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tunst. Konrad Bola muß in alle Fragen des Tages hineinspringen, schweifiedelnden" Ende eines Buges, fißt und darin hin- und her er muß bald für diese und bald für jene Sache seine Haut zu geschleudert wird. Erfahrene Eisenbahnreisende sehen während der Markte tragen; aber in den gelehrten Revuen wird fein Fahrt kaum noch zum Fenster hinaus, sondern sie beschäftigen ihr Name nicht genannt. Dort wird vielleicht das neueste Wert seines Sehvermögen im Innern des Wagens, und die allerklägsten- die Freundes Oldendorf besprochen, das mit gelehrter Gründlichkeit schonen ihre Augen für die Zeit, die sie außerhalb des Eisenbahn­einen guten Zeitungsartikel zu zwei stattlichen Bänden ausspinnt. wagens zubringen.

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Nun könnte ein Mann wie Bolz zwar gern darauf verzichten, in den- Ueber die Purpurfärberei in Centralamerika giebt gelehrten Revuen genannt zu werden, aber mitunter regt sich auch Professor Ed. v. Martens in den Verhandlungen der Berliner in ihm selber etwas, das der gelehrten Nichtachtung verzweifelt ähnlich Anthropologischen Gesellschaft einige Notizen. Die Schnecke, deren fieht. Mitunter fühlt er, daß ihm diese oder jene Sache seines Saft benutzt wird, gehört nicht, wie die mittelmeerische, zur Gattung Berufs aus den Händen gleitet; er möchte ausruhen, sich sammeln, Murer, sondern ist eine echte Purpura, die in kaum unterscheidbaren Studien machen und wieder zu sicher begründeten Anschauungen Formen an den beiden Küsten von Centralamerika vorkommt. Die fommen. Er fann aber nicht, weil hinter ihm ewig der Segerjunge Farbe entspricht aber vollständig dem mittelmeerischen Purpur. Die steht. Er muß schreiben, schreiben, schreiben, und so schreibt er eben Eingeborenen am Golf von Nicoyo in Costarica sowohl wie die am und überläßt die Verantwortung dem unerforschlichen Schicksal, das Isthmus von Tehuantepec üben die Purpurfärberei noch, verwenden neben gründlichen Gelehrten auch leichtsinnige Journalisten geschaffen aber statt der Bita( Agave) jetzt meistens europäische Baumwollfäden. hat. Grübeln darf er unter feinen Umständen, selbst wenn sein Verleger Für die zapotetische Mischbevölkerung von Tehuantepec ist ein mit ihm gelegentlich aus Menschenfreundlichkeit einige Stunden zur Ver- Burpur gefärbter Frauenrock( enagua) das kostbarste Bracht­fügung stellen wollte. Will er in seinem Beruf bleiben, muß er schon die stück; seine Herstellung erfordert sehr lange Zeit. Die Worte Heines zu seiner Devise machen: Schnecke ist dort nämlich schon ziemlich selten und wird deshalb nicht getötet, sondern nur aus dem Wasser herausgenommen, durch Bespucken gereizt und nach Verwendung des abgesonderten Saftes unverlegt wieder ins Wasser gesetzt. Martens nimmt an, daß die Purpurfärberei von den Indianern schon vor der Entdeckung erfunden worden sei, nicht durch die Spanier eingeführt, denn zur Beit der Conquista hatte am Mittelmeer der Scharlach den Burpur längst verdrängt. Auch besitzt das Berliner Museum für Völker­funde ein ponchoartiges Tuch und Kopfbinden aus dem Gräberfelde von Ancon, die offenbar auch mit Schneckenfaft gefärbt sind. Die Erfindung erfordert ja auch keinen besonderen Scharfsinn, da die Schnecken, ihrem heimischen Elemente entnommen, den färbenden Saft sehr bald absondern. As Beweis für vorgeschichtliche Verbin­dung der Phönicier mit Centralamerika läßt sich die Burpurfärberei fonnt nicht verwenden. Theater.

Rühre die Trommel und fürchte Dich nicht Und füsse die Marketenderin.

