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Salome verneinte nachdrücklich.„ Bin's nicht. Weil ich| lückenlose Weltanschauung festzulegen? Doch vielleicht meint das heftig war, wie ich das Bild gesehen habe? Das ist Natur, Hart selbst nicht, es stünde auch im Widerspruch mit seinen eigenen Er denkt also nur an eine Möglichkeit, die und gegen die kann niemand. Aber wer dort ist und dort Anschauungen. Welt im Zusammenhange einen zu begreifen, Standhält, wo ich jetzt stehe, der ist niemandem gut und keinem punkt zu gewinnen, bon dem sich alles bös. Wer das recht begreift, der sieht die Sachen geschehen überschauen läßt. auf einmal Da aber solche Weltanschauung nicht und thut, was ihm zukommt. Nur weil er nicht anders übernommen, sondern selbst in heißem Bemühen erworben werden kann, und nicht weil er glaubt, es nüßt wem." Sie sah sich muß, so zeigt art den Weg, den er selbst ging, durch die Denkum, che sie fortfuhr, und dämpfte ihre Stimme so sehr, daß anschauungen aller Zeiten und Völker hindurch. Darin liegt eine sie der Lehrer kaum vernahm.
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( Fortsetzung folgt.)
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Schwäche und ein Vorzug. Die Betrachtungsweise Hart's geht durchaus mir auf die geistigen Momente, die sich von einem Jahrbundert ins andere ziehen, und für das Auftauchen neuer Ideen weiß er keine andere Erklärung als ihre Ableitung aus ideellen Vorgängern, nur in einem Punkte geht er auf mehr materielle Ursachen ein, nämlich auf Raffenunterschiede. Das ist immer eine bedenkliche Sache, und auf keinen Fall kann der RaffenDas kommende Jahrhundert. unterschied, noch dazu ein sehr beschränker, so umfassende Freilich, wäre Die Schauer einer neuen Zeit durchrütteln uns, alle aber mit Veränderungen im Geistesleben hervorrufen. die blos alle geistigen Elemente verschiedenen Gefühlen empfinden wir sie. Für das Proletariat, das eine Geschichtsauffassung, jich zur Sonne aufzusteigen anschickt, bedeuten sie einen frohen als entscheidend ansieht und in den Vordergrund rüdt, vollkommen Morgen, für die Herrschenden Klassen das Ende ihrer Herrlichkeit. genügend, um alle Fragen zu lösen, hier hätte sie ein vorbildliches Muster. Staatsmänner, Feldherren, Philosophen, Mathematiker, Und beängstigt fragen sie sich nach dem Inhalte der neuen Kultur, stehen besorgt am Krankenbett ihrer Zeit und suchen aus den ver- Naturforscher, Maler, Bildhauer, Dichter, alle ziehen sie an uns vors schiedenen Zeichen das Bild der Zukunft zu errathen. Und nun zer- Beziehung gesetzt, und über Jahrhunderte hinweg reihen sich die über, jeder in seiner Eigenart erfaßt, und einer mit dem anderen in Tegen sie sorgfältig alle Einflüsse und Strömungen, die ihre Sehr hübsch ist die Kultur zu bedeuten hatten, und wähnen, die geistige Signatur großen Männer zur unauflöslichen Kette. der Zukunft prophezeien zu können doch das sind schon ihre Charakterisirung der bürgerlichen Kulturwelt, wie sie sich vom sechsfortgeschrittensten Angehörigen, die sich mit solchen Grillen plagen. zehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert entwidelt. Der phantafieDenn es lösen sich von der Bourgeoisie immer diejenigen ab, die reiche Renaissancemensch des sechzehnten wird zum fühlen Verstandesunabhängig von den materiellen noch die geistigen Interessen wahren menschen des siebzehnten Jahrhunderts, um im achtzehnten ganz dem zu können glauben. Einmal gehörte ökonomische und geistige Macht