Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 133. Dienstag, den 11. Juli. 1899 (Nachdruck verboten.) 17Z Es lebe die Munfk! Roman von C. V i e b i g. Und soll ich krepieren wie ein Dorsch auf dem Trockenen I" Sörensen schlug auf den Tisch.Erdmann hat recht I" Sein blondes Friesengcsicht verfinsterte sich. Und wir werden auch kein Vaterland haben. Aber,.Lewwer duad üs Slaav!' Schönredner und Lügner sind wir nicht. Sie haben mich aus Schleswig-Holstein   meernmschlungen hinausbugsiert, wie schon einen andern, größeren Dichter vor mir aber meine Zeit wird auch kommen l" Er setzte sich fest und zuversichtlich hin, der Stuhl knackte unter ihm. Der friesische Dickkopp Heider lachte; das Gespräch war ernst geworden, er beniühte sich, ihm eine heitere Wendung zu geben.Pitter", wie sie bei uns am Rhein   sagen,wat fällt dich ein?" Bleib' uns mit der Politik vom Leibe!" Er hielt sich die Ohren zu, als der andere erwidern wollte.Ich will nichts hören, stör' mich nicht!" Zu einer Kette füg' ich Lied an Lied. Von jungen Städckcn. wenn sie still erröten, Von schmalen Gräbern, wo der Flieder blüht, Von blaue» Wünschen, die im Wind verlvehten, Von Regennächten, da ich ivachend lag, Von Lüften, die ein Hauch herbeigeiragen, Von Träumen und von Nachtigallenschlag Und einer Sehnjucht, ach, nicht auszusagen.. Heiders Organ klang voll und weich, er sprach mit einem melodischen Rhythmus; wie Musik, in einer zarten Schönheit, schlvebten die Verse hin! Er heftete die Augen auf Elisabeth. Und einer Sehnsucht, ach, nicht auszusagen!" Leise wiederholte Marie Ritter die letzte Zeile. Eine traumhafte Stimmung sank ans alle nieder. Da plötzlich ein Ruf: Nebenan ein Üiuderschrei:Mutter!" Heidi ist aufgewacht!" Marie Ritter war auf- gesprungen.Entschuldigen Sie niich!" Sie hatte sich an Elisabeth gewendet, ein leises Rot war in ihre Wangen ge- stiegen; ihre Augen sahen offen in des Mädchens verwundertes Gesicht. Mit einem Lächeln hatte sie gesagt:Mein ftind ruft mich!"----------------- VIT. An was denken Sic?" fragte Jakob Heider, als sie die Treppe des Großgörschen  -Bahnhofs hinaufstiegen. Ich? l" Elisabeth fuhr aus tiefem Sinnen auf und sah in seine Augen.Verzeihen Sie, ich weiß oft nicht, wo ich bin!" Sie strich sich über die Stirn.Ich bin manchmal ganz verwirrt. Ter eine spricht so, der andere so. Ich lebe m zwei Welten, in der einen wird gepriesen, was in der anderen verachtet wird, und umgekehrt. Ich kaun mich nicht zurechtfinden." Sie blieb nachdenklich. Auf den, Perron kam ihnen Marie Ritter entgegen, ihr kleines Mädchen an der Hand führend; es riß sich los und stürzte mit ausgebreiteten Armen auf Elisabeth zu. Erdmann und Söreuseu, der eine Tasche trug, waren auch da und Elisabeths Gesicht wurde purpurrot war das nicht der der jener, der sie in der Gewittcrnacht nach Hause ge- leitet?! Ein Nebel schob sich ihr vor die Augen; sie sah nicht recht. Sie hörte wieder den Regen klatschen und den Wind sausen und hatte wieder das Gefühl des Verlasien- seins. Allein in der Dunkelheit. Hinansgetrieben auf die öde Straße l Verwirrt beugte sie sich über das Kind und streichelte die blonden Löckchen. Mein Freund Ebel," sagte Heider fröhlich,er ist mit von der Partie!" Sie wartet» einen Augenblick was würde er sagen? Er verbeugte sich stunuu, gab aber kein Zeichen des Ei'- kenncns. Sie sah ihn rasch und etwas scheu an ja. so sah er aus, sie hatte seine Züge ganz gut behalten ein flüchtiges, schelmisches Lächeln vertiefte das Grübchen in ihrem Kinn; sie reichte ihm die Hand. Nim saßen sie im Coups dritter Masse, nach Schlachten- see. Heidi jubelte und sprang im Wagen hur und her; heute wurde ihr vierter Geburtstag gefeiert. Es schien Elisabeth, als wäre Marie Ritters Gesicht nicht