659

-

gesammelt werden; diefes verlangt dann nach einer Sichtung und über- entwickelung der Wissenschaft auch faum geübt. Goethe war hierin fichtlichen logischen Anordnung, also einem Systeme, in welchem jedes seiner Zeit vorans, indem er, durch die Eigentümlichkeit seines Geistes an einer leicht zu findenden Stelle untergebracht ist. Nachdem diese befähigt, Gesezmäßigkeiten erkannte, welche in der Wissenschaft erst Arbeit geleistet ist, kann man erst versuchen, in der zusammenhangs- Anerkennung fanden, als sie auf ein überwältigendes Thatsachens lofen Maffe den einzelnen Zügen von Gefeßmäßigkeit nachzuspüren material gestützt wurden. Darwin hat später den ursächlichen Zu­und sich ein übersichtliches Gesamtbild herzustellen, in welchem jedes sammenhang, dessen Wirkungen die von Goethe geschauten Ueber­Einzelne durch den Zusammenhang mit dem Ganzen noch an In- einstimmungen find, mit großem Erfolge nachgespürt und die ahnende tereffe gewinnt. Anschauung des Dichters zur vollen begrifflichen Reife entwickelt.­Bt.

In der Botanik und vergleichenden Anatomie fand Goethe schon ein reiches Material gesammelt und logisch geordnet vor, so daß die Zeit günstig war, eine umfassende Rundschau zu gestalten und auf richtige Ahnungen einer durchgehenden Gesezmäßigkeit hinzuweisen. Hier hat denn Goethe auch zwei bedeutende Gedanken von unge= meiner Fruchtbarkeit in die Wissenschaft hineingeworfen.

-

Kleines Feuilleton.