Gefühl zu leben, bis es im neunzehnten Jahrhundert zum großen Kampfe zwischen Gefühl und Vernunft tommt, an dessen zusammen, und in diesem Sinne gab es gewiß ein Goethe'ſches Folgen unserer Zeit franken soll. Denn für art existiren feine Deutschland , vorausgesetzt, daß man unter diesem Sammelnamen diejenige Klasse versteht, die sich diese Macht eroberte. Freilich blieb anderen Gründe, wenigstens vernachlässigt er sie vollkommen. Doch das deutsche Bürgerthum stets eine beträchtliche Spanne hinter diese Einseitigkeit ist zugleich des Dichterphilosophen Vorzug. Mit feinem Führer zurüd, im Guten wie im Bösen; hatte der Krämer- wunderbarer Kraft und Treue versenkt er sich in jede Anschauung, finn nicht allzu viel für das hohe, reine Menschenthum eines Goethe um sich wieder von ihr zu befreien. Man fühlt den Entwickelungsübrig, so bewahrte ihn sein am Materiellen Klebendes Interesse gang der Menschheit, wie er sich in einem einzigen Individuum, in auch vor jenem weltenfernen Sichselbstgenügen, das„ rauni und zeitlos über allem Jrdischen schweben will. Auch ein Bismarckisches Deutschland hat es in diesem Sinne gegeben und giebt es noch. Nichts ist bezeichnender für den Verfall des Bürgerthums, als daß es seinen namengebenden Helden nicht mehr aus sich selbst hervorbringen kann, sondern ihn zähneknirschend von seinem Feinde, dem Junkerthum, übernehmen muß. Man braucht gar nicht die historische Rolle Bismard's zu überschätzen; für diese Bourgeois- Kultur genügt er vollkommen als Heiliger, und worin er besonders ein leuchtendes Vorbild ist, braucht sozialdemokratischen Lesern nicht erst auseinandergesetzt zu werden.
Nunmehr aber gehören ökonomischer und geistiger Besitz nicht mehr zusammen; die Bourgeoisie hat beide Hände voll zu thun, ihre ökonomische und politische Macht festzuhalten, da muß sie schon die geistigen Güter fahren lassen. Sie hat auch niemanden mehr, der ihr das Banner der Jdeale vorantrüge; denn ihre Künstler und Gelehrten, soweit sie nicht ganz dem kapitalistischen Zauberkreise verfallen sind, stehen zwischen zwei Welten: durch Geburt und Erziehung fesselt sie die eine, durch Aufnahmsfähigkeit und Begeisterung zieht die andere sie an. Sind also für die herrschenden Klassen diese Schauer einer neuen Zeit wesentlich Todesschauer, so steht es doch anders mit ihren Jdeologen. Die einen ziehen sich refignirt vom Kampfe zurüd, spinnen sich in ihre Seelenregungen ein und lauschen der„ intimen" Kunst, die andern aber wollen ihre schönen Träume aus dem Zusammenbruch ihrer reellen Bedingungen hinüberretten in ein neues gelobtes Land, das sie wohl selbst nicht zu betreten, aber doch wenigstens zu schanen vermeinen. Und so vermögen sie sich auch des chaotischen Zustandes der Geister zu freuen, und ihr Was will das werden?" tönt in frohe Zukunftshoffnung aus.
In diesem Streit der Meinungen und Geister erhebt auch Julius Hart seine Stimme, und man muß ohne weiteres zu geben, daß sein„ Ausblick auf das kommende Jahrhundert" in seinem Buche„ Der neue Gott"), eine Fülle glänzender Gedanken und mannigfacher Anregungen bringt. Hart ist ein Gemisch von Dichter und Philosophen, und das Visionäre, Phantasievolle in ihm läßt sich nur schwer von dem flaren Wissen und dem nüchternen Forschen meistern, über das er in hohem Grade gebietet. Sein Buch verdient jedenfalls ein aufrichtiges Lob, aber ebenso aufrichtigen Widerfpruch in manchen Punkten; denn auf nichts hat ein ehrlicher Mann mehr Anspruch, als auf ehrliche Worte.
