Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 122.

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Sonntag, den 25. Juni.

( Nachdruck verboten.)

Es lebe die Kunst!

Roman von C. Viebig  .

" Jm Dorf", sagte sie knapp. Die Magd Anna wird bom Sohn des Bauern, bei dem sie dient, verführt und ver­lassen. Sie verbirgt sich mit ihrem Kind im Wald, sie friert, sie hungert

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Hören Sie auf, hören Sie auf!" Bolten trommelte

1899

Ihr Blick suchte den Himmel, der spannte sich hoch droben überm Kanal mit bleichgrauen Wolfen- da, mitten da­zwischen ein Stern, unbeweglich, klar und golden!

Des Mädchens Lippen schlossen sich fest aufeinander, fie ließen den Seufzer nicht durch.

Mit ernstem Blick fam Elisabeth nach Hause.

,, Nu, Fräuleinchen, was hat er gesagt? Mile starb fast vor Neugier. Der hat sich wohl nicht schlecht gefreut?" Mile durfte sich schon die Frage erlauben, sie war ein altes Faktotum, das jahrelang in des Onkels Haushalt gewirt­schaftet und Elisabeth die ersten Stricknadeln zwischen die

ungeduldig auf den Tisch. Ne! Nenenene, das ist nichts für Kinderfinger geklemmt hatte." Elisabeth sette sich in die

uns! Gott   bewahre! Ein uneheliches Kind!!! Wie kann ,, Es hat ihm nicht gefallen." ich das meinen Leserinnen zumuten, Damen aus den besten Sofaecke und lehnte den Kopf ans Polster. Kreifen! Bauerngeschichten sind ohnehin schon abgedroschen, gar nicht mehr Mode. Und dann so romantisch! In Walde versteckt! Heutzutage versteckt sich keine mehr im Walde. Hahaha!" Er lachte, daß man all seine Nußknacker­zähne sah. Liebes Fräulein, wissen Sie was?" Er langte hinter sich. Da, nehmen Sie gleich Ihr Manuskript wieder mit, was soll ich mir erst die Mühe machen?! Hier!" Er hielt inne, ihr zitternder Atem streifte ihn, ihre großen, sprechenden Augen sahen ihn thränenverschleiert an.

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Wieso nicht gefallen?!" Mile sah aus wie eine Gluck­henue die das Gefieder sträubt, weil unbefugte Hände ihrem Stüchlein zu nahe kommen. Rich gefallen? Ich habe Blätter von der Geschichte aus dem Papierkorb' rausgesucht, ich habe sie gelesen." Sie zeigte mit dem knochigen Finger: Da wohnt der im Dorfe, da der! Und die Anna, die! Ich kenne sie alle. Die haben's mal tüchtig gekriegt, die liederliche Bagage! Und der will sagen, das wäre nicht schön! Der" Ruhig, Mile!" sagte Elisabeth mit einem wehmütigen Mag ja ganz litterarisch sein," meinte er gutmütig, Sie Lächeln. Ich bitte Dich, sei jetzt ruhig!" haben Talent, hat man mir gesagt. Aber schreiben Sie mal Mile ging topfschüttelnd hinaus. was aus dem wirklichen Leben, was allgemein interessiert. Elisabeth saß regungslos. Weltenweit, weltenfern Am liebsten was Nettes, Fesches,' ne Humoreske zum Beispiel; wo hatte sie denn gelebt, daß sie nicht wußte, wie die Tragisches will kein Mensch lesen. Und dann nicht diese Menschen denken, was ihnen gefällt und was ihnen nicht ge­Bauernatmosphäre! Verrohen Sie Ihr Talent nicht, Fräulein, fällt?!- die Kunst muß vornehm sein. Wenn ich Ihnen raten soll, lesen Sie viel von der Rosen und von der Widmann- groß artig, einfach großartig! Bei der Lindenhayn tritt das Ero­tische in letzter Zeit etwas zu unverhüllt zu Tage. Wissen Sie, Fräulein, der Schriftsteller fann alles sagen, alles ge schehen lassen"-Bolten redete fich ordentlich in Eifer muß er sogar, der Leser will sich doch nicht langweilen. Aber berblünt! Nicht gleich mit unehelichen Kindern um sich schmeißen! Solche Geschichten ah, bah!"

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,, Aber sie sind wahr." Des Mädchens Augen schwammen nicht mehr in Thränen, groß und ernst sahen sie den Redac teur an.

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Sie rüttelte sich und sah um sich, wie jemand, der aus dem Traum erwacht und sich nicht in der Wirklichkeit zurecht finden kann.

III.

