Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 160.
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Donnerstag, den 17. August.
( Nachdruck verboten.)
Es lebe die Kunkk!
Roman von C. Viebig.
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Elisabeth Reinharz wer kannte den Namen noch? Verklungen wie eine altmodische Melodie; einst hatte man die schön gefunden, jezt sang sie niemand mehr. Für alle begraben sein! Nur noch ganz heimlich leben in diesem stillen Zimmer, an diesem Kleinen Bett; die Hände lässig im Schoß falten und fühlen, wie ein Gedanke nach dem anderen schwindet- gar nichts mehr denken! Nur feinen Menschen mehr sehen!
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Willst Du Fräulein Ritter auch nicht sehen?" fragte Ebel. Sie ist eben gekommen und steht draußen vor der Thür und will gar nicht hereinkommen; sie wollte sich nur einmal selbst erkundigen."
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Marie Ritter?" Elisabeth richtete sich lebhafter auf. Die Vergessene! Ja, die wollte sie doch sehen!
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1899
Veränderung gebracht. Es wird nun bald eine entschiedene Wendung eintreten," hatte Doktor Schmidt gesagt, ich denke, in ein paar Tagen sind wir über den Berg!"
Wie tröstlich! Und doch konnte Elisabeth noch nicht froh werden; alle Hoffnung war in ihr niedergehalten unter einem eisernen Druck. Kein Schmerz, keine Unruhe mehr, aber auch keine Freude. Sie war müde zum Tode, ganz abgeſtumpft. Heider war täglich dagewesen, heute hatte er ihr einen ganzen Back Zeitungen zurückgelassen; auch Maier hatte geschrieben. Elisabeth hatte keinen Blick dafür; als sie dem Arzt zu einem Rezept Papier und Tinte von ihrem Schreibtisch holte, schob sie alles, was da lag, nachlässig beiseite. Das hatte alles tein Interesse mehr für sie."
Der Morgen des fünften Tages graute. Noch war kein Lärm auf der Straße, das Leben noch nicht erwacht, auch die Hitze noch nicht. Ebel hatte in der Nacht das Fenster halb geöffnet, mun spielte hinter der grünen Jalousie der Morgenwind, ein Lüftchen drang ins dämmernde Zimmer Sie ging ihr entgegen und fiel ihr um den Hals. So und strich mit seinem Hauch über die Betten. Elisabeth hatte sie die nie umarmt; es war eine leidenschaftliche fühlte das Wehen, es that ihr so wohl; sie hatte unruhig Jubrunst, eine schmerzliche Freude in dieser Umarmung. geschlafen, immer wieder war sie aufgeschreckt, dann Die beiden Frauengestalten traten, sich umschlungen sah sie rasch nach dem kleinen Bettchen. Wilhelm schlief wie haltend, an das Bettchen des Kindes. in gefunden Tagen, das blonde Köpfchen feitwärts auf den kleinen dicken Arm gelegt, durch die rosigen Nasenflügel den Atem fräftig einziehend und ausstoßend. Trotzdem fand sie nicht die rechte Ruhe; zum erstenmal kamen wieder Gedanken, die die ganze Zeit fern geblieben, als wären sie nie dagewesen. Jetzt hatten sie wieder ein Recht, hier zu sein; erst stahlen sie sich scheu heran, nun hatten sie sich festgesetzt, hartnäckig und unabweisbar.
Marie Ritter beugte sich mit einer hingebenden Bewegung tief über die Kissen. Es schläft!" Lächelnd richtete sie sich wieder auf.„ Meine liebe Frau Ebel" sie streckte den Finger auses hat Rot auf den Bäckchen, die Lippen sind frisch, wie ruhig der Atem geht--so schläft kein frankes Kind!" Warm drückte sie der anderen die Hand. Welch ein großes Glück ist Ihnen wiedergeschenkt!"
Elifabeth. fühlte den warmen Druck und sah Thränen der Freude in Marie Ritters Augen schimmern. Sie sah ihren Mund lächeln eine, plögliche Erregung übertam sie. Mein einziges Glück!" murmelte sie.
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Marie Ritter nickte. Ja, ein Kind ist ein Glück, das größte Glück, ich habe es auch nicht geglaubt, nun weiß ichs." Sie faltete die Hände. So ein Kindergesicht giebt es etwas Schöneres? Sehen Sie, wie lieb es daliegt! Es lächelt im Schlaf!"
Wunderbar, als ginge von Marie Ritters Gestalt eine geheimnisvolle Kraft aus, das Kind hatte seinen Ausdruck verändert; es hielt die Lippen lächelnd halb geöffnet, nun spitzte er das Mündchen wie zum Kuß.
Zum erstenmal dachte Elisabeth wieder an ihr Stück es war doch auch ihr Kind, ihr verlorenes dazu. Sie dachte mit einer gewissen Zärtlichkeit daran, ohne Erregung, ohne Schmerz, mit einem Gemisch von Liebe nnd Resignation.
