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Ich habe ihn ruhig reden lassen. Ich hatte schon im Ohr eingestellt! Ich hatte schon im Ohr eingestellt! Seit einem Monat mußten sich ihre Kameraden, den Lärm der Räder, das Klappern der Hufeisen, das Knallen Familienväter, langjährige Arbeiter, verdrängen lassen durch diese Gedes Postillons. Es war ein Geräusch mehr. sellschaft von evangelischen Arbeitervereinlern, christlichen Jünglingsvereinlern, Gewerkvereinlern. Wie lange noch und auch an fie fam die Reihe! Der Jüngere von den Beiden warf einen wilden Blick auf den Neuling, doch der Aeltere, der es bemerkt hatte, schüttelte unwillig den Kopf. Dann begann er:
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Ich hörte ruhig den monotonen Wortschwall mit an, der meinen Geist einschläferte wie das Murmeln einer Quelle. Seine Worte, zwar immer andere und doch immer dieselben, glitten an mir vorüber, wie die schiefen Ulmen an der Chaussee. Blößlich schlug die barsche Stimme des Beamten, der auf dem Vordersiz saß, an mein Ohr.
„ Nun, Herr Abbé," sagte er mit einem ziemlich fröhlichen Zone, was giebt's denn Neues?"
Zu dem Priester wandte er sich, als er so sprach. Der Gefängnißgeistliche, der unaufhörlich auf mich einredete und der bei dem Geräusch des Wagens nichts hörte, antwortete nicht.
" Zum Henter," fing der Beamte von Neuem an, indem er noch lauter sprach, um den Lärm der Räder zu übertönen, , das ist ja ein verwünschter Wagen."
Verwünscht, in der That!
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Er fuhr fort:
Bei diesem verdammten Gerumpel versteht man ja kein Wort. Was wollte ich doch gleich sagen? Ach so- haben Sie schon das Allerneneste aus Paris gehört?"
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Jch zitterte, als ob er von mir sprechen wollte. " Nein," sagte der Priester, der endlich zuhörte, ich habe feine Zeit gehabt, die Morgenblätter zu lesen. Ich werde es heute Abend erfahren. Wenn ich den ganzen Tag, wie heute, beschäftigt bin, so lasse ich durch den Portier die Zeitungen aufheben und lese sie, wenn ich zurückkomme." Ach
das geht nicht," fing der Beamte wieder an. Das müssen Sie wissen! das Neueste aus Paris von heute früh."
"
Ich nahm das Wort.
" Ich glaube, ich weiß es."
( Fortsetzung folgt.)
( Nachdruck verboten.)
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Ganz abgerissen war er heute Morgen von der Herberge zur Heimath" gekommen und hatte die Arbeit angetreten. Der Werkmeister hatte ihn auf gute Empfehlung eingestellt. Seit der großen Lohnbewegung des Frühjahrs herrschte in der Fabrik das Bestreben, die organisirten Arbeiter durch gutgesinnte" Elemente zu erseßen. Allmälig und unauffällig follte es geschchen, denn auf eine Kraftprobe wollte es der technische Direktor der Maschinenbau - Aktiengesellschaft im Augenblick nicht ankommen lassen. Die organisirten Arbeiter merkten wohl, wo hinaus man wollte, aber gegen diese Einzelentlassungen ihrer Kollegen waren sie machtlos. So ballten sie die Faust in der Tasche und sahen mit scheelem Blick auf die Neuankommenden, die ihre langjährigen Kameraden verdrängten. E
Der Neue von heute Morgen forderte ihren Grimm und ihr Mitleid zugleich heraus. Zum Frühstück hatte er trockenes Brot hinunter gewürgt und Mittags hatte er, anstatt zu essen, eine Stunde geschlafen. Sollte man es für möglich halten, daß ein Mensch, der die bitterste Noth litt, anstatt gemeinsam mit seinen Klassengenossen die Lohnverhältnisse zu beffern, sich von dem Unternehmer gegen feine eigenen Lebensintereffen verwenden ließ?!
