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geflettert und hatte, überwältigt von ihrer Größe und dem Gefühl ihrer eigenen Schwäche, ihr den Fuß gefüßt. Jetzt sah sie wieder mit ihrem unergründlichen Lächeln auf das Eichfäßchen herab. Sie erschien ihr wie der blaue Himmel, in den sie doch immer und immer wieder hinein sehen konnte, und doch nichts weiter sah als die lachende Sonne.

Sie blieb eine Zeit lang vor dem Obelisken stehen und sah sich die in denselben eingehauenen Fische und Vögel an. Niemand als der Schuhmann war noch in der Nähe des Obelisken, und auch er ging weg und ließ sie mit den Sphynren allein. Sie stieg die durch das Eisengitter ab­geschlossenen, zur Themse führenden Stufen hinunter, und beobachtete, wie die kleinen Wellen gegen die Steine schlugen und sich an der Wand des Embankments brachen.

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Während sie am Wasser stand, schlug es von Big Ben fieben Uhr. Vielleicht treffe ich ihn zu Haus", sagte sie sich und machte sich rasch auf den Weg nach dem Ostend . Erst als sie an der Benne" angekommen war, blieb sie stehen. Der hungrige" Mann verzehrte gerade sein Abendbrot. Am Kamin standen gegen ein Dugend mit Kochen beschäftigte Frauen, während wohl ebenso viele Männer an dem langen Tische saßen und spielten.

Wo steckt Jos?" fragte die Frau des Hausvaters. " Ich habe ihn die ganze Zeit über nicht gesehen."

War er denn heut am Tage nicht hier?" fragte das Eichfäßchen, vor Aufregung zitternd.

,, Er war heut nicht hier und gestern auch nicht. Ich hab seine Sammer oben weggeben müssen. Ich hab' sie ihm nicht länger offen halten können. Wenn er heute kommt, muß er bei den andern schlafen. Aber, Eichfäßchen, was ist Dir denn? Du siehst ja aus wie eine weiße Kaze. Ist Jos krank oder ist ihm was passiert?"

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Er ist gestern eingesponnen" worden," anwortete das Eichfäßchen; ich habe die Strafe für ihn gezahlt, und dann ging er in die Destille.

Ich denk' mir, er hat dort einen zu viel getrunken," bemerkte die Frau des Hausvaters. Vielleicht haben sie ihn wieder eingesperrt."

Das Eichfäßchen war sehr aufgeregt. Sie ging an einen Schrank und holte von dort eine schwarze Stage und zwei fleine schwarze Käßchen. In ihrer Schürze brachte sie sie an den Kamin, aber bald trug sie sie wieder zurück in ihren alten Korb. Der hungrige Mann sah zu ihr vom Boden aus feinen entſtellten Augenlidern auf, und auch er sogar merkte, daß bei ihr etwas nicht in Ordnung war. Sie wollte auch kein Abendbrot essen, obwohl ihr von verschiedenen Seiten Suppe mit eingebrodten Brot und Kartoffelstücken angeboten wurde. Auch das Eichfäßchen ließ die Gäste oft an seiner Mahlzeit teilnehmen und lieh ihnen bisweilen einen halben Penny. Sie war so gutmütig, daß der Hausvater zu sagen pflegte: Ein Glück ist es nur, daß sie nicht auch ihre Haut aus- und anziehen kann, denn sonst würde sie sie ganz gewiß jemandem borgen."

Um zwölf Uhr gingen die Gäste zu Bett; der hungrige" Mann streckte sich auf den Haufen Lumpen aus, den er um sonst als Nachtlager benutzen durfte, und das Eichtäbchen fauerte sich neben den Holzstuhl des Hausvaters. Die Thür hielt sie fest im Auge, aber Jos öffnete sie nicht. Wohl traten ver­schiedene Männer und Frauen ein, die hier nächtigen wollten; sie zahlten ihr Geld und gingen hinauf, um sich dort hinzu­legen, wo noch Platz war. Bis zwei Uhr saß das Eichfäßchen am Feuer, sah in die rote Glut der Kohlen und hörte auf das Schnarchen des Hausvaters. Dann erhob sie sich und band sich ihren Blumenkorb um. Es war ein weiter Weg von der Penne bis nach Covent Garden, auf welchem Plaze der Blumenmarkt stattfindet, und dahin nach ein halb drei Uhr zu kommen, hatte keinen Zweck, denn dann wären die schönsten Blumen schon verkauft gewesen, und sie hätte für schlechtes Zeug den doppelten Preis zu zahlen gehabt.

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von der Platz schon seit Mitternacht erfüllt war, war sie bereits gewöhnt.

An dem Blumenstand saß ein kleines Mädchen, das wohl nicht älter als das Eichkäzchen sein mochte. Sie tam täglich um 2 Uhr morgens mit ihrem Vater auf den Markt und blieb bis 11 Uhr vormittags. Sie verkaufte Blumen und Pflanzen. Sie faß auf einem hohen Stuhl und als Fußbank benutzte sie einen alten Marktkorb.

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" Ich habe Dir ein paar schöne Blumen aufgehoben," sagte sie zum Eichfäßchen. Du brauchst davon nicht mehr zu nehmen, als Du sowieso haben willst; die übrigen kann ich dann später ganz gut noch los werden. Willst Du vielleicht so gut sein, sobald dort drüben aufgemacht wird, mir eine Tasse Thee zu holen," bat sie weiter. Ich kann hier von den Blumen nicht weg und Papa hat mit dem Obst zu thun. Gegen sechs Uhr friere ich immer so sehr." ( Fortsetzung folgt.)

dill ( Nachdrud verboten.)

Eine Bahnfahrt.