so blaß wie sonst, sie hafte ein immerwährendes Lächeln um die Lippen, voll von einer großen Zärtlichkeit. Man lachte und scherzte, man war sehr guter Laune; selbst Erdwann sah wohler aus als sonst, und Heider war ausgclasieir froh, wie ein Junge, der in die Ferien reist. Schlachtensee, kennen Sie Schlachtensee, Elisabeth? FamoS? Zwar der See nicht größer als ein Spucknapf, aber was für einer!" Seine Augen lachten, er schüttelte sich vor Ver- gnügen.Ich möchte mal eine Kritik schreiben:Die Poesie im Spucknapf", hahaha!" er schlug sich auf die Knie möchte das Gesicht von Eisenlohr sehen, weim ich seine nächste Vermöbclung so überschreibe. Es kann in einem Spncknapf mehr Poesie stecken, als in einem ganzen dickleibigen Goldschnitt­roman, in dem alle Himmelsgegenden, Sonne, Mond und Sterne, ein ganzer Riesenapparat, bemüht werden." Pst, Heider I" Marie Ritter legte ihm die Hand auf den Mund.Nicht so ausfällig?" Ebel hatte Heidi auf dein Knie sitzen, schaukelte sie hin und her und plauderte haLblaut mit ihr. Elisabeth fing eüüge Worte aus, sie konnte nicht umhin, zu lauscheu. Wie liebenswürdig er auf die kuidlichcn Ideen einging? Seine Stimme hatte etwas von dein Klang, mit dem er zu ihr in jener Nacht gesprochen:Halten Sie sich an mir fest. treten Sie hierhin und dorthin!" Ob er sie nicht mehr kannte�? Sie saß ihm gegenüber und studierte ihn förmlich; er­schrocken fuhr sie zusammen, als der Zug in Schlachten- see hielt. Jetzt reichte er ihr die Hand, mit cüikin Satz sprancj sie von oben herunter auf den Bahnsteig. Seine Hand stützte sie fest. Sie saßen an einem der grüngestrichenen Tische unten am Waffer. Sörensen packte die Taiche ans, er war Proviant- meister; Marie Ritter hatte emen Geburtstagskuchen gebacken und verteilte große Stücke. Heidi wanderte von einem zum andern. man reichte sie sich wie eine Itippesfigur; jetzt saß sie müde aus dem Schoß der Mutter. Und Elisabeth sah, wie die einsame Frau die Anne um ihr Kind schlang. Eine seltsame Erregung durchzitterte ihr Herz würde sie stark sein können, wie jene? Würde sie die Kraft haben. so ruhig dahinzugehen, nicht rechts, noch links z» sehen? Ausgestoßen aus den Kreisen, in die sie naturgemäß gehörte. verlenindet, vergessen, litterarisch totgemacht. Marie Ritter war sich wohl selbst ganz klar darüber, und doch war sie nicht bitter. Ellsabeth fühlte es wie Eiseshauch um ihr Ge­sicht wehen litterarisch tot l Sie schauderte. Oh, sie wußte, das konnte sie nicht ertragen I Sie biß die Zähm: ans einander in einer peinvollen, jähen Schinerzempfindung. Einen Aufschwung nehmen, himmelan gehen und dann auf cimnal ms Dunkel niederstürzen, nichts mehr sein. gar nichts--?! Angstvoll fühlte sie ihr Herz klopfen. Sie hätte die Gedanken verscheuchen mögen, die da kamen, immer wieder kamen: Frau Kistcniachers thörichtes Geschwätz gellte ihr in den Ohren. Wie hilfesuchend blickte sie sich um ihr Blick traf den Wilhelm Ebels; er saß ihr gegenüber und sah ihr gerade in's Gesicht. Eine eigentümliche Empfindung durchschoß sie, über die sie sich selbst nicht klar war. Eine frühe abendliche Kühle wehte vom See. Die Lust lvar ungeheuer mild und rein. Leise rührten sich die Erleu. Weiter hinaus am Ufer standen die Liefern anscheinend regungs- los, die schlanken, rötlich beschienenen Stämme kerzengerade reckend; aber hoch oben, tvo der Blick kaum trifft, neigen sich die Wipfel und beugen sich. Der Wind läßt seine Finger durch die immergrünen Kronen gleiten, er berührt jede Nadel, Windgesäusel, Aeolsharfenmüsik. Auf dem See regte sich nichts, keine Welle, kein Boot. Vögel mit ausgebreiteten Flügeln schienen auf der glatten Fläche zu ruhen. Kein Sonnenglanz mehr; Abendwolkeu warfen Rot und Gold in den silbernen Spiegel, er gab das