Mnterhaltungsblatl des Horwärts Nr. 189. Mittwoch, den 27. September. 1899 (Nachdruck verböte«.) ] Fofeph Cottry. Roman von John Law . Aus dem Englischen von I. Eassierer. Etwas, das er am Boden, am Fuße eines Baumes liegen sah, erregte seine Aufmerksamkeit, und er blieb stehen. um es aufzuheben. Es war ein kleines totes Eichkätzchen, das entweder erfroren oder verhungert war. Er befühlte den toten Körper und betrachtete die geschlossenen Augenlider. Der Kopf fiel Jos auf die Hand, und die kalten Haare machten ihn schaudern. Und er mußte eines anderenEichkätzchens" gedenken. Seitdem er unterwegs war, hatte er noch nicht an Polly gedacht, abgesehen davon, daß er ein paar Mal vor sich hin- sprach:Die Keine Schlange." Während seiner Wanderung hatte er nur an seine Heimat gedacht, die Vergangenheit hatte seinen Geist vollständig in Anspruch genommen. Sein einziger Wunsch war gewesen, nur von London fort, wieder in seine Heimat zu kommen. Jetzt aber kam ihm dasEichkätzchcn" in den Sinn, und er mußte sich gestehen, daß er doch recht selbstsüchtig gehandelt hatte. Sie konnte doch unmöglich wissen, was vorgefallen war, oder auch nur vermuten, weswegen er sich auf die Wanderschaft" begeben hatte. Und das kleine Ding war doch immer so gut zu ihm gewesen. Er legte das tote Eichkätzchen behutsam unter den Baum und schritt weiter. Aber plötzlich blieb er wieder stehen. Er ging zurück, um für das Eichkätzchen ein Grab zu graben. Hätte ihn jemand gesehen, so würde er es wohl den Fliegen und Insekten zur Beute haben liegen lassen; er war aber allein im Walde, und als er das Tierchen mit Erde bedeckte, gedachte er auch des anderen Eichkätzchens. In der Nacht schlief er in einem Heuschober. Am nächsten Tage wanderte er in derselben Weise weiter. Aber der Weg war ihm jetzt vertraut geworden! an jeden Bauni und an jeden Stein erinnerte er sich. Hier und da bemerkte er leichte Veränderungen, Hecken waren neu an- gelegt und Schuppen neu gedeckt worden. Mehr als einmal auch versteckte er steh hinter den Bäumen, denn er sah Männer auf dem Felde arbeiten und Frauen Holz auflesen. Er wollte die Dorfbewohner nicht wissen lassen, daß er so zurück- gekommen sei; er, Joseph Concy, der vor Jahresfrist nach der großen Stadt gegangen. Was er aber eigentlich in Elmsworth thun wollte, ist schwer zu sagen. Er kam hierher, weil er außer Arbeit war und kein Geld hatte. Vielleicht fühlte er sich auch krank. Mag fein," sagte er zu sich,daß ich dort sterbe.". Abends spät stand er vor dem Dorf-WirtshauseZu den beiden Fasanen" und sah von hier aus den Schornsteinen des GutShofcs den Rauch aufsteigen und den Kirchturm sich zum Himmel erheben. Zwei kleine Kinder gingen vorbei. Sie blieben stehen, um ihn anzusehen, und liefen dann schreiend fort. Das erinnerte ihn an die Worte des Dockarbeiters: Wenn die Kinder einen sehen, reißen sie aus. und die Weiber behandeln einen, als ob man der reine Gottseibeiuns wäre." Er lachte laut auf. Elmsworth hat noch nie vorher ein solches Lachen, in dem so viel Verzweiflung lag. gehört. Die Leute sollten ihn nicht sehen, sagte er zu sich. Er wollte auf den Kirchhof gehen und dann wieder weiter wandern. Vielleicht würde er auch wieder nach London zurückgehen, aber heute nicht mehr. Morgen vielleicht. Heute wollte er in irgend einem Graben schlafen, wo man seine Lumpen und sein Elend nicht zu sehen bekäme. So schleppte er sich die Hecken entlang, in das Gehölz, in denr vor langen Jahren einst ein Landstreicher tot auf- gefunden worden war, ein Landstreicher, von dessen Tode sich die Kunde als Sage vom Vater auf den Sohn fortgepflanzt hatte, weil das Verdikt der Jury gelautet hatte:Aus Hunger gestorben". In eine leere Sägegrube legte er sich hinein. Der Wind hatte die abgefallenen Blätter, die doch wenigstens warm und weich waren, in die Grube