Mterhaltungsblatt des Horwürks Nr. 81. Dienstag, den 25. April. 1899 (Nachdruck vervoteo.) 16] Dev zKßhnldigo? Roman von Hector Malot  . Boulnois konnte nicht weiter in ihn dringen, oder zu seiner großen Freude fingen, als Fauchon ankam, die Frage» von neuem an. Wie war ich erstaunt, heute morgen Ihr Bett leer und imbenutzt zu sehen," sagte der zweite Schreiber. Wenn ich künftighin wieder in Roucn schlafen sollte, so werde ich um Ihre Erlaubnis bitten, Herr Hauptmann." Machen Sie sich nicht lustig über mich, sagen Sie mir lieber, ist es eine Blonde oder Brünette?" Sie hat rotes Haar." Eine Rothaarigel Was Sie für Glück haben! Sie werden mir das erzählen, nicht wahr?" Vielleicht ist es eine anständige Dame» von der man nicht sprechen darf," sagte Boulnois mit harmloser Miene. Es ist die jüngste und die Lieblingstochter des Teufels. Herr Boulnois." Ich vermutete es fast." Warum?" Weil sie Ihnen Mittel verschafft, um auf dem Schnee zu lausen, ohne hineinzusinken..." Die Folge dieses Abenteuers war, daß sie sich größere Behutsamkeit auferlegen mußten: offenbar hatten sie alles von Boulnois zu fürchten, der sich eines Nachts im Gäßchen in den Hinterhalt, legen und dort von abends bis morgens Wache halten würde. Welche Vorsichtsmaßregeln sie aber auch nähmen, alles könnten sie nicht voraussehen und blieben darum immer Ueberraschungen und Gefahren ausgesetzt. Die Lage verwickelte sich gegen Anfang des Frühlings noch mehr durch den Eintritt eines neuen Schreibers; der dreizehnjährige Junge, Löon genannt, war der Sohn eines Waldwächters von Rouvray; jeden Morgen kam er von Essarts her, und jeden Abend kehrte er wieder dorthin zurück. Da er keine Verwandten in Oissel hatte, und es für ihn zu teuer war, in einer Wirtschast zu essen, so brachte er in einem Körbchen sein Essen mit und im Bureau. Seine Gegenwart verhinderte sie nun nianches Mal, sich nach dem Weggang Boulnois zu sehen, da La Vanpaliöre nie- mals allein im Bureau blieb, und es, wenn nicht unnröglich, so doch wenigstens unklug gewesen wäre, den Jungen weg- zuschicken. Diese neue Schwierigkeit übte nicht die gleiche Wirkung auf die zwei Liebenden aus: La Vaupaliere, wohl darüber klagend, fügte sich in das Unvermeidliche, während Madame Courteheuse sich bis zur Wut, bis zum Wahnsinn darüber erbitterte. Würde diese Qual denn niemals ein Ende nehmen? Alle acht bis zehn Tage lagen sie einander in den Armen, und das war Alles; nach diesen zwei Stunden, die sie manch­mal um eine halbe Stunde verlängerten, gab es nur die Hölle, und man mußte wieder ans das nächste Rendezvous warten, ohne selbst die Gewißheit zu haben, daß das, was sie geplant hatten, nicht durch Zufall oder Unglück oder Dummheit der Leute verhindert werde. XVIll. Man wußte niemals im voraus, ob Courteheuse Freitags aus Rouen   rechtzeitig zum Abendessen zurückkehrte; man er- wartete ihn also nie. Eines Freitags im März, gerade als sich seine Fran zu Tisch setzen wollte, kam er mit sehr schlechter Laune an, die sich besonders in den fragenden Blicken, die er auf sie richtete, als auch in seinem hartnäckigen Schweigen kundgab. Was hatte er nur? Sie hatte nicht die Gewohnheit, ihn zu fragen, wenn sie etwas wissen wollte: die Erfahrung hatte sie gelehrt, gerade zu schweigen, wenn sie ihn zum Sprechen zu bringen wünschte. Sie wartete daher, als ob sie nichts bemerkte; da sie für diese Nacht kein Stelldichein ausgemacht hatte, so konnte er sich erklären, lvann er wollte. Das Diner und der erste Teil des Abends verstrich, ohne baß das Schlveigcn