ohne Rückhalt, den Kummeten der Pferde flingen leise, und der Kutscher ohne Glauben, ohne Lebenszweck wünschte er zu sterben knallt übermüthig mit der Peitsche. Die Sonne brennt so und in das große All unterzutauchen, wie ein untangliches heiß, daß man sich versucht fühlen könnte, die lästige Wärme- Stück, das der Gießmeister wieder in den Schmelztiegel spenderin zu verwünschen und den Winter herbeizusehnen. zurückwirft.

Vom Thurme der Calloo'er Kirche hallen die zwölf Glocken- Die überschwengliche Art, in der Laurent Verbrecher und schläge der Mittagsstunde so matt und müde, als ob es Unbotmäßige verherrlichte, führte erbitterte Auseinander­der alten Uhr schwer würde, die lange Zahl herunter zu setzungen zwischen ihm und den Freunden herbei, obgleich schnurren. diese ihr möglichstes thaten, um derartigen unerquicklichen Er­örterungen aus dem Wege zu gehen. Solche Szenen wieder­holten sich des öfteren, sie lockerten nach und nach das Band der Freundschaft und bewirkten schließlich, daß sich Laurent von den ehemaligen Genossen ganz und gar zurückzog.

Und Laurent's Augen sehen immer und immer wieder den einsamen Bauernhof, das verängstigte Gesicht des lesenden Mädchen und die Gestalten der Drescher im Dunkel der Tenne.

So reiht sich Bild an Bild von Menschen und Dingen, Mehr als je troch er in den Schlupfwinkeln und Laster­die dem Durchschnittsmenschen und Gewohnheitsbeobachter höhlen von Pothoek und Doelhof herum, den krummen Gäß­nichts sagen, die sich dem sonderbaren Wanderer aber in un- chen der Steinmühle und des Zurenborg, deren Anblick ihm auslöschlichen Zügen einprägen. als Kind einen aus Angst, Neugierde und Mitleid gemischten

Bei den Freunden fand Laurent geringes Verständniß für Eindruck gemacht hatte. Auch die weit ausgedehnte Gegend diese krankhafte Sehnsucht. Der praktische Sinn und der der Bassins, die an dem des Thurmes und des kaiserlichen ruhige Gleichnuth Bergmans gefielen Laurent immer weniger. Adlers beraubten Hansahause beginnen und eine ununter­