Wolfgang Eisenlohr, der berühmte Dichter, faß in seiner Studierstube. Sie lag nach dem Garten hinaus, durch den langen Korridor von der übrigen Wohnung getrennt. Eine breite Glasthür mit grünseidenen Gardienchen führte auf den Altan  ; Blumen und Palmen blühten und grünten dort in ver­schwenderischer Fülle.

Drinnen alles verschleiert, kein Strahl hellen Lichtes. Ganz Stimmung. Der rechte lauschige Winkel für einen ,, Wahr, wahr! Was heißt wahr?!" Er zuckte die Poeten. Von der Decke schwebte ein ausgestopfter Adler mit Achseln. Die Kunst soll in erster Linie schön sein. Hier" gespreizten Riesenfängen, um den Schreibtisch standen ab­er hielt die Korrekturfahne des Rosenschen Romans in die gehauene Tannen in geschickt verborgenen Wasserkübeln; sie Höhe hier, hier können Sie was draus lernen. Lesen Sie wurden alle vierzehn Tage erneuert. Der Dichter liebte es, die Widmann, die faßt auch nicht gerade mit Glacé- Hand- im Grünen zu arbeiten; seine Phantasie verfekte ihn dann schuhen an. Aber der Zweck heiligt die Mittel; sie beschäftigt in den Gebirgswald, wo der Adler horstet und der kühne sich eben mit der brennendsten Frage der Gegenwart: der Wanderer aus einsamer Höhe stolz auf die niedere Menschheit Frauenfrage. Lernen, liebes Fräulein, lernen! So, hinunterblickt. nichts für ungut, liebes Fräulein," er reichte ihr die Eisenlohr schrieb eine großartige Naturschilderung, das Hand, sie that ihm leid, sie stand wie nieder erste Kapitel seines neuen Romans. Die sterbenden Tannen geschmettert, bringen Sie mir die Humoreske. Bedenken dufteten stärker in der Treibhauswärme des Gemachs, Harz­Sie" er streckte pathetisch den Arm, in die Höhe thränen tropften an ihren Stämmen nieder, ihre Nadeln fielen ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst!" Und dann in leis knisternd. Sonst tein Laut.nl geschäftlichem Ton:" Nicht zu lang, ungefähr dreihundert bis dreihundertfünfzig Druckzeilen, anmutig, im Salon spielend, verstanden?"

" Ich kann das nicht," sagte sie. Sie hob stolz den Kopf: " Ich werde das nie können."

In den Dichterohren rauschten Föhrenwälder, kreischte der Adler, hoch über der Klippe, die noch kein Menschenfuß betrat. Eisenlohr war ganz in Stimmung. Da er fuhr empört auf draußen wehklagendes Kindergeheul! Noch einmal, angstvoll, schrill, im höchsten Diskant.

Sie ging. Wie sie die Treppe hinuntergekommen, wußte sie selbst nicht; es faßte sie wie ein Schwindel. Das war Er riß die Thür auf: Ruhe!". die Kunst?! Das war der Weg?! Nein, nein! Sie preßte ,, Oh monsieur!" ihr Manuskript an sich wie ein geliebtes Kind.

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die französische   Bonne stürzte atem­los herein, excusez, mille fois pardon! Elsa hat sich ge­Langsam ging sie durch die Straßen, die Menschen fallen ein Loch, mon Dieu!" Hasteten, sie wurde gestoßen hier, dort sie merkte es Ungezogene Jöhre!" Eisenlohr warf krachend die Thür nicht. Pferdebabnen flingelten, Droschken rollten; Getrappel, ins Schloß. Ruhe!" Peitschenknallen, Zurufe; bunte Läden, Menschen, Frauen, Das Geheul verstummte sofort, die Bonne hatte nur ge­Kinder. Eine Fülle von Dingen, eine ununterbrochene Reihe flüstert: St- st! Monsieur dichtet!" von Gestalten, von Existenzen aller Art. Der Strom des Der Papa dichtet! Die vierjährige Elsa wußte sehr wohl, Lebens flutete: mächtig in der großen Stadt, und sie mitten was das bedeutete. Sie preßte ihre Lippen aufeinander und darin, einsam! Sie fühlte sich einsam; zum erstenmal. verbiß den Schmerz. Sie war eine Dichterstochter und wußte, was sie ihrem Vater schuldig war; er hatte nicht um­sonst den wunderbaren Lieder- Cyklus:" Mein Sonnenkind" an sie gerichtet.

Da floß der Kanal; Bäume ſtanden am Ufer, Bäume, die emporstrebten, die Aefte sehnsüchtig nach Licht und Luft reckten. Elisabeth blieb stehen. Langsam sant die Dämmerung nieder. Das Wasser floß schwarz, von keinem Wellchen be­wegt. Kein Windhauch. Abend.

Die Föhren rauschten wieder, Moos und Gerank krochen die Felsen hinan, liebevoll blickte das Dichterauge auf das