daß schließlich doch eine ihr die Freiheit Iviedergeben muß.Wer eiwnal in einer ähnlichen Lage war, wer etwaeinmal nächtlicherweile das Schlüsselloch der Hansthnr nichtfinden konnte, wird wissen, wie richtici das beobachtet undempfunden ist. und wer die Rsjane sah,»rußte von dem lebendigenHumor entzückt sein, mit dem sie die. innere Erregung, die sichschließlich mit stillem philosophischen Gleichmut wappnet, zum Ausdruck brachte. In solchen Augenblicken scheidet sich die Nsjanc vonder Menge ihrer Kolleginnen,'die zwar über die Schleppe stolpernkann, die aber nicht vermag, uns über eine allgemeinemenschliche Eigentümlichkeit lächeln zu machen. Hier istdie Nejane eine echte Künstlerin und die übrigen sinddrollige Spaßmacher, im besten Fall gute Schauspielerinnen. In derScene mit Napoleon— der Glanzsccne des Abends— offenbartesie an einer Stelle ihre reiche Phantasie. Sie hat Napoleon ge-kannt I als sie noch Wäscherin in Paris und er ein unbekannterLieutenant war, der ihr die Rechnungen nicht bezahlen konnte. AlsNapoleon, der inzwischen Kaiser geworden ist, sie nun langsamwiedererkannt und schließlich erstaunt ausruft:„Madame Says-Gene",wirst sie sich mit einem burschikosen„Na, also" inden Stuhl zurück, schlägt mit unnachahmlicher Kollegialitätdie Beine übereinander und bringt dadurch mit einein Schlage dief;anze Situation herauf, in der Napoleon«nd sie sich damals be-anden. Kein Maler hätte diese Situation besser z»r Anschauungbringen können. Man sieht die Straße von Paris, sieht den un-bekannten Lieutenannt, der hoch oben im vierten Stock haust undmit seiner hübschen Wäscherin in einem zigeunerhaft-kameradschaft-lichen Verhältnis steht, das für ihn nfföfern einträglich ist, alsfie ihm dadurch seine Hemden auch einmal umsonst wäscht. Esgehört Phantasie dazu, so durch eine einzige Beivegung eine ganzeLebensperiode zn malen, reiche, schöpferische Phantasie. Noch einanderer Moment, der die Röjane in ihrer ganzen Kunst zeigte,muß erwähnt werden. Sie will Napoleon umstimmen; sie rührt angemeinsame militärische Erinnerungen usiv., aber sie weiß, daß sieschließlich doch als Weib siegen muß. Als er nun warn« zn werdenbegmnt, als er ihren nackten Ann zart und behutsam anfaßt, dakeuchten ihre Augen in jähem Triumph und in demLeuchten steht:„Ich habe Dich I'„Mandame Sans Gene' warMarkatenderin. Sie weiß, daß es einen Punkt giebt, wo auch rauheKrieger bettelnde Jünglinge werden und ihre weibliche Kühnheit be-steht darin, daß fie in diesem Punkt Napoleon nicht anders einschätztals andere Männer auch. Ihr seid ja alle gleich, meine Freunde,sagte der Blick der Madame Rejane.—Erich Schlaikjer.—Mnfik.Bus der Woche. Die vergangene Woche hat also den Be-Ig nn der eigentlichen Konzertflut gebracht. Diese bilden in der Haupt-ach« die Konzerte aller jener ausübenden Künstler, die teils als ersteAnfänger, teils als einigermaßen Bekannte, teils als Weitberühmtedie Musik weniger um dieser selbst willen, als vielmehr zum Zweckihrer eigenen Wirksamkeit treiben, sei es, daß sie als Virtuosenalänzen wollen, sei es, daß sie durch solche Konzert-Erfolge sich Schülerfür eine mehr oder weniger verläßliche Lehrthätigkeit gewinnenwollen. Die moderne„Musik- Industrie" sorgt mit einer virtuosenTechnik, die zur Technik jener Künstler ein merkwürdigesEeitenstiick abgiebt, für das Um und Auf dieser