Anterhaltungsblatt des Vorwäris

Nr. 71.

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Dienstag, den 11. April.

( Nachdrud verboten.)

Der Schuldige? Stoman bon Sector Malot

,, Kann eine Frau auf Scheidung Klagen wegen Untreue ihres Mannes?"

In gewissen Fällen, die aber allerdings nicht vorliegen." " Und wenn er seine Frau wegen Ehebruchs verurteilen läßt, darf sie ihren Liebhaber heiraten?"

Je nachdem."

,, Und wenn sie sich böte?" Ja dann!"

1899

Was würden Sie über das Bureau von Dissel sagen?" Was er über das Notariat von Dissel sagen würde? Er hatte nicht sogleich geantwortet, um sich nicht in die Karten ſehen zu lassen, denn gerade Diffel war durch seine Nachbar­schaft mit Rouen , wo er bekannt und geschätzt wurde, das beste, was er sich im ganzen Bezirk wünschen konnte. Was fönnte nicht ein intelligenter Notar aus Oiffel herausschlagen, wenn er nicht bloß auf diesen Kanton, sondern auch auf Rouen und Elbeuf seine Kundschaft ausdehnte! In einigen Jahren würde er den Ertrag des Bureaus verdreifacht haben! ,, Und wie soll ich Dissel bezahlen?" antwortete er. " Ich würde billig verkaufen."

Was für den Einen billig ist, ist für den Anderen

theuer."

" Je nachdem im Urteil seine Mitschuld festgestellt worden ist oder nicht. Du siehst, daß ich unterrichtet bin. Seit wir uns lieben, habe ich diejenigen, die mir Auskunft geben konnten, befragt. Sei überzeugt, wenn mein Mann meine Untreue feststellen ließe, so würde er dafür sorgen, auch Deine Mitschuld zu beweisen, um unsere Verheiratung zu hindern. Andererseits wird er niemals mir einen Grund zur Scheidung liefern wollen, dann müßte er ja fogar noch mehr?" meine Mitgift herausgeben und auf die dreihundert tausend Franken, die mir mein Onkel Gibourdel einmal hinter­Lassen wird, verzichten, und das wird dieser Geldmensch nie­mals thun. Wenn wir flüchteten, so würde er mich einfach mit den Gendarmen hierher zurückbringen lassen. Freilich könnten wir ins Ausland flüchten, aber wovon sollten wir dort leben?"

"

Folglich?"

Folglich müssen wir suchen, wie wir uns helfen können. Die Gefahr droht uns, aber es ist noch nicht bewiesen, daß wir ihr nicht entrinnen können. Wir müssen jenes Verschluß system studieren und sehen, ob es teine Mittel giebt, es um­gehen zu können. Du bist doch überzeugt, daß ich Dich liebe, nicht wahr?"

ch bin davon überzeugt."

Und wenn ich Ihnen nun eine Frau fände, die Ihnen soviel mitbrächte, daß Sie Ihr Bureau bezahlen können und Wird Sie mich nehmen wollen?" Warum nicht?"

"

Haben Sie schon eine in Aussicht?"

Halten Sie mich für einen Mann, der nur so leichthin

redet?" In der Normandie antworten nicht nur die Bauern in Frageform. In einer Buchdruckerei, welche normännische Zwiegespräche zu setzen hätte, müßte man das Fach der Frage­zeichen vergrößern.

Courteheuse hatte zwar bereits das dreißigste Lebensjahr überschritten, aber doch nie ans Heiraten gedacht und auch nie eine dauernde Liebschaft unterhalten. Wenn er des Sonntags einige freie Stunden hatte, so fand er es albern, dieselben einer Frau zu widmen, welche ihn, wie er sagte, ,, in Gefühl ertränken", d. h. auf der Seine spazieren fahren

" Ich meinerseits kann gewiß sein, daß Du zu allem bereit oder in den Wald gehen, Blumen und Erdbeeren pflücken bist, damit wir nicht getrennt werden?" " Zu allem!"

" Das ist das wesentliche," fuhr sie fort, das übrige muß mit Geduld hingenommen werden. Nicht wahr, nächste Woche hat Herr Courteheuse eine Versteigerung in Sotteville vor, die mehrere Tage dauern und zu welcher er wie gewöhnlich Herrn Fauchon mitnehmen wird?"

" Ja, Mittwoch." Nun wohl, Mittwoch werden wir einige Augenblicke zur Mittagsstunde haben, und wir werden nach reiflicher Ueber­legung entscheiden, was das beste für uns sein wird."