Von Georg Hermann .

Auf einer Eisenbahnfahrt war es.

Hin und her, her und hin fliegt diese Remise auf Rädern; das hämmert, poltert, dröhnt, als sei eine Schmiede unter dem Wagen. für Vieh ist dieser Kasten einmal bestimmt gewesen, jetzt ist er zur Mit Latten hat man Menschenbeförderung umgeschaffen worden.

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in ihm Verschläge abgeteilt und schmale Holzbänke hat man an den Wänden entlanggezogen. Durch Kleine vergitterte Fenster sieht das kahle, weite Land herein in diese Euge, in der alles von Kohlenstaub starrt sieht wie sie da gedrängt auf den Bänken figen, wie sie auf Stoffern und stiften hoden, wie sie umherstehn, sich an die Wände lehnen, dieses bunte Menschen­gewirr. Bei jedem neuen Haltepunkt strömt es ab und zu von andarbeitern, müden, abgearbeiteten Menschen. Sie sißen vorns über gebeugt, halten in großen schwieligen Händen Hacken und Ge­räte, erhitzt, bestaubt, mürrisch kommen und gehen sie. Mädchen Schar, in blauen Stattuntleidern, in roten Stopftüchern, sie lachen und Frauen aus den Zuckerfabriken drängen sich herein, eine ganze und stoßen einander. Fast merkbar von Viertelstunde zu Viertel­stunde verschiebt sich das Bild, ändert sich der Menschenschlag, der Gesichtsschnitt, die Klangfarbe der Stimmen. Die hellen, lebhaften Töne des Sächsischen werden selten, die Worte fallen langsamer, breiter, dumpfer, schwerfälliger in den gaumigen Tonlagen des Platt.

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Mit dem nahenden Abend wird es still im Wagen, jetzt geht es nicht mehr und schwazt nicht mehr, jetzt ist man ernst, stumn und nicht mehr ab und zu, wie in einem Taubenschlag. Jetzt lacht man müde, wie das Land, das man durchschneidet. Rechts und links dehnt es sich ein weitauswogendes Meer. In sanften Geländes wellen reiht fich Hügel an Hügel, dazwischen weite Mulden und Thäler, alles fließend, auf- und absteigend in langen Linien; alles geteilt durch die Bebauung der Felder. Dort schon wogende Winter­faat, hier der Sommerroggen, noch wie grüner kurz geschorener Beluche, als follte man mit der Hand über ihn hinstreichen, und das zwischen immer wieder die weiten braunen Flächen der Rüben­grünen Bunttreihen, gleichmäßig, haarscharf, als hätte man es mit länder, betupft von tausenden junger Sprößlinge, bezogen von diesen ineal und Zirkel ausgemeffen. Keine Buschketten trennen die Felder, faum daß eine einsame Pappel wie eine belaubte Telegraphenstange in den Himmel zeigt. Gleich grauen Steinhaufen liegen an fernen Hügelrändern, in tiefen Senfungen einsame Dörfer, die nicht einmal ihr Elend grün umkränzen. Dort wo der Himmel auf den Fernen lastet, spannt sich ein staubiges, blaugraues Band um den wolken­lofen Horizont, die Sonne ist in dieses Blaugrau hinabgestiegen bis auf einen schmalen blizenden Goldreif. Hoch oben aber wölbt sich der Himmel ganz klar, rein, blau, nicht tiefer, nicht heller, gleich­mäßig, lichtdurchtränkt, starr, wie das erstarrte Land selbst.

Keiner der Reisenden schaut hinaus. Alle sigen still und verfunken, fie fahren schon lange und wollen noch weit; dort lehnt einer in der Ecke, dort fauert ein anderer auf einem Koffer, dort hat einer eine rote Decke über den Rücken geschlagen und schnarcht mit offenem Munde; sein Reisegefährte liegt in einer unmöglichen In der Stadt war es noch ganz ruhig. Ab und zu be- dem Winkel sigt ein junger Mensch in der Tracht eines Bergmanns Gliederverrenkung halb auf der Bank, halb auf einem Korb. In gegnete sie einem Herrn, der von seinem Vergnügen nach und faut an einer Cigarre. Neben mir ein Mann von dreißig Hause eilte, und ein oder zweimal tam sie auch an Frauen Jahren, das Gesicht braun und runzlig, wie eine Morchel, die zimmern vorbei, die ihre Cigarette rauchten. Zu der Zeit, Backenknochen breit, das Haar schwarz und schlaff, die Blicke lauernd zu der sie Covent Garden erreicht hatte, waren wohl alle und unſtät; frierend reibt er lange Hände mit schmalen beweglichen Müßiggänger bereits zu Bett, und nur eifrig thätige Fingern. nur eifrig thätige Fingern. An der Fensterwand ein Mensch mit weiten Bein­Männer und Frauen hatten ihr Tagwerk bereits von neuem fleidern, doppelreihiger Weste, buntent Shlips, schwarzem Gehrock, begonnen. alles schon abgetragen, aber doch sorgsam behütet. Er ist jung und Der Platz war durch Gas erleuchtet, so daß es ihr nicht bem Nebenraum, den eine Wand mit vergitterten Luten von uns frisch von Farben, mit hellen Augen in gutmütigem Gesicht. Aus schwer wurde, den Weg zu dem Stande zu finden, an dem trennt, klingt das Beten russischer Juden. Wenn man hindurchblickt, fie immer ihre Blumen kaufte. An das betäubende Geräusch, fieht man, wie sie dastehen mit hohen schwarzen Lammfellmüzen an das Wagengerassel und die treischenden Stimmen, wo- l auf den Köpfen, in ihren langen Belzmänteln; wie Uhrpendel