Anterhattungsblatl des Dorwürts
Nr. 13.
Mitttvoch. den 13. Januar.
189»
(Rachdnick verboten.) Herrn Äickendrakh's Z)eufioniire. 13� Roman von O. Eugen Thossan. „Was denn?" fragte er fast erschrocken. „Na. das Leben, das Sie dort geführt haben." „Ach! Wieso?... Na ja. hier ist es ja viel schöner. Gewiß. Man jühlt sich mehr zu Hause. Als ob man dazu gehörte." Nun fürchtete er wieder, zuviel gesagt zu haben. „Ich meine, nicht wahr?... aber ich habe doch niemals jemanden gehabt... keine Schwester und nichts..." Als Mannt an diesem Abend in ihrem schmalen Bettchen lag unter dem Glühlicht, das ihre gefalteten Hände und die lange weiße Decke mit rosigem Schein übergoß, da faßte sie unter feierlichen Schauern den Entschluß, dem armen vereinsamten Jungen eine Schwester zu sein. Er brauchte es ja nicht zu merken... oder vielmehr, ja doch I Wenn er es nicht fühlte, dann hatte es ja keinen Zweck. Aber so ganz deutlich sollte er es doch nicht merken, nur so ganz von ferne, ganz leise, ganz zart sollte er es spüren— daß er eine Schwester hatte. Und dann schaltete sie schnell das Licht aus. Ein paar Thräncn wollten ihr gerade davonlaufen. Das kam von dem elektrischen.„Das ist und bleibt zu grell, es greift die Augen an." vm. Am Schluß der Weihnachtsferien rückten die Schmidt's des Nachmittags um die Kaffeezeit mit großem Lärm wieder ein. Sie kamen in ihrer alten, ewig mit gelben Lehm be- spritzten Kalesche angefahren und vollführten ein solches Freuden- gehcul in der Straße, daß sogar der Kautor oben im Thurm alle Rücksicht auf seine Gesundheit außer acht setzte und das Fenster anfriß. „Bauerntölpel!" schimpfte er dann entrüstet vor sich hin, als er sah, daß er sich um nichts Wichtigeres bemüht hatte. Die„Bauerntölpel" aber waren seelenfroh, ihrem Kaff wieder entronnen zu sein. Es war ihnen schließlich doch zu langweilig geworden, zwischen all dein Biehzeug. Nun sollte es wieder unter Menschen gehen. Es war noch keine halbe Stunde später, als sie, Fritze Weinold in der Mitte, loszogen. Geradezu zärtlich waren sie geworden, als es galt, ihn zum Mitgehen zu bewegen. Er hatte sich anfänglich ein bischen gesträubt, weil er noch so was wie einen gelinden Aerger auf sie hatte wegen der erwarteten und ausgebliebenen Einladung. Aber zuletzt hakte er nicht niehr widerstehen können. So herzlich erfreut hatten sie sich geberdet, ihn wieder zu haben. Darauf mußte einer gehoben werden, aber feste, eine richtige Bierreise mußte es werden. Wenn man sich bald vierzehn Tage lang einzig und allein auf einen stumpfsinnigen Dorfkrug angewiesen gesehen hatte, dann hatte man ein berechtigtes Bedürfniß darnach. Sogar Guftel spielte sich heute auf den verfluchten Kerl hinaus, was sonst gar nicht seine Art war. Im allgemeinen hatte er eigentlich etwas Duckmäuseriges an sich. Aber ob ihn nun die Ferienzeit ganz rabiat gemacht hatte oder ob er sich das Schwerenötherthum von seinem Bruder suggerieren ließ, er tvar erstaunlich aufgekratzt. Hing sich an Fritzen's Arm und schwadronirte drauf los wie ein Älter, wobei er in jedem Satz das Wort„saufen" anbrachte und von dem„au" die Backen so voll nahm, als es die Anatomie seiner Mundhöhle Zuließ. Sie klapperten mit ziemlicher Geschwindigkeit drei bis vier Kneipen ab, ohne allzuviel zu verzehren. Johannes machte den Führer. Und seine Gier nach Sensationen fand vorläufig noch kein Genüge an diesen engen Dunsthöhlen mit nackten Tischen und harten Stühlen. Sonst, wenn er sich erst wieder eingewöhnt hatte, konnte er Stunden lang da sitzen und Skat dreschen, aber heute war ihm überall zu wenig loS. Und immer wieder machte er sich auf die Suche nach etwas Besierem. Weun's nur wenigstens erst ordentlich dunkel gewesen wäre I Dann hätte er schon gewußt wohin. Aber so lange es noch Tag und Zwielicht war, war das nicht zu riskiren. Unterwegs traf man allerlei Kameraden, die in ähnlicher Stimmung umhertobten. Man begrüßte sich stürmisch, schüttelte sich mit männlicher Energie die Hände, tauschte die
