Interhaltungsblatt des Horwärts Nr. 25. Freitag, den 3. Febmar. 1893 (Nachdruck vrrboten.) Hevrn Detl�oniive. 26] Roman von O. Eugen Thossan. Um dieselbe Zeit sagte drüben im Konkordiasaale Manni zu Dr. Oberländer, der sie schon wieder aufgefordert hatte: „Eigentlich sind wir beide sogar Kollegen." „Achi Wieso denn?" „Na, wir haben doch auch so eine Art Erziehungsanstalt, unsere Pension." «Ach so l" sagte der Gymnasiallehrer mit einem Tropfen Spott in seiner Höflichkeit. «Oh, Sie sollten einmal sehen, wie ich da mit erziehe!" rief Manni strahlend. Und Dr. Oberländer strahlte auch. „Wirklich ein patentes Mädel!" dachte er. XVH. Diesmal war's Ernst. Fritze blieb am anderen Morgen dahemi und packte seinen großen schwarzen Holzkoffer. Als das geschehen war, verließ er das Haus. «Jetzt geht er. sich eine neue Wohnung suchen", sagte Mutter Zickendrath, die ihm von der Gardine gedeckt nachsah. Ihr war es nun doch nicht so ganz recht. Aber zu ändern war es nicht mehr. Die Wohnungssuche schien übrigens keine große Mühe gekostet zu haben. Nach Verlauf einer knappen Stunde war Fritze wieder da. Er ging auf sein Zimmer, und bis zum Mittag hörte man nichts mehr von ihm. Als zum Essen geklingelt wurde, versammelte sich Alles in der Wohnstube mit ungewohntem Eifer. Man war auf das letzte Zusanimensein mit dem Ausgestoßenen gespannt. Er kanr aber nicht. Herr Zickendrath schickte Gustel noch eirnnal hinauf; der kehrte aber alsbald mit der Bestellung zurück, sie möchten's sich nur so gut schmecken lassen, wie es ihnen möglich wäre. «Was macht er denn?" fragte Herr Zickendrath von Neu- gierde geplagt. «Er sitzt auf seinem Koffer und bammelt mit den Beinen." «Na denn! Also los! Mahlzeit!" Das Fleisch wurde gerade aufgetragen, da rückte ein Dienstmann mit einem Handwagen an. Er wollte den Koffer holen. Alles machte lange Hälse nach dem Fenster, als der Mann das schwarze Unthier auflud. Er fuhr aber ab, ohne daß Fritze zum Vorschein kam. Das Essen war beendet, Emil aber drückte sich noch immer im Wohnzmuner umher. Er getraute sich nicht hinauf- zugehen. «Er wartet bloS. uni mich noch einmal zu verhauen." meinte er. Daran dachte Fritze indeß nicht'im Entferntesten. Er marschierte, den Hut auf dem Kopfe, pfeifend in der Stube umher und bemühte sich, seiner Ungewißheit Herr zu werden, ob er einen offiziellen Abschied nehmen solle oder nicht. Zu- letzt, als er zu keinem Entschluß kommen konnte, stieg er hinauf zum Kantor. Der wußte schon wieder Alles, auch die Geschichte mit dem Zweimarkstück. «So ein nützliches Feuerwerk ist mir noch nicht vor- gekommen," aalte er sich,„hätt' ich einfach nicht für möglich gehalten." Fritze legte ihm seine Zweifel vor.«Ja... das ist eine besondere Sache. Ich würde es mir nicht entgehen lassen." Fritze fühlte das Bedürsiriß, seine Bedenklichkett zu er klären. «Um den Alten ist es mir ja nicht. Mit dem würde ich schon fertig werden. Aber... Er zog das a so lang, daß eine ganze Welt von Bedenken darin Platz fand, und verstunnnte dann. Der Kantor nickte. Ich weiß schon. Es ist Ihnen um das Mädel.' Reden Sie doch nicht! Ich verstehe Sie ausgezeichnet. Sehen Sie, das ist ein Ding, das Sie selbst wahrscheinlich erst viel das Mädel so ist. Ich wundere mich gar nicht darüber. Ich nehme es dem Kind nicht einmal krumm. Die Sache ist die: Sie haben Ihren Kopf für sich, einen famosen Kopf, dick, hart, kantig. Ausgezeichnet für einen jungen Mann. Es ist niein Ernst, keine Ironie. Also, Sie haben Ihren Kopf für sich. Das können die Frauensleute schon an und für sich schlecht vertragen. Ein Kopf soll sein wie der andere. Dann kostet es keine Mühe, damit fertig zu