Ueber die Frrenpflege in Sibirien entnimmt die Voff. Eine wesentliche anatomische Verschiedenheit zwischen dem Menschen 8tg." dem. Sibirsti Westnik" folgendes: Die Zahl der Geistes­und allen andern Säugetieren fand man zu Ende des vorigen Jahr- franken ist in Sibirien sehr groß. Jm europäischen Rußland tommt hunderts in dem Fehlen des sogen. Zwischentieferbeines. Bei allen nach der amtlichen Statistit ein Frrer auf 500 Bewohner, in Sibirien Säugetieren, wie überhaupt bei allen Wirbeltieren, also auch Vögeln, dagegen ist das Verhältnis noch viel ungünstiger, nämlich 1: 224. Amphibien, Fischen, besteht der Oberkiefer auf jeder Seite aus zwei Daß in Sibirien die Geisteskrankheit so verbreitet ist, beruht auf Knochenstüden, dem fogen. Oberliefer- und Zwischenticferbein. Bei verschiedenen Ursachen. Wie der Jrrenarzt Dr. med. Brjanzew auss den Säugern enthält ersteres stets die Backen- und Eckzähne, letzteres führt, ist Sibirien erstens die Kloake Rußlands : alle untauglichen, die Schneidezähne. Der Mensch dagegen, dem ja auch die hervor unmormalen Menschen, die Verbrecher und viele Geisteskranke werden ragende Schnauze der andern Säugetiere fehlt, hat nur das Ober- nach Sibirien geschickt. Zweitens ist der Verbrauch von geistigen Getränken fieferbein, welches alle Zähne enthält. Da entdeckte Goethe im Jahre 1784 in Sibirien sehr bedeutend; der Branntwein ist dort außerdem sehr auch an menschlichen Schädeln schwache Spuren der Nähte, welche fuselhaltig und schlecht. In den Goldbergwerken herrscht große Trunk­bei den Tieren Oberliefer- und Zwischenticferbein verbinden, sucht, und der Goldreichtum des Landes lockt überhaupt viele Aben­und schloß daraus, daß auch der Mensch ursprünglich einen Zwischen- teurer, Industrieritter an, die nur darauf bedacht sind, rasch und tiefer befize, der aber später durch Verschmelzung mit dem Ober- mühelos reich zu werden. Endlich ist der Kretinismus in einigen Liefer verschwinde. Mit genialer Intuition hat Goethe aus dieser Gegenden Sibiriens verbreitet. Wie schlecht für die Jrren gesorgt unscheinbaren Thatsache, die er in einer fleinen 1786 geschriebenen ist, geht z. B. daraus hervor, daß das große Gouvernement Tomst, Abhandlung veröffentlichte, auf ein allgemeines Gesetz ge- in dem auf einem Raume von 748 819 Quadrat- Werst fast 1200000 schlossen. Aehnlichkeiten im Bau von Menschen und Tieren hatte Menschen leben, nur eine Abteilung für Geisteskrante hat, die zum man lange gefannt, und wenn ähnliche Teile zu ähnlichen Zweden Gouvernements- Krankenhause gehört, gegenwärtig sich aber in den gebraucht worden, so lag in der Aehnlichkeit selbst nichts lleber freien Zimmern des Tomsker Gefängnisses befindet. In dieser Ab­raschendes. Hier aber bestand die Aehnlichkeit der Anlage nach, ohne teilung können nur gegen 80 Kranfe untergebracht werden, und daß sie den Anforderungen des menschlichen Körpers entsprach, viel wenn diese Bahl erreicht ist, sind alle Zimmer überfüllt, mehr wurde sie diesen erst später durch Verwachsung der und ein Teil der Kranten muß auf der Diele schlafen. Die getrennt entstandenen Teile angepaßt. Hierdurch ging Goethe die Gefängnisräume sind außerdem in hygienischer Hinsicht unter aller umfassende Anschauung auf, daß die Verschiedenheiten in Stritit. In anderen Orten steht es nicht besser. Dr. Brjanzew be dem anatomischen Bau der verschiedenen Tiere suchte vor einigen Jahren die Abteilung für Geisteskranke im aufzufaffen seien als Abänderungen eines ge- städtischen Hospital von Straßnojarst und fagt, was er dort geschen meinsamen Bauplanes oder Typus, bedingt durch habe, erinnere an die Bilder aus Dantes Juferno". Die Kranken die verschiedenen Lebensweisen, Wohnorte, litten Hunger, waren zerlunipt und hatten in dem schmutzigen, bau­Nahrungsmittel. fälligen, alten Hause, das von außen wie besonders im Innern Goethe verfolgte diese Anschauung weiter und gewann die Neber einen abstoßenden Eindruck machte, arg unter der Kälte zu leiden. zeugung ihrer Allgemeingültigkeit, die er 1795 und 1796 in dem Die ungebildeten Wärter wandten, um die tobsüchtigen Irren zu Entwurf einer allgemeinen Einleitung in die beruhigen, ihre Wittel" an. Eine ärztliche Aufsicht war nicht vor­vergleichende Anatomie zu Papier brachte. Mit größter handen und zur Heilung der Patienten wurde nichts gethan. Jetzt Entschiedenheit und unübertroffener Klarheit der Darstellung lehrt will die Regierung in Sibirien einige Bezirks Irrenhäuser er er darin, daß alle Unterschiede im Baue der Tiere als Veränderungen richten. des einen Grundtypus aufgefaßt werden müßten, die durch Ver­schmelzung, Umformung, Bergrößerung, Verkleinerung oder gänzliche Beseitigung einzelner Teile hervorgebracht werden. Diese Lehre wurde in der That in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die leitende Idee der vergleichenden Anatomic und hat in der modernen Entwicklungslehre einen weiteren Ausbau und wissenschaftliche Ve­gründung erfahren.

Die zweite fruchtbare Idee Goethes auf naturwissenschaftlichem Gebiete betrifft die Achulichkeit zwischen den verschiedenen Teilen ein und desselben organischen Wesens. Am auffallendsten zeigen die Pflanzen eine vielfältige Wiederholung einzelner Teile; an vielen findet man eine große Anzahl gleicher Stengelblätter, gleicher Blütenblätter, gleicher Stanbfäden 2c. Nach seiner eigenen Erzählung wurde er zuerst durch den Anblick einer Fächerpalme in Padua darauf aufmerksam, wie zwischen den verschiedensten Formen der nach einander sich entwickelnden Stengelblätter mannigfache lebergänge stattfinden können. Später fand er auch die leber­gänge zwischen den Blättern des Stengels und denen des Kelches und der Blüte, weiter zwischen diesen und den Staubfäden, Nectarien und Samengebilden, und gelangte so zu der 1790 veröffentlichten Lehre von der Metamorphofe der Pflanzen, in welcher feine Anschauung über die Entwickelung des ursprünglich Gleichartigen zu anscheinend sehr verschiedenen Formen klar und deutlich zum Aus druck gebracht ist.