neuesten Importen aus Kakau aus und trennte sich dann wieder mit einer erheblichen Steigerung des Gefühls, daß man einer großen Gemeinschaft von ganz verflixten, lustigen Kerlen augehörte. Fritze Weinold glitt mit den Anderen nach und nach in dasselbe Fahrwasser, der Taunrel wirkte ansteckend. Endlich hatte sich die Nacht herabgesenkt. „Nu gehen wir noch zu Hahn-Hahn l" platzte Johannes heraus. Fritze blieb mitten auf der Straße stehen. „Nee, da geh' ich nicht mit," sagte er zögernd. „Weshalb denn nicht?" grollte Johannes. Daß sein genialer Einfall, den er übrigens schon seit einer Stunde mit sich umhertrug, diese Zurückweisung erfahren sollte, war ihm mehr als ärgerlich. „Nee, ich habe keine Lust." „Keine Lust!... Ach, ich weiß, Du hast es wohl Mani versprochen, solide zu sein?" Der Hieb saß. Und zum Ueberssuß schlug Gustel noch seine bekannte giftige Lache auf, die stets wie eine Explosion aufgehäufter Bosheitsstoffe klang. Fritze hätte sie am liebsten alle beide geohrfeigt. Aber statt daß er es gethan hätte— was das allervernünftigste gewesen wäre— und sich dann nach Hause begeben hätte, setzte er sich ohne ein Wort wieder in Bewegung und ging mit. Hahn-Hahn war seinem Civilstande nach nur ein einfacher Hahn. Aber seine Gäste erwiesen ihm die Ehre, seinen Namen nur in dieser multiplizirten Form auszusprechen. Geschichtlich betrachtet war diese Gepflogenheit weiter nichts als die ossi- zielle Anerkennung einer berechtigten Eigenthümlichkeit deS Benamsten selber. Da er nämlich an einer hastigen über-. stürzten Sprechweise krankte, so suchte er den Mangel an Deutlichkeit in seinen Auseinandersetzungen durch regel- mäßige Wiederholung des Gesagten zu ersetzen. Alle anderen Deutungen der doppelten Namensform, die sich meistentheils durch Zweideutigkeit auszeichneten, waren spätere Erfindungen und konnten vor der historischen Forschung nicht bestehen. Hahn-Hahn's Lokal lag in einer engen finsteren Gasse, und wenn der Fremdling aus dieser in das Gastzimmer trat, so mußte er unbedingt wähnen. Plötzlich in ein Zauberland versetzt zu sein. Der ganze ziemlich lange, aber schmale und niedrige Raum, der durch spanische Wände in mehrere Äbtheilungen zerlegt wurde, tvar in einem vollen satten Roth gehalten, das in seiner Wärme Fülle und Stärke geradezu ausreizend auf das Blut wirkte. Rothe Tapeten, rothe Vorhänge, rothe Portieren und rothe Plüschbänke. Namentlich die letzteren gaben dem Ganzen s» einen gewissen Haremsanstrich, der wenigstens in jungen 0citten, die nie im Orient gewesen waren, märchenhafte Vor- stellungen von Sinnenlust erwecken mußte. Außerdem führte die Kneipe auch noch den stolzen Namen„Sansibar ". Dieser Name hatte in Verbindung mit der sinnenstachelnden Aus- stattung Johannes zu dem Ausspruch verleitet, er ginge nur dahin, um sich einmal klastisch zu fühlen, als San-sybarit. Hier also waltete Hahn-Hahn. Das heißt, sein Walten beschränkte sich darauf, daß er seinen kurzen dicken Korpus von Zeit zu Zeit durch das Lokal wälzte, um den neu an- gekommenen Gästen guten Tag zu sagen, und daß er in Augenblicken des größten Radau's ein paar stehende Redens- arten losließ, die beruhigend wirken sollten und das Gegen- theil zur Folge hatten. Die eigentliche Seele des Geschäfts war feine Frau, frühere Kellnerin, eine üppige Schönheit, deren gemessenes, würdevolles Benehmen zu ihrem Aeußeren in krassem Widerspruch stand. Als Fritze vor dem Lokal stand, hatte er noch einmal eine heftige' Anwandlung zur Umkehr verspürt. Aber er fühlte selbst, daß sein Widerstreben nun, nachdem er so weit mitgegangen war, nur noch für eine lächerliche Ziererei gelten konnte, und trat als letzter ein. Sie nahmen Platz und verlangten Bier. Eine Kellneri» mit einer Mäste falscher Ringe aus den glitscherigen Fingern brachte das Bestellte und verzog sich alsbald wieder in die hinterste Abtheilung, wo eine sehr laute Gesellschaft bei» sammen saß.