Unterhaltungsblatt des Vorwärts
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Sonntag, den 9. Juli.
( Nachdruck verboten.)
Es lebe die Kunkk!
Roman von C. Viebig.
Er ging neben ihr her und sah sie von der Seite an, sie beobachtend. Sie war so ernst; er wurde unruhig und biß sich den Schnurrbart. War sie böse auf ihn? Er war zu spät gekommen, jawohl, aber ein guter Bekannter, ein Freund von früher, hatte ihn aufgesucht; sie waren ins Plaudern gekommen, dann hatte er den Freund aufgefordert, an der Partie teilzunehmen. Sie würde doch nichts dagegen haben? Berstreut schüttelte sie den Kopf; es war ihr ganz gleichgültig.
Auf dem Großgörschen - Bahnhof sollten sie die anderen treffen, die waren direkt dorthin gekommen.
1899
Nebenan flang es wie das Schwaben eines Kindes im Einschlafen füße, kindlich- frohe Laute.
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Marie Ritters durchsichtiges Gesicht hatte einen rosigen Schimmer.
Um den reichen blonden Flechtenkranz, der ihren Kopf umgab, webte der Abendschein eine Glorie. Also das war die, vor deren Umgang man sie gewarnt hatte? Unendlich sympathisch berührte die fanfte Stimme, und voller Spannung fah Elisabeth in dies Gesicht. Das mußte schön gewesen sein! Jetzt war es verblüht; eingegrabene Linien zogen sich über die Stirn und an den Schläfen zeigte sich viel Grau im Blond.
Fräulein Nitter hatte eine zurückhaltende und doch herzgewinnende Freundlichkeit; Elisabeths Scheu zerstob. Da war nichts, gar nichts, was ihr mißfallen hätte; sie fühlte sich mit linder, vertrauter Hand berührt in dieser bescheidenen, ein wenig altmodischen Häuslichkeit. Nichts von Zigeunerwirtschaft. Elisabeth hätte lachen mögen, wenn sie an Herrn Sistemacher dachte.
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Ganz draußen, wo die Grunewaldstraße nach Wilmersdorf zu ins öde Feld führt, da wohnten sie alle. Ringsherum Arbeiter. Arbeiter, die mit der frühen Morgenstunde aus rücken, spät abends heimkehren; bleichsüchtige Mädchen, die Dann war Jakob Heider gekommen und war beglückt, in die Fabriken gehen; unzählige Kinder auf dem Trottoir. Elisabeth zu finden. Er brachte eine Wurst zum Abendbrot Wo die Hänser enden, flaches Feld, die sandige Erde mit und eine Düte Kirschen für Heidi" sagte er. Scherben und Schutt vermengt; hie und da ein Stückchen Erdmann erschien. Hier war er, wie von einem Bann Drahtumzäumung und eine Bretterlaube cin paar rot- befreit; hier war er zu Hause. Er zog ein paar Rettige aus blühende Bohnen, fümmerliche Salatstanden und dürftige der Tasche, er hatte kein Geld, um anderes zu kaufen. Rüben, von Unkraut halb erstickt- cin Garten der Armut. Mit ungeheuchelter Freude, wie ein großes Geschent, Elisabeths Gesicht war crust gewesen, seltsam bänglich, nahm Marie Ritter sie an. Es war rührend zu sehen, wie als sie zum erstenmal diese lange Straße hinumterschritt, um der blasse Erdmann strahlte.
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Fräulein Marie Ritter einen Besuch zu machen. Heider hatte Und mm kam noch Peter Sörensen, mein dritter Sohn", sie dringend darum gebeten. Ich muß Sie mit unserer wie Fräulein Ritter sagte. Sie war anmutig, wenn sie lachte, Mutter Maria bekannt machen, Fräulein Reinharz," hatte er ein Hauch von Jugend schien dann zurückzukehren; und sie gt. En famoses Weib! Was Sie von ihr lernen sollen, lachte beim Anblick des durchfetteten Packetchens, das ihr ist nicht die Kunst, ein gutes Buch zu schreiben, anderes. Ich Sörensen entgegenhielt. Spickaal!" erklärte er schmunzelnd. jage Ihnen weiter nichts, Sie haben ja selbst Augen." Er Das Sp' sprach er ganz fein, ganz spitz; er war von der lächelte nicht ohne Sarkasmus. Was freilich das Urteil vieler Westküste. über Fräulein Ritter anbelangt er zuckte die Achseln Man hatte Elisabeth nicht fortgelassen, sie mußte zum und pfiff. Abendbrot bleiben, und sie blieb gern. Die drei jungen Was war das mit dieser Marie Ritter? Elisabeth hatte Leute aßen wie die Wölfe , sie waren gewohnt, hier gedeckten nie ihren Namen als Schriftstellerin gehört. Sie erkundigte Tisch zu finden. Jeder rechnete es sich zur Ehre, etwas zur sich bei Herrn Kistemacher. Mahlzeit beistenern zu dürfen. Es hatte Elisabeth lange nicht Wird wohl so gut geschmeckt; dieser Appetit steckte an, und man fühlte, Man weiß es wurde gern gegeben. Sie sah es wohl, wie Marie Ritter besonders für Erdmann sorgte; der war ihr kränkelnder, der ihrer am meisten bedürftige Sohn.