zusammengefegt. Hier lag er und dachte mehr als einmal an das kleine tote Eichkätzchen, desjeu kalte, steifen Haare ihn schandern gemacht hatten. XX. Als dasEichkätzchen" Jos in den Schnapsladen hatte der» schwinden sehen, hatte es sich unigewandt und war langsam nach dem Charing- Croß gegangen. Ihr Gesicht war sehr blaß. Sie sah kaum vom Boden auf. Als sie in die Villiers- Straße kam, riefen sie ein paar Blumenmädchen an: Nun, Eichkätzchen, was haben sie mit ihm gemacht?" Sie hörte nicht darauf und fragte nur:Wo ist mein Korb?" Seid still," rief eines der Mädchen.Aergert sie nicht. Sie ist ein kleines, liebes Ding. Sie hat mir in der ver- gangenen Woche zwei Pence geliehen. Ich werde sie Dir wieder geben, ganz bestimmt geb' ich Dir sie wieder. Eich- kätzchen. Hier ist Dein Korb. Hör' nicht darauf, was sie sagen. Sie sind ja doch bloß eifersüchtig." Sag' mal, Eichkätzchen," begann ein anderes Mädchen,er- innerst Du Dich noch des kleinen Italieners, der kein Wort englisch sprechen konnte. Er hat Dir dann Dein Geld ge- stöhlen, nicht wahr? Er lief dann fort und ließ Dir nichts weiter als seine Kiste, in der ein totes Meerschweinchen lag, zurück." Die Mädchen lachten und das Eichkätzchen ging mit seinem Korbe weiter. Den ganzen Nachmittag stand sie am Postamt und wartete auf Jos; aber er kam nicht. Stunde um Stunde verrann. Leute kamen und gingen, und endlich hatte auch sie ihren Korb leer. Dann ging sie langsam nach dem Embankment. Obwohl sie keine Blumen mehr darinnen hatte, hatte sie den Korb noch umgehangen. Sie achtete nicht auf ihre Umgebung und rannte oft gegen die Passanten, die ihr dann zuriefen: So nehmen Sie sich doch in acht l Sehen Sie denn nicht, wo Sie gehen?" Sie kam zu den, Obelisken, und vor ihm stehen bleibend. sah sie zu ihm hinauf. Ein Schutzmann beobachtete sie, aber rief ihr nicht zuWeitergehen I" Nur wenige Leute fuhren sie barsch an. Sie sah noch immer nach der Spitze des Obelisken, und sie war von dem Lichte, in das dieselbe ge- hüllt war, fast ganz geblendet. Obwohl sie weder lesen noch schreiben konnte, wußte sie doch, was auf dem Postameltt des Obelisken geschrieben stand. Jos hatte es ihr an dem Morgen vorgelesen, als sie nicht weit davon erwachten, nach jener Nacht, die sie auf einer Bank in der Nachbarschaft verbracht hatten. Er hatte ihr damals erzählt, daß der Obelisk wohl schon sehr alt sein müsse, und dabei gesagt: Ein Mann in der Bibel hat ihn gebaut, ein Pharaoh, der 1500 Jahre vor Christus gelebt hat?" Wer ist Pharaoh ?" hatte das Eichkätzchen gefragt. Ein König, der im Roten Meere ertrank," hatte Josef Coney geantwortet. Wer ist Christus?" Er erzählte ihr die Geschichte vom Kreuz. Alles, was in ihrem ganzen Leben dasEichkätzchcn" über Religion gehört, hatte sie dem Obelisken und den beiden Sphynxen, die ihn bewachten, zu verdanken. An den Brüsten dieser Sphynxe befanden sich mysttsche Zeichen, die sogar Jos nicht deuten konnte. Das Gesicht des WeiberkoPfeL mit dem unergründlichen Lächeln auf seinen plumpen Gesichtszügen hatte es ihr angethan. Der starke und muskulöse Körper des Tieres mit seinen ausgestreckten Pfoten gab ihr ein Rätsel auf. Noch nie in ihrem Leben hatte sie ein solches Geschöpf, das halb Weib, halb Tier war. gesehen, selbst nicht einmal in einer Schaubude, und doch, sagte sie sich, muß es irgend- >vo ein solches Wesen gegeben haben, denn wie käme es sonst dazu, auf dem Embankment zu liegen. Diese Sphynxe, die über das Rätsel des Lebens lachten, anstatt über das Warum nachzugrübeln, die zu sagen schienen:Es ist thöricht, gegen die Grenzen des Daseins sich aufzulehnen, und da wir die Welt nicht zu begreifen ver- mögen, so wollen wir über das uns umgebende Geheimnis lachen." diese Sphynxe übten eine mächtige Wirkung aus das Eichkätzchen aus. Einst, vor Jahren, war sie zu der einen Sphynx empor«