Als am Feierabend die Arbeiter in Schaaren durch das Fabrikthor strömten, warteten zwei Dreher auf den Neuling. Sie hatten in seiner Nähe gearbeitet und beobachtet, wie er den ganzen Tag, ohne aufzusehen, über der Drehbank lag und schließlich doch das Stück verdarb. Den mußten sie sich mal taufen! Schon eine ganze Weile warteten sie. Endlich, als der Portier eben das Thor zuwerfen wollte, tam er mit langen Schritten über den Hof gefegt. Sie sahen seine eingefallenen, blassen Wangen, unter dem struppigen Schnurrbart die dünnen Lippen, und wieder erfaßte sie das Mitleid mit dem armen Teufel. Als er sie aus tiefen, müden Augen scheu anblickte, rief ihn der eine an:
He... Du bist doch der Neue! Wir sind auch von der Dreherei... Geh'n wir einen Weg?"
Dem Neuen war die Begleitung sichtlich unangenehm; er verlangsamte aber doch seinen Schritt und schob neben ihnen her, wobei er fie mißtrauisch von der Seite musterte.
Bist wohl heute erſt angekommen?" frug der Andere wieder. " Ja, von Luckenwalde bin ich' rüber gewalzt."
Bist Du im Verband?... Ich meine, im Metallarbeiter Berband?"
Der Neue that förmlich einen Sprung nach rechts, um die Entfernung zwischen sich und den Beiden zu vergrößern." Nee", sagte er, ich bin christlich."
Hör'' mal. der evangelische Arbeiterverein, das is' doch teine richtige Arbeiterorganisation. Wir sind fast alle im Metallarbeiter- Verband... Wirst Du nich' auch beitreten?" „ Ich werd'
Gure Dummheiten mitmachen und werd' mir meinen guten Stand
Der Neue warf ihnen einen verächtlichen Blick zu.
beim Werkmeister verderben!"
Den Jungen packte wieder der Zorn.„ Hör'' mal, Du," rief er, achte mal auf Deine Worte. Wir sind keine Dummen!" Der Neue wollte etwas erwidern, als er aber in die blizenden Augen des Jungen sah, schwieg er.
Der Aeltere legte sich ins Mittel. Ihr wollt Euch doch nich zanken? Wir find Alle Arbeiter. Und das merk Dir' mal: Dummheiten machen wir nich. Der Verband ist' ne wichtige und noth wendige Organisation für uns Arbeiter. Wir betreiben die Aufflärung der Massen, erziehen sie zum Klassenbewußtsein; unser Du solltest Dich Unterstützungswesen ist anerkannt gut organisirt.
mur Deinen Kollegen anschließen, verstanden?" " Ja," schaltete der Junge ein, und wer sich davon abhalten läßt, um beim Werkmeister' nen guten Stand zu haben, das is ein Kriecher! Auch verstanden?"
Der Neue sah ihn giftig an. ,, Also, idk bin' n Kriecher? Js' gut... Aber wenn Du Kiekindiewelt' mal durchgemacht haft, was ich durchgemacht hab', wirst Du anders reden. Drei Monate hab' ich machen müssen bei Mutter Grün, weil' nich auf' s Schlafgeld in Negen und Kälte auf der Landstraße gelegen und hab' platt Langte. Nischt zu fressen gehabt. Kaum' ne Kruste Brot, keinen heilen Fetzen auf dem Leibe Gud' Dir' mal die Kluft an, die ich anhabe!. Nee, man is froh, wenn man wieder untergeschlüpft is und sucht sich die Arbeit zu erhalten."
Das is' schon recht," sagte der Aeltere, aber dann muß man auch die Verbesserung seiner Lage im Auge behalten. Man muß sich als Arbeiter fühlen, kameradschaftlich und solidarisch zu den anderen halten. Besuch'' mal unsere Versammlungen, tritt dem Verband bei, lies unsere Zeitung... dann erfährst Du, was wir wollen."