werden. Nun kommt aber bei Ihnen noch etwas dazu... Sie dürfen mir's aber nicht übel nehmen... oder ineinetivegen, nehmen Sie's auch übel! Sie sind jetzt noch nicht ganz zwanzig Jahre. Da ist Ihr Kopf noch nicht fertig. Hab' ich recht? Na, also! Wer sich nun nicht drauf versteht, für den ist so ein unferttger Dickschädel ein unsympathisches Möbel. Verstanden? Un- bequem wird er sehr oft, das steht fest. Aber die Bequem- lichkeit ist auch nur für Philister der Freuden höchste. Und wenn so ein Kopf fertig ist, dann sitzt er oft auf einem großen Mann." Fritze hatte das Letzte gar nicht mehr gehört. Er war an seinem unfertigen Dickschädel hängen geblieben. Mit komischer Verzweiflung rief er:„Aber du lieber Himmel, ich kann doch nichts dafür, daß ich so bin, so jung noch und so..." Der Kantor lachte in sich hinein. «Wissen Sie, wie Sie mir vorkommen? Wie der Rentier AhlcNbcck aus der Roßstraße. Deffcn Rede ist immer:„Ich möchte blos wissen, weshalb die Leute mir mein bischen Reichthum so verdenken. Ich bin doch nicht schuld daran. Ich Hab' ihn mir doch nicht verdient."... Sie guter dummer Junge! Also nun gehen Sie hinunter und sagen:„Meine verehrten Herrschaften, ich danke Ihnen für alles Gute, das Sie an mir gethan haben— mit dem Dank brauchen Sie sich nicht zu überanstrengen— und ich wünsche Ihnen meinerseits ebeusoviele Wohlthaten auf Ihrem ferneren Lebenslvege. Schrnmm!" Und Fritze that so. XVIlL Niemand war entsetzter über den plötzlichen und unter so skandalösen Umständen erfolgten AuSzng Fritzens als Karl Zickendrath. Nachdem er sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, machte er seiner Familie eine fürchterliche Szene. Was er sagte, klang ungefähr so, als ob er entschlossen sei. von nun an jeden Verkehr mit denjenigen abzubrechen, die seinen Freund aus dem Hause gedrängelt hatten. Als aber der Rinderbraten auf dem Tische stand, setzte er sich ohne Zögern und aß sich vorläufig einmal gründlich satt. Diese Thätigkeit beruhigte ihn wieder soweit, daß sein Gesicht, als er fettig war, die alte frischroth erstrahlende Glätte zeigte. Er merkte das selbst und legte es mit einiger Mühe wieder in finstere Falten, um zu fragen: «Habt Ihr beim wenigstens eine Ahnung, wohin er ge- zogen ist?" Niemand wußte es. «Werd' ich ihn mir aufsuchen?" Das that er auch nach beendigter Mahlzeit. Er ging zu dem Schlossermeister, bei dem Fritze arbeitete, weckte den braven Mann aus seinem sonntäglichen Mittagsschlafe und erfuhr von ihm, daß Fritze, der Wollongdär, in der Wall- straße 16 bei dem Fleischer Ranzig ein Unterkommen ge- funden habe. «Er hat, glaub' ich, schon früher einmal da gewohnt," setzte der Schlosser gähnend hinzu. Also in seiner alten Höhle hatte er sich wieder ein- genistet. Karl machte sich sofort dotthin auf den Weg. Die Wall- straße war eine alte, enge, etwas düstere Gasse, nüt eine« Pflaster, das aus ausrangirten Kegelkugeln hergestellt zu sei« schien. Einer, der hier nicht aufgewachsen war. mußte schon über einige turnerische Fähigkeiten verfügen, um sich ohne Ün- fall fortbewegen zu können. Karl ließ sich das nicht anfechte« und voltigirte glücklich bis zur Nummer 16. Ein Fleischcrgeselle lehnte in der Hausthüre und be- deutete ihm auf Befragen, daß der Gesuchte drei Treppen hoch zu finden sei. Die Treppen waren absolut dunkel. Aber ihr gleichmäßig gewundener Bau fühtte auch den Fremdling nach dem ersten tastenden Hineinfinden sicher in die..höhere» später kapiren werden. Bis jetzt wundern Sie sich blos, daß I Regionen, wo ein Oberlicht erleuchtetere Verhältnisse schuf.
Ausgabe
16 (3.2.1899) 25
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