Auch unter den Tieren ist die Wiederholung der einzelnen Teile oftmals sehr auffallend, und vielfach entwickeln sich aus diesen Teilen sehr verschiedene Organe. Bei der Verwandlung der Raupe zum Schmetterling z. B., wo mur die Ringel des Hinterleibes ihre ur fprüngliche einfache Form behalten, während die des Bruststückes Füße und Flügel entwickeln, die des Kopfes Kinnladen und Fühl­hörner, bewährt sich Goethes Anschauung in leichter und deutlicher Weise. Selbst bei den Wirbeltieren ist eine Wiederholung gleich artiger Teile in der Wirbelsäule angedeutet. Bei einem Blick auf einen halbgesprengten Schafschädel, den Goethe 1790 zufällig im Sande des Lido von Venedig fand, ging ihm der geistvolle Gedanke auf, daß auch der Schädel nur als eine Reihe start veränderter Wirbel aufzufassen sei.

Während in der Botanik Goethes Lehre von der Pflanzen metamorphose bald Eingang fand, stießen seine Ansichten in der Knochenlehre der Tiere auf stark en Widerspruch bei den zeitgenössischen Fachgelehrten, und haben einen direkten Einfluß auf die Weiter

-

Kulturgeschichtliches.

D

"

gk. Vom Parlamentarismus im alten Rom handelt ein neues Buch des französischen Gelehrten J. B. Mispoulet, der darin insbesondere ein anschauliches Bild des Treibens in den Sigungen des römischen Senats zur Zeit der Republik auf Grund der Ueberlieferungen zu rekonstituieren versucht. Bis zum Ende der Republik hatte der Senat teine geschriebene Geschäfts­ordnung"; nichtsdestoweniger existierten aber eine ganze Reihe parlamentarischer Gewohnheitsregeln. Als im Jahre 684 der Stadt Pompejus ohne weiteres Konsul geworden, ohne vorher irgend ein anderes Amt innegehabt zu haben, und so berufen war, im Senot zu präsidieren, an dessen Sitzungen er vorher niemals teil­genommen hatte, forderte fein Freund M. Terentius Varro die Ers nennung eines Führers des Senatspräsidenten, der ihm bei seiner nerfahrenheit in parlamentarischen Dingen zur Seite stehen sollte. Augustus hat später dem Senat auch eine geschriebene Geschäfts­ordinung gegeben. Die Senatoren waren verpflichtet, wenn der Senat berufen wurde, zu erscheinen, und auf Ausbleiben ohne legi­time Entschuldigung standen Strafen; aber fie müssen wohl selten zur Anwendung gebracht worden sein, denn schon im alten Rom kannte man das leere Haus", das bei uns ja auch nicht ganz unbekannt sein soll. Für einige Sigungen ist uns eine" Bräsenzliste" erhalten: von 600 Senatoren waren im Jahre 693 einmal nur 415 anwesend, 697 einmal 416 und im Jahre 700 gar mtr 200; in einer der wichtigsten Sigungen des Jahres 704 waren mur 392 Senatoren zugegen. Cicero teilt selbst in seinen Briefen mit, daß er in schwierigen Zeiten sich lange Zeiten hindurch vom Senat zurückgezogen habe. Einige der dramatischten Sigungen find allgemein bekannt, so die berühmte vom 7. November 691, in der Cicero durch seine eindringliche Rede Catilina zur Flucht veranlaßte, oder die Erörterung des Prozesses gegen Clodius im Jahre 693, der sich in Verkleidung zum Feſte der Bona Dea in das Haus des Cäsar eingeschlichen hatte, erkannt und vor Gericht gebracht, aber dann freigesprochen wurde. Mispoulet schildert die Scene, wie fich infolgedessen ein Streit zwischen Cicero und Clodius im Senat erhob, in dem der erstere sich nicht scheute, seinem Gegner vorzuwerfen, er habe seine Richter bestochen. Dramatischer fann es in den heutigen Parlamenten auch nicht zu gehen. Unter solchen typischen Zwischenfällen begegnet man in dem Buche dann wieder den Parträts einzelner Parlamentarier. Da ist besonders 2. Vetius, der eine Tafel mit sich führte, auf der die Liste der Verdächtigen" geschrieben stand, der es aber verstand,

"