„ Das fenn'n wir schon.' s Leyte is doch blos das Streiken. Nee, ich bin für Harmonie zwischen Kapital und Arbeit."
Der Junge lachte über die aufgeschnappte, billige Phrase; der Weltere aber, besonnen, suchte ihn zu belehren.
Sichste, das sind ja blos so' ne Redensarten. Du haft nichts als Deine Arbeitskraft, die Du verkaufst. Je höher der Preis der Waare Arbeitskraft, desto besser Dein Leben. Das Kapital aber muß, im Gegensatz zu Dir, im billig produziren zu können, den Preis der Waare Arbeitskraft herabdrücken. Wie kannst Du da von Harmonie" reden?"
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" Das is alles gut und wohl," erwiderte der Neue. Aber was nützt mir das? Ich will zu fressen haben und muß für meine Arbeit nehmen, was ich kriegen kann."
„ Oho! Mit dem Grundsatz verschlechterst Du nich nur Deine, sondern unser Aller Existenz Damit schädigst Du uns."
,, Was liegt mir an Euch!" Der Junge fuhr auf." Hör... Du!!!"
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Der Aeltere hielt ihn ab, aber den Neuen hatte gegen den Jungen eine heiße Wuth gepackt." Jawohl", schrie er, was liegt mir an Euch! Ich will arbeiten, um leben zu können, und wenn ich Euch verdränge, geschieht's Euch recht.. Euch ist's zu wohl ergangen alle die Jahre, Ihr müßt wieder' runter vom hohen Pferd! Solidarität! Jawohl, den Schwindel kennen wir! Ich pfeif' auf Eure Solidarität! Wenn Ihr erst mal draußen liegt, seht zu, wer Euch hilft!"
Der Aeltere hatte sich hoch aufgerichtet und blickte seinen Be schimpfer mit dem Ausdruck unfagbarer Verachtung an. Den Jungen aber riß sein Temperament fort. Er dachte an die Familienväter, die, im Dienste der Maschinenfabrik grau geworden, durch diese vor den ArbeitsBugezogenen aus der Arbeit verdrängt, nun nachweisen umherirrten, und sinnlos vor Wuth packte er den Neuling an der Brust.
,, Verdammter Strolch... ich schmeiß' Dich in die Gosse!" Der war todtenblaß gewordeit, aber schon tam ihm der Aeltere zu Hilfe. Er riß die Beiden auseinander.„ Laß ihn. Du rührst ihn nicht an!" Und zu dem Neuen gewendet:" Du hast uns be= schimpft... troll' Dich, oder ich steh' für nichts."
Der Neue schob das zerknitterte Brusttuch zurecht und ent fernte sich.
In furzer Entfernung gingen die beiden Eisendreher, der junge und der ältere, hinter ihm her. Die stille Straße mündete auf einen Platz, und vor ihnen erbrauste und brandete das Weltstadtleben Berlins . Dicht neben ihnen stieg eben eine Dame in eine Droschke, sodaß der Saum ihres pelzverbrämten Ballmantels sie beide streifte. Ein Dandy folgte ihr, und der Duft einer Zigarette, vermischt mit einem faden Parfümgeruch stieg ihnen in die Nase. Ueber ihnen jagten die Züge der Stadtbahn dahin, auf dem weiten, lichtüberflutheten Blaze kreuzten die Straßenbahnwagen, die Omnibusse, die Die Beiden sahen einander an. Also darum hatte man ihn Fuhrwerke, schob und drängte sich eine hastende Menge. Und der
Die Dreher lachten. Na", meinte der Eine, Heiden sind wir doch schließlich auch nich'. Du wirst doch organisirt sein?" Ich bin im evangelischen Arbeiterverein."