Mterhaltungsblatt des HorwärtsNr. 84. Freitag, den 28. April. 1399(Nachdruck verboten.)isz Der Schuldige?Nomon von Hector Malot.Was dort vorging, war allerdings sehr bezeichnend. Löonerzählte öfters, der Notar sei heute recht unwohl gewesen undwiederholte auf die Frage von Voulnois oder Fauchon, wasihm Celanie berichtet hatte; danach war er wählerisch mitdem Essen geworden und fand alles schlecht; er übergab sichoft fünf oder sechsmal in einer Nacht, und das war sehr lästigfür Madame, da sie dann gar nicht schlafen konnte, denn siepflegte ihn ganz allein, obwohl er stets die übelste Launezeigte.Die Gehilfen kannten übrigens diese Laune selbst amallerbesten, da sie sie zuerst auszustehen hatten, und LaNmlpaliöre mehr noch als die andern, denn er wurde jedenAugenblick und wegen der geringfügigsten Umstände angefahren.Eines Tages, als er mit Courteheuse arbeitete, wurdedieser von einem Anfall der heftigsten Schmerzen unterbrochen,das Gesicht war krampfhaft verzerrt:„Wollen Sie, daß wir die Fortsetzung auf später der-schieben?" fragte der Sekretär.„Warum schlagen Sie mir das vor?" antwortete Courte-hcuse in bissigem Tone,„was bekümmern Sie sich darum?"„Sie scheinen leidend."„Ich möchte Sie an meiner Stelle sehen. Ich bin sicher,daß Sie niemals krank gewesen sind."„Entschuldigen Sie, ich war in der letzten Zeit sehrleidend."„Ei. Ei I" sagte der Notar mit einer Befriedigung, die ersich gar nicht zu verbergeil die Mühe gab; haben Sie Medizineingenommen?"Die Gelegenheit war zu günstig, um sie nicht zu ergreifen.„Ja. Baumesche bittere Tropfen."„Haben sie Ihnen gnt gethan?"„Gar nicht, ich habe sie aufgegeben, obgleich Turlure siemir als ausgezeichnetes Mittel empfahl."„Die Acrzte und Apotheker sind Esel: ihre Mittel bringendie Leute eher um, als sie sie kurieren; ich müßte es machenwie Sie, und den meinigen entsagen."„Warum entschließen Sie sich nicht dazu?"Die Tage verstrichen; endlich als La Vaupaliöre einesAbends die weißen Blätter, die er am Morgen in seinem Pultevorgefunden Hatto, lesbar machte, fand er unten am Briefe,der mit exaltierter Leidenschast geschrieben war, folgendes Post-skriptnm:„Ich denke. Du wirft wissen, daß für nächsten Donners-tag ein Inventar aufzunehmen ist; wenn Boulnois weg-gegangen sein wird, schicke Leon einen Gang, wie ich auchmit Celanie thun werde; wir müssen uns sprechen; Du wirstes Dir niemals vorstellen, seit»nie langer Zeit schon, mitivelcher �Glut und mit welcher Angst ich diesen Augenblick er-sehne."XXI.Die Abwesenheit des kleinen Schreibers und der Köchin,verbunden mit der von Eourtehense und Fauchon, gab ihneneine Stunde vollkommene Freiheit.Nachdem Boulnois weggegangen war, verriegelteLa Naupaliere die Thür des Bureaus und stürzte nach demSalon, wo er Hortense vorfand, die ihrerseits die Thürennach dem Garten und der Küche verschlossen hatte.„Endlich I"Er öffnete die Arme, aber nach der ersten Umarmungmachte sie sich frei.„Wir haben ernste Dinge zu besprechen," sagte sie.Dieser Empfang glich so wenig denjenigen, an die sie ihngewöhnt hatte, daß er sie sprachlos anblickte.„Komm hierher." sagte sie, indem sie ihn an der Handfaßte und neben sich niedersetzen ließ.„Was hast Du?" frug er ängstlich.„Unser Leben wird sich entscheiden� die Stunde ist feier-lich, es ist die ernsteste, die uns, seitdem wir uns lieben, ge-schlagen hat, verlieren wir keine Minute derselben."