unterbrochen worden wäre, aber im Moment, wo sie aufstand, ihm den Grog zu bereiten, hielt er sie auf: Bennihe Dich nicht." Es ist Dir zu zeitig?" Es ist weder zu spät, noch zu früh, ich strinke keine» Grog." Was fehlt Dir?" Ich bin krank." Du hast aber doch mit gutem Appetit gegeffen, scheint mir." Ich kann essen, was ich will, ich darf aber keinen Alkohol trinken." Das war ein harter Schlag für sie, aber sie war stark genug, um ihre Gemütsbewegung nicht merken zu lassen." Du ziehst jetzt die Aerzte zu Rathe?" Du hättest mich schon längst dazu veranlassen sollen." Man befragt die Aerzte. wenn man krank ist; ich sehe nicht, daß Du es bist." Ist der schwere Schlaf, der mich so oft des Abends be- fällt, und von dem ich morgens wie stumfsinnig bin, der mir den Appetit raubt und Uebelkeiten verursacht, vielleicht ein Zeichen der Gesundheit?" Das sage ich nicht." Was sagst Du also? Wie erklärst Dr Dir diesen Zu- stand? Woher kommt er?" Ich bin kein Arzt," antwortete sie auf die in brutalem Tone gestellten Fragen,aber nachdem uns Herr Turlure be- stätigte, daß man sich über diesen, für ihn leicht erklärbaren Schlaf nicht zu beunruhigen brauche, habe ich mich nicht mehr beunruhigt." Turlure ist ein Dummkopf." Das glaube ich nicht; er ist unterrichtet, klug, vorsichtig, und wenn ich krank wäre, so würde ich mich sicherlich lieber von ihm, als von einem Arzt behandeln lassen." Vergleichst Du einen Dorfapothekcr mit Hanyvel?" Diesmal konnte sie die Frage, die ihren Lippen entschlüpfte, nicht zurückhalten. Du hast also Hanyvel befragt?" Ich habe ihn auf dem Dampfschiff getroffen, und von St. Adrien bis Rouen hatten wir Zeit zu plaudern. Nachdem er mich befragt und meinen Zustand geprüft hatte, verordnete er mir Pillen, die ich sofort niachen ließ und befahl mir, mich vollständig des Alkohols und Zuckers, des letzteren selbst im Kaffee, zu enthalten." Sie blieb cmen Augenblick wie versteinert, dann fragte sie: Aber an welcher Krankheit leidest Du denn eigentlich?" Glaubst Du etwa, das hätte er mir gesagt? Das war die alte Methode der Aerzte, den Krankheiten Namen zu geben; die neue läßt sich nicht zu solchen Kleinigkeiten herab, sie weiß, und das genügt ihr." Die Frage ist. ob auch Dir das genügt." Ich werde drei Wochen lang die Kur gebrauchen, die er mir vorgeschriebeil hat. und wenn das nicht hilft, so gehe ich zu ihm und lasse mich gründlich untersuchen; das hat er auf dem Schiffe natürlich nicht thun können. Soviel ich aus seinen Orakelsprüchen habe folgern können, fürchtet er, daß ich leberkrank bin, und das wäre kein Spaß." Und woher sollst Du leberkrank geworden sein?" Darüber hat er sich nicht ausgesprochen." Weiul sie in Verlegenheit war, so pflegte sie stets daS Gegenteil dessen zu sagen, was sie dachte, daher bemerkte sie: Jedenfalls hast Du recht, die Kur zu befolgen." Auf keinen Fall kann mir das etwas schaden." Freilich, es wird Dir sehr schwer fallen, Deinen Grog zu entbehren, den Du so gerne winkst und an den Du so ge- wöhnt bist." Es wäre mir noch viel unangenehmer, wenn die Stunrpfsinnigkeit fortdauerte, an der ich seit einigen Monate» so leide." Sie wollte ihr Buch weitcrlefen, allein die Buchstabe» tanzten vor ihren Augen, und die Hände zitterten. Eine Weile hielt sie es aus, dann schützte sie ein Unwohlsein vor, ging in ihr Zimmer hinauf und warf sich schluchzend auf ihr Bett. Vergebens marterte sie ihr Gehirn ab, um ein Mittel zu ersinnen, die Wirkung dieses neuen Schlages abzuwenden» Der Gedanke, den Geliebten nicht mehr sehen zu können,