VI.

Es war feine lebertreibung von Madame Courteheuse, wenn sie sagte, daß sie nur wegen ihrer Mitgift und wegen der noch zu erhoffenden Erbschaft geheiratet worden sei.

wollte. Lieber brachte er seine Zeit in Gesellschaft einiger Freunde, welche seine Geschmacksrichtung teilten, damit zu, endlose Partien Billard zu spielen und üppige Mahle ein zunehmen. Der Abend endete dann stets in Gesellschaft von Damen, die weder auf Geist, noch auf Gemüt Anspruch machten.

Seine Frage, ob er einer Frau gefallen könne, war unter diesen Umständen um so gerechtfertigter, als er sich aufrichtiger­weise sagen mußte, daß er an förperlichen Vorzügen alles zu wünschen ließ. Er war did, unterſeßt, dabei linkisch und konnte sich nicht verhehlen, daß ein wohlhabendes Mädchen seinent blonden Haar und dünnen roten Barte wahrscheinlich die schwarzen Locken und das feine Schnurrbärtchen eines eleganten Jünglings vorgezogen haben würde.

Ueberlegen Sie sich meinen doppelten Vorschlag," hatte Vater Rotin dann zu ihm gesagt; wir werden morgen weiter von der Sache reden; guter Rat kommt über Nacht; meine junge Waise hat hundertzwanzigtausend Franken Mitgift und dreihunderttausend in sicherer Aussicht; ein Onkel, weder Vater noch Mutter!"

Vater Rotin, entschlossen, sein Notariat zu verkaufen, hatte angefangen, einen Nachfolger zu suchen, der nicht zu sehr von seiner Weise, das Amt auszuüben, abwich. Seine Klienten bildeten gewissermaßen seine Familie; welche Be­ruhigung für ihn, zu denselben fagen zu können:" Ich ver- Arme Mädchen waren Courteheuse schon öfters angetragen traue Sie meinem Nachfolger an." An alle Kollegen richtete worden, allein er hatte nie eine Frau nehmen wollen, die er dieselbe Bitte:" Suchen Sie mir doch einen ehrlichen Jungen, eine Laft für ihn wäre. Eigene Häuslichfeit hatte keinen der mich ersetzen kann; ich werde in meinen Forderungen Reiz für ihn. Sein möbliertes Zimmer und die Mahlzeiten nicht übertrieben sein; daß er mir sittliche Gewähr biete, das ist alles, was ich will; wenn er nichts hat, so werde ich ihn verheiraten."

seiner Pension genügten ihm. Etwas ganz anderes war es aber mit diesem Vorschlage Rotins. Die Mitgift und Erb­schaft waren verlockend. Das Notariatsbureau war zwar vor erst nicht viel werth, fonnte aber in seinen Händen sehr ein­träglich werden. Diese Heirat erschien ihm als die erste Staffel zu seinem Emporkommen; wohin konnte sie ihn nicht

Gerade zu jener Zeit stand er wegen einer Versteigerung mit dem ersten Sekretär eines der guten Natariate von Rouen in Verbindung, einem Herrn Courteheuse; die Leichtigkeit und Eleganz seiner Schriftstücke gefielen ihm. Seit mehreren führen? Jahren bereits fannte er ihn als einen intelligenten, fleißigen Als Bauernkind liebte er leidenschaftlich das Geld; diese Jungen, dessen notarielle Fähigkeiten Eindruck auf ihn ge- Liebe hatte ihn, seit er sein Dörfchen verlassen, durchs ganze macht hatten. Er machte ihm gelegentlich darüber Kompli- Leben geleitet, und nun handelt es sich nicht mehr bloß um mente und drückte ihm gleichzeitig sein Erstaunen und sein Geld, sondern bereits um Reichtum! Bedauern darüber aus, daß er noch nicht als selbständiger Notar etabliert sei.

,, Keinen Sou, mein lieber Herr Notar, Sohn armer Bauersleute; eine außerordentliche Gelegenheit, die sich bis jegt nicht geboten hat, müßte kommen, damit ich mich selb­ständig machen könnte."

Sein Entschluß war am andern Morgen gefaßt. Er ließ sich jedoch nichts anmerken und arbeitete den ganzen Vor­mittag hindurch, als ob ihm Vater Rotin gar nichts vor. geschlagen hätte. Erst nach dem Mittagessen, als sie in einem abgelegenen Gange des Gartens miteinander spazieren gingen, nahmen sie das Gespräch an dem Punkte, wo es abgebrochen