Die
Hatte sie geträumt oder war es Wirklicheit gewesen? Hatte heute nacht eine Hand auf ihrer Stirn gelegen, fanft und fühl darüber hingestrichen, hatte eine Stimme geflüstert: Ich glaube an Dich!"? Sie hob sich aus den Kissen und sah groß um. Das Zimmer war leer, nebenan hörte sie die tiefen Atemzüge ihres Mannes. Sie streckte sich wieder lang und schob die Decke vom Halse- mochte das Morgenlüftchen darüber hinwehen- ach, wie köstlich, es nahm ihr den eisernen Reifen weg, der ihre Brust eingepreßt hatte, sie konnte freier atmen. Hände unters Genic gelegt, blinzelte sie mit halbgeschlossenen Augen auf das Streifchen Licht, das durch die Latten der Jalousie drang. Bald war Sonnenschein draußen, volle Es ist Ihnen neu geschenkt!" Die Ritter nickte lächelnd goldene Sonne so dämmert Hoffnung auf, erft spaltbreit, dem Kinde zu.„ Schlaf Dich gesund, mein Bübchen!" Dann nur ein Streifchen, dann immer mehr dann groß und wandte sie sich zu Elisabeth und hielt ihr die Hand hin. voll, dann alles überflutend. Ob man noch einmal hoffen Was giebt uns alles andere? Sehr viel Leid. Ich will fann nach so viel Enttäuschung?! Nein. Keine Hoffnung nicht sagen, daß Kinder kein Leid bringen können, aber die mehr. Die Zeit war vorbei.
Es träumt von der Mutter!" flüsterte Marie Ritter. Mein Kind!" Elisabeths Angen füllten sich jäh mit Thränen.
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Leiden sind heiliger und die Freuden sind tausendmal Aber mum wußte sie's mit einem plöglichen Ruck fekte größer als alle anderen, Anerkennung, Erfolg, Ruhm, ein sie sich ferzengrade ich glaube an Dich", das hatte sie nicht Name Glück habe ich nur in meinem Kinde gefunden!" geträumt, das hatte ihr einer gesagt, und tief innen wiederMit einem Nichts von wehmütiger Resignation lag auf Marie holte es eine Stimmie immerfort, immerfort. Ritters Gesicht- Elisabeth starrte es an wie gebannt Seufzer der Erleichterung dehnte sie sich. eine strahlende Freude war darüber gegossen und in der Ebel schlief fest; zwei, dreimal war er in der Nacht Frende ein himmlischer Friede. Sie ergriff die ausgestreckte nebenan gewesen, nun hatte die Uebermüdung ihr Recht geltend Hand und klammerte sich daran an. Sie hätte Marie Ritter gemacht. So hatte er seit dem Unfall des Kindes nicht mehr garnicht fortlassen mögen; von dieser stillen Gestalt ging eine geschlafen, auch Nächte vorher nicht; da hatte er das rastlose beruhigende Kraft aus, eine stärkende Macht, vor der alle Umherwerfen seiner Frau gehört und, schlief sie endlich, auf andern Mächte weichen mußten. ihren Atem gelauscht.
" Ich komme wieder, wenn Sie's gern haben," sagte die Freundin.
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" Ja, ja!" Elisabeth fiel ihr noch einmal um den Hals oh, wie vertraut war ihr jene! Gestrebt, Erfolg errungen, auf den Wellen des Beifalls gewiegt, gekämpft, untergegangen, vergessen- da hatte sie ihr eigenes Geschick umarmt, da ging es hin- das war sie, sie selbst! Sie beugte sich über das Treppengeländer und rief der Hinunterschreitenden nach: Kommen Sie wieder!" Und dann, wie von plöglicher Angst erfaßt: Verlassen Sie mich nicht!"
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Die Ritter wintte noch einmal lächelnd zurück. Es wird gesund, das liebe Kind! Welch ein Glück!"
Der vierte Tag war vergangen; er hatte keine besondere
Der erste Schimmer des Morgenlichtes glitt über ihn hin, ein vorwißiger Sonnenstrahl tänzelte über sein Gesicht; er zog die Stirn fraus, aber er wachte nicht auf. Draußen ratterte ein Wagen, das war die Milchkarre; rasselnd hielt sie vorm Haus still. Der Kutscher knallte mit der Peitsche Ebel hörte es nicht.
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Doch jetzt ein leiser Schritt, ein Schleichen auf bloßen Füßen das hörte er! Seine Frau! Da stand sie vorm Bett, ohne Schuhe, im langen, weißen Nachthemd, das blonde Haar verwirrt ums Geficht hängend. Sie war eben aus dem Bett geschlüpft und hatte sich nicht einmal Zeit genommen, etwas überzuziehen.
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Du," sagte fie, Wilhelm, es ist Morgen! Es ist Zeit, Du mußt aufstehen! Und weißt Du sie fegte sich auf den