Das hat Bolz denn auch gethan; fintemalen er nun einmal teine Neigung hatte, sich aufzuhängen. Am Ende hat er sogar die Marketenderin mehr gefüßt, als selbst für einen Journalisten not­wendig und segenbringend ist. Es scheint fast so, denn er ist ein überaus luftiger Bursche. Die Leute, die ihn vom sicheren Parkett aus betrachten, kommen vor Vergnügen gar nicht zu Atem. Immer hat er einen guten Witz zur Verfügung und Rotwein und Cigarren gehen ihm auch so leicht nicht aus. Es giebt nichts zwischen Himmel und Erde, das er tragisch ninunt. Er läßt der Welt den schiefen Gang und schlägt sich durch so ehrenvoll und gut er fann. Er hat Humor, viel Humor und sicht alle Dinge leicht ironisch an. Das Publikum freut sich über so viel gute Laune und flatscht ihm Beifall, aber es könnte seine Hände auch ruhen lassen, ohne ungerecht zu sein. Dent armen Teufel dort oben kommt in dieser Beziehung gar kein besonderes Verdienst zu. Sein Humor hat einen verdammit triftigen Grund.

In Kourad Bolz hat Freytag eine echte und rechte Luftspielfigur geschaffen, eine Gestalt von fünstlerischem Nang. Einen Vorwurf freilich kann man ihm nicht ersparen: er hat es seinem Bolz zu leicht gemacht. Im Leben findet der Redacteur Konrad Bolz selten eine Adelheid Runeck, die ihm eine Zeitung, ein Rittergut und ihre eigene hübsche Person schenkt. Durch diesen fatalen Optimismus bekommt das Stüd einen etwas selbstzufriedenen, spießbürgerlich- genügfamen Anstrich, der dem ästhetischen Werk empfindlich Abbruch thut.

Von der Aufführung im Lessing- Theater wäre mancherlei 3 sagen, wenn auch nicht viel Gutes. Wir begnügen uns indes heute mit der Feststellung, daß das Zusammenspiel, zumal in den ersten Affen, der Feststellung, daß das Zusammenspiel, zumal in den ersten Aften, uns recht befremdet hat. Die guten Leistungen, die von Johanna Arnstadt, Pagay und Guthery geboten wurden, vermochten das leider nicht weit zu machen.

Erich Schlaikjer .

Kleines Feuilleton.