Ritter Marie Ritter?! Renne ich nicht. das Verhältnis von dem jungen Menschen sein.
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Zigeunerwirtschaft!"
Und Leonore hatte bei des Mädchens Frage einen Augenblick nachgedacht, dann in heller Empörung ausgerufen:„ Da Elisabeth fühlte den Strom der Mütterlichkeit, der von willst Du hin? Das erlaube ich nicht! Schat, fage Du"-diesem, gewiß schon ältlich zu nennenden Mädchen ausging, ihr Mann war gerade eingetreten kann ich's zugeben, daß das nicht mehr jung war, nicht mehr schön, kein geistreiches Elisabeth mit dieser Ritter Du weißt schon, Marie Ritter, Wort sprach, und doch hingen die jungen Leute an ihren Verkehrt?" Lippen.
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Bewahre!" Mannhardt lehnte aufs entschiedenste ab. ,, Das ist nichts für Sie, Fräulein Elisabeth! Folgen Sie da nur ganz meiner Fran!"
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Das Gespräch drehte sich hauptsächlich um Litteratur. Man sprach von Eisenlohr. Elisabeth saß ganz betroffen, als der Name fiel. Da hätte sie auch erzählen tönnen! Warum nur hatte sie Heider nichts von ihrem Abenteuer gesagt? Sie, die sonst so aufrichtig gegen ihn war.
Waruur denn?" wollte Elisabeth fragen. Leonore schien Diese Frage zu ahuen und kam ihr zuvor: Fräulein Ritter stammt eigentlich aus guter Familie. Nach ihrem Roman, Erdmann schien unruhig, als Eisenlohrs Name genannt der vor mehreren Jahren großes Aufsehen erregte, hatte ich wurde. Er rutschte hin und her; plöglich sprang er auf, die Absicht, sie in meinen Salon einzuführen. Wie froh seine schwanke, immer vornüber geneigte Gestalt wurde kerzenbin ich jetzt, daß ich damals vorsichtig war! Es gerade. ist auch nichts aus ihr geworden." Sie zuckte die ,, Und das nennt Ihr Litteratur?! Den Instinkten des Achseln. ,, Uebrigens, Dit fannst mal ihre Ge Publikums schmeicheln? Ihm seine Eitelkeiten ablauschen, schichte in einer Novelle verarbeiten ein ganz interessanter die verherrlichen, auf das Wohlgefallen des großen Haufens Stoff! Die Starzynska verfehrte mit ihr, hat sich natürlich spekulieren? Sind das Dichter?! Ich sage Euch, das sind auch ganz zurückgezogen litterarisches Proletariat!" Verräter an der Kunst! Dem Dichter ist eine Gabe ver liehen, die ihn erhebt über viele- aber auch eine Aufgabe: Erdmann Er soll seiner Zeit den Spiegel vorhalten!" streckte den hageren Arm aus, seine sonst so leise Stimme wurde start seht, so seid Jhr!"
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Auf was mußte man da gefaßt sein?! Ein geheimnisvoller Schleier wob sich um Marie Ritter. Elisabeth wagte nicht, Heider im Aufklärung zu bitten.
Selbst sehen! So ging sie hin.
Es war an einem Sommernachmittag gewesen, gegen Abend, als Elisabeth die Wohnung von Fräulein Ritter betrat. Durch das einzige Fenster der Stube sah man hinaus auf die Dede der Felder. Elisabeth war geblendet; die schlanke Gestalt, die ihr von Fenster entgegentrat, war ganz in Glanz gehüllt. Draußen fant der große runde Sonnenball hinter die magere Erdscholle. Hier oben im dritten Stod trafen noch die Lichtstrahlen; sie schienen ein stilles, heiliges Feuer entzündet zu haben in dieser beschränkten Häuslichkeit.
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Er stand da wie ein Richter, jede Muskel straff; sein Zeigefinger schien die Luft zu durchbohren.
„ Und wenn sie nicht sehen wollen, soll er ihnen die Augen aufzwingen. Wenn sie nicht hören, soll er Donnerworte in ihre Ohren schreien. Keulenschläge für die Gemeinen, Verheißungen für die Hoffenden, Trost für die Leidenden! Wir, wir Dichter sind, was die Propheten des alten Bundes waren!"
Seine Stimme wurde immer stärker, fie grollte: Pfuscher,