Der philosophisch- religiöse Mensch, der höchste Jdealführer, der das Ganze der Welt umspannt, der Brahmane und Weise, der um eine ganze Weltanschauung und um eine ganze Welterlösung ringt, erstickt in dieser Kultur der allernächsten Nähen, die eben immer Aufgabe der fleineren Tagesgeister sein wird. Mit diesen Worten urtheilt Hart über Stirner, aber sie werfen ein scharfes Licht auf Hart selbst. Diese Kultur der allernächsten Nähen" macht ihm wenig Sorgen. Auf das Große, Ganze will er gehen, mit einem Wort, eine Weltanschauung schaffen. Da ist das erste große Fragezeichen, das wir machen müssen. Kann es uns überhaupt gelingen, eine
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Hart, wiederholt. Daher diese plastische Darstellung, der für jeden Gedanken eine Fülle von Bildern und Vergleichen zu Gebote steht. und so vollkommen lebt sich Hart in jeden Gedankenkreis hinein, daß man überrascht ist, wenn er ihn wieder überwindet. Man hat einmal gesagt, daß in jedem Irrthum Wahrheit steckt, und wahrlich, Hart versteht aus dem verworrensten ans Tageslicht zu Gedanken Labyrinth ungeahnte Schäße aus dem Schutt zusammengestürzter Systeme ziehen und werthvolle Trümmer zu retten. Doch bevor er gewissermaßen die Wanderschaft durch die Todtenstatt der Philosophie beginnt, fetzt er sich noch mit Nießsche auseinander, der der Lieblingsphilosoph unserer dekadenten Jugend geworden ist. In der That, die Kritik, die an Nietzsche geübt wird, ist vernichtend, und der Nachweis der ganzen Philisteröde, die in der Herrenmoral stedt, wird mit einem bewundernswerthen Aufwand von Witz und Geist geführt. Doch weshalb gerade Nietzsche der Abgott dieser Bourgeoisie wurde, dafür bleibt Hart jede Antwort schuldig weil ihm die materialistische Geschichtsauffassung gänzlich fern steht. Dieselbe Bourgeoisie, die noch vor hundert Jahren für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit schwärmte, ist heute gerne bereit, alle ihre demokratischen Ideale aufzugeben, wenn sie nur damit ihren Untergang aufhalten könnte. Und das verächtliche Herabsehen auf die rohe Masse, auch die Betonung der Aristokratie des Geistes ist eine sehr dürftige idealistische Hülle für das materielle Klasseninteresse, das auch Intelligenz und Bildung für fich monopolisiren möchte.
Die Darstellung des Buddhismus gehört zu den Glanzpartien des Buches. Ueberhaupt versteht es Hart wie selten einer, das Schwärmerische, Intuitive an den großen Religionsstiftern mit zur Erscheinung zu bringen und zugleich ihr geniales Denten hervorzuheben. Auch hier verjagt manchmal die rein idealistische Auffassung, beispielsweise gerade bei der Darstellung Christi, von kleineren Widersprüchen abgesehen. Das Ziel, auf das Hart losstenert, ist der reine Monismus, den weder Idealismus noch Materialismus, diese beiden entgegengesetzten philosophischen Systeme, erreichen und woran sie beide scheitern. So sehr wir darin mit Hart übereinstimmen, so müssen wir uns dennoch gegen sein Schlußergebniß wenden. Ein empfindendes Molekel scheint uns ebensowenig den Konflikt zu lösen, der Animismus Fechner's ist uns nicht die Erhellung des Problems. Wir wollen eine Stelle aus einem kleinen Vortrage, den Ernst Ma ch schon im Jahre 1882 hielt, herseßen. Dann wird Hart vielleicht erkennen, wie viel er Gemeinsames mit diesem großen Denker hat, den er leider gar nicht zu kennen scheint. Die Stelle lautet:" Die Welt besteht aus Farben, Tönen, Wärme, Drücken, Räumen, Zeiten 2c. die wir jetzt nicht Empfindungen und nicht Erscheinungen nennen wollen, weil in beiden Namen schon eine einseitige, willkürliche Theorie liegt. Wir nennen sie einfach Elemente. Die Erfassung des Flusses dieser Elemente, ob mittelbar oder unmittelbar, ist das eigentliche Ziel der Naturwissenschaft. So lange wir uns, den eigenen Körper nicht beachtend, mit der gegenseitigen Abhängigkeit jener Gruppen von Elementen beschäftigen, welche die fremden Körper, Menschen und Thiere eingeschlossen, ausmachen, bleiben wir Physiker. Wir untersuchen z. B. die Aenderung der rothen Farbe eines Körpers durch Aenderung der Beleuchtung. Sobald wir aber