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-Lessing Theater. Die Genoffin", Schauspiel von . W. Pinero. Frei bearbeitet von Hans Meery . Im zweiten Man vernahm Dinge, die an sich und auch im Zusammenhang der Aft schien die Sache eine schlimmie Wendung nehmen zu wollen. Dichtung von einer so ausschweifenden Seichtigkeit waren, daß selbst einem abgehärteten Theaterbesucher die Schamröte ins Gesicht treten fonnte. Es schien, als ob die moderne Arbeiter- und Frauen­bewegung vom Standpunkte der müßigsten Familienfentimentalität teils fromm begreint und teils albern begrüßt werden sollte. Es fchien fein Schauspiel, sondern ein Brechmittel werden zu wollen. Glücklicherweise schien es nur fo. Am lezten Ende lief die Sache glatt und harmlos ab, in keiner Weise sonderlich aufregend, weder im Guten noch im Bösen. Eine junge Socialiſtin ist es, die im Mittelpunkt steht. Sie ist revolutionär mit Leib und Seele, d. H. um chrlich zu sein, müssen wir gleich bemerken, daß eigentlich doch nur ihre Seele beteiligt ist. Mit dem Leib ist es so ein eigen Ding. Gerade ihr irdisch Teil macht ihr einen Strich durch die Rechnung. In Venedig wird sie nämlich Krankenwärterin bei einem Engländer, der jung und reich und beweglichen Geistes ist. Er ist seiner Frau davongelaufen und krankt mun an Fieber und zerrütteten Nerven. Sie pflegt ihn und entreißt ihn durch ihre Treue - Die Welt aus dem Waggoufenster das ist in der und das Belebende ihrer jungen Persönlichkeit dem sicheren Tode. schnelllebigen heutigen Zeit für sehr viele der Hauptteil des Natur- Dann beginnt ein Leben in gemeinsamer Arbeit und Freude. Sie genusses, den sie sich in der kurzen Frist ihrer Ausspannung aus der weiß ihn für ihre radikalen Ideen zu begeistern, so sehr zu bes Tretmühle der Alltagsgeschäfte gönnen. Unter dem Gesichtspunkte geistern, daß er Artikel schreibt und sich in einem englischen Wahl­des Naturgenusses kann man aber jeder Beförderungsart das Wort freis als Arbeiterkandidat aufstellen läßt. Bald zeigt es sich in­eher reden, als der Eisenbahnfahrt. leber die Einwirkung der dessen, daß der reiche Jüngling ein Jammerbursche ist. Der revolu letzteren auf den Gesichtssini plaudert aus vergleichender Er- tionäre Nausch verfliegt, sobald seine Familie unangenehm wird. fahrung H. Brandes im Baugewerke". Da sitt man im Der gute Junge war halt nur verliebt und hatte mit radikalen Abteil, hat sich möglichst vor dem wie eine Stichflamme Neden erreicht, was man sonst gewöhnlich durch zartere Huldigungen wirkenden Sonnenstrahl zu decken gesucht und wünscht nur zur erzivingt. Wie die Sache ernst wird, fällt die galante Maske Berstreuung vom Abteilfenster aus etwas von der schönen Gegend und er zeigt sich in seiner ganzen verachtungswürdigen zu sehen. Jedoch bei der schnellen Fortbewegung im Eisen- Erbärmlichkeit. Die Genossin" müßte Genossin" müßte ihn nun eigentlich bahnwagen hat man das Gefühl, als ob Millionen Lichtstrahlen, in angeefelt verlassen; aber sie thut es nicht. Auch sie ist nämlich ver­Gestalt feiner Malpinsel, mit großer Schnelligkeit hintereinander un licbt. Als Genossen hat sie ihn verloren, aber sie möchte ihn zählige Bilder anfingen und auch gleichzeitig wieder wegfegten. Da wenigstens als Mann behalten. Sie hofft, daß er dem Weib in ihr ist es kein Wunder, wenn man eine Zeit lang diese ungesunde so treu bleiben soll, wie er ihrer Sache treulos war; aber sie täuscht Schnellmalerei auf der Netzhaut des Auges ausgehalten hat, daß sich auch in diesem Punkt. Seine Neigung erweist sich als ein uns dann das Auge durch einen Schmerz zu verstehen giebt, ihm leichter erotischer Rausch, der verfliegt, bevor er noch recht entstanden diese Mißhandlung zu erlassen. Man darf, um gut und richtig zu ist. Und nun läßt sie mutlos die Arme sinten. Sein feiger Berrat schen, die Augen ieder herumflackern lassen, um in furzer Zeit recht trifft sie wie ein Dolch ins Herz. Die Kraft zum Kampf ist ihr viel sehen zu wollen, noch darf man starken, blendenden Lichtstrahlen genommen und so flüchtet sie zu einer sehr wohlwollenden und gestatten, die Netzhaut zu treffen. Manche Reisenden glauben aber, frommen Bekannten, mit der sie gemeinsam in aller Stille die Not für ihr Reisegeld mittels der Sehkraft alles mit nach Hause schleppen der Armen lindern will. Das Weib in ihr hat, wie sie selbst sagt, zu müssen, was nur auf dem ganzen Reisewege entlang in den die Genossin besiegt. Der offene Kampf im freien politischen Erinnerungsfad hineingehen will. Ein richtiges, für den Verstand Feld erfordert stärkere Naturen. nußbringendes Sehen ist von einem Eisenbahnschnellzuge aus nicht gut möglich. Die Gegenstände, welche man vom Abteilfenster aus sieht, erscheinen mehr oder weniger verwirrt. Erscheint z. B. in mäßiger Entfernung ein Wald mit hohen einzelnen Bäumen, dann scheinen beim Vorüberfahren die Stämme dieser Bänme sich im Kreise zu drehen, als ob sie tanzten. So interessant und erheiternd die Sache auch für den Beschauer sein mag, so ist sie doch nichts weiter, als eine Vorspiegelung falscher Thatsachen. Nur die aller­fernsten Gegenstände erscheinen vom Eisenbahnwagen aus einiger maßen deutlich, vorausgesetzt, daß man nicht im legten Wagen, dem

Das wäre alles. Der englische Dichter, der diese mehr triste als tragische Geschichte zu einem handfesten Theaterstück verarbeitet hat, heißt Binero. Viel Glück wird ihm in Deutschland schwerlich blühen, selbst dann nicht, wenn seine Arbeit überall so glatt und nett herauskommen sollte, wie im Lessingtheater. Besonderes Lob verdient Frau Sauer, die als Genossin" rauhe und starke Accente fand und schließlich auch, als aus der revolutionären Feuer­feele ein liebegirrendes Weib geworden war, mit Weichheit und Soketterie zu dienen wußte. Herr Klein bot als verlebter Herzog eine aivar geschickte, aber talte Virtuosenleistung.- E. S.