„Deine Briefe ließen mich nicht voraussehen..Sie schnitt ihm das Wort ab:„Meine Briefe konnten nur von meiner Liebe sprechen.Ich hoffe, daß sie Dir gezeigt haben, daß ich ohne Dich nichtleben kann, sowie ich durch die Deinigcn gefühlt habe, daßDu nicht ohne mich leben kannst."„Sind wir bedroht?"„Wir sind es, mein Mann ist eisersüchtig auf Dich undwill Dir kündigen."„Eifersüchtig auf mich!"„Du vermutetest nichts davon?"„Ich fand ihn noch brutaler, ungerechter als ge-wöhnlich; aber ich beunruhigte mich nicht sonderlich darüberda ich alles von ihm ertragen muß."„Wie diese Eifersucht entstanden ist. ich weiß es nicht.Ohne Zweifel wurde sie durch Schwätzereien, vielleicht vonBoulnois, hervorgerufen. Kurz, sie ist da und ist für unsgefährlich. Das erste Mal zeigte sie sich, als ich mehrmalsam Bureau vorüberschritt, um Dich zu benachrichtigen, daßunser Stelldichein unmöglich sei; er machte mir einen Auftrittund beschuldigte mich, mich Deinetwegen dort herumzutreiben.Ein zweiter schrecklicher Auftritt fand nach dem Waldspazier-gang statt und endlich der dritte, als Du mit ihm über seinLeiden gesprochen hattest. Er glaubte. Du habest Dich überihn lustig gemacht und wolltest wissen, wie lange er nochzu'leben habe. Du siehst: er ist nicht so dumm, er hatzwar das richtige nicht ganz gettoffen, ist aber doch nicht weitdavon."„Ich spottete keineswegs über ihn."„Du fühltest ihm einfach auf den Zahn. An jenemTage hatte er beschlossen. Dich fortzuschicken, und daswürde sicher bereits geschehen sein, wenn ich nicht, um eszu verhindern, Dich'schier unumgänglich notwendig gemachthätte."„Wieso?"„Indem ich seine Krankheit verschlimmerte. Nur wenner sich zur Arbeit nicht unfähig fühlt, kann er Dichentbehren und Dich durch einen neuen Schreiber, der wederdie laufenden Geschäfte noch die Kundschaft kennen wird, er-setzen. Er wartet also, bis es ihm besser geht."„Und dann?"„Es wird ihm nicht besser gehen."Er blickte sie bestürzt, schaudernd an; ohne die Blickeniederzuschlagen, fuhr sie mit fester Stimme sott:„Du wirst zugeben, daß wir nicht ohne einander lebenkönnen: ich würde ohne Dich hoffnungslos zu Grunde gehen;was würde aus Dir ohne mich werden? An dem Tage, anwelchem er sich entschließt, uns zu trennen, ist er verurteitt.Er oder wir! Ist sein Leben kostbarer als das unsttge?Unser Selbstmord oder sein Tod I"„Sag' das nicht! Es giebt selbst Motte, die man nichtaussprechen darf!"„Ich würde Dir nichts davon gesagt haben» wenn ichnicht geglaubt hätte, daß Du mir grollen würdest, wenn ichDich die Gefühle der Mitschuld nicht mit mir teilen ließe.Waren wir jemals mehr vereinigt, als in diesem Augenblick.Giebt es noch ein festeres Band?"Sie schlang ihre Arme um seine Schultern und drückteihn zitternd an sich.Als er starr blieb, ließ sie ihn frei und sagte:„Du sagst ja gar nichts?"„Ich bin vor Entsetzen stumm."„Wer ist schuld? Habe ich nicht alles versucht, um nichtdies thun zu müssen? Da er nicht die drei oder vier Stundenschlafen will, die wir nötig haben, so mag er für immer schlafen.Erinnerst Du Dich des Tages, als ich glaubte, ihm ein?doppelte Dosis Sulfonal gegeben zu haben?"„Ob ich mich daran ettnnerc!"„Erinnerst Du Dich noch als Du sagtest:„Meiner Tie«.um so besser?" Da ließest Du doch seinen Tod gelten."„Durch einen Unfall, durch Zufall, unabhängig von DeinemWillen, ja. Weißt Du denn, daß nichts leichter ist, als eineArsenikvergiftung zu erkennen?"„Vielleicht, wenn man die Leute beargwöhnt. Wer würdees aber wagen, uns zu verdächtigen?"'„Führt diese plötzliche Krankheit nicht gerade zu einemVerdacht? Ein Mann seines Alters erliegt nicht, ohne daßman nach der Ursache seines Todes sucht."