Knnstpflege.Zunächst stehen ihnen in Berlin fünf Konzertsäle zur täglichen Ver-fügung, die vom größten zum kleinsten folgende sind: im Gebäudeder Philharmonie der Hauptsaal und dann der Beethovensaal(derjüngste von allen), weiterhin die Singakadenne(wohl der älteste vonallen), der Saal Bechstein und der Konzertsaal im„Römischen Hof",von denen die ersten drei auch Orchester und Chor aufnehmenkönnen. Neben diesen fünf hauptsächlichen Stätten, die jetzt wiederselten leer stehen, dienen aber ab und zu auch unsere Theaterräume.ferner eine kleine Anzahl von Biersälen, wie z. V. der„DeutscheHof", dann zahlreiche Vereins- und ähnliche Lokalitäten, und endlichmehrere der Kirchen zu specielleren Konzerten. Was in diesenweniger berühmten Räumlichkeiten an Musik geleistet wird, entgehtleicht der an die anderen Plätze gewöhnten Aufmerksamkeit, enthältaber durchschnittlich wohl mehr an Unbekanntem als die lautangekündigten Veranstaltungen in den zuerst erwähnten Räumen.Allerdings spielt vieles von dem dortigen Virtuosentum auch hierherein. Selbst von Herrn O. D i e n e l s Mittwoch-Konzerten istzwar jedes reicher an Neuem und Wiedererweckten als mehrere dereleganten Konzerte zusammengenommen— wir hörten neulich einDuett von I. Faure und ein besonders schönes Duett vonP. Cornelius trotz mancher UnVollkommenheit der Ausführung mitgroßer Freude; aber Virtuosilätsjagd und Programnrzerreißungstören auch hier.Im übrigen waren aus dieser Woche zwei der hervorragendstenErscheinungen das Konzert des Baritonsängers Franz Seebachund das des Geigers Henri Marteau. Beide Künstler werdenin der nächsten Zeit abermals vor das Publikum treten. Beidefind bereits gut bekannt: der Geiger fest seiner Wunderttndheit weitberühmt und durch mehrere ihm gewidmete Kompositionen geehrt,der Sänger für uns von mehreren vorjährigen Leistungen her inersteulicher Erinnerung. Beide sind verhältnismäßig recht wenigberührt von den erwähnten Kehrseiten der Virtuosität; beide sinddas, was man einen soliden Künstler nennen kann; und beide sindanscheinend nicht eben für solche Leistungen angelegt, bei denen esauf die Gewalt eines Ausdrucks von tief Jnnerlickiem ankommt. BeiMarteau deutet schon das Programm seiner drei Konzerte auf dieseBestimmung. Dagegen liegt wohl seine hauptsächliche Stärke ineinem ungemein qualitätsreichen, tragfähigen, äußerst klaren Ton:die O-moU-Sonate von Bach, eines der Werke, die der Geige einesonst nur einem Tasteninstrument oder dem Orchester vorbehalteneViclstimmigkcit zumuten, kam mit einer prächtigen Deutlichkeit jedereinzelnen Stimme und mit einer fortgesetzt interessierenden Be-wcgthcit des Rhythmus zu Gehör. Seebachs Konzert war ein„Balladen- und Lieder- Abend". Seit Schillers JugendfreundZumstecg durch seine Kompositionen von Balladen Bürgersund Anderer die Dichtungsform der Ballade in die Tonkunst ein-geführt hatte, haben mehrere Komponisten, darunter der jetzt vielgepflegte C. Lölve, an der Herausarbeitung einer eigenen musikalischenForm dieses Namens gearbeitet, ohne ihr freilich einen gut bestimm-baren Typus geben zu können, und mehrere Sangeskünstler strebennach dem Kranz eines speciellen Balladensängers. So durchaussympathisch uns die Leistungen des Herrn Seebach sind, so meinenwir doch, daß seine vornehme Ruhe ihn mehr für Oratorienpartienund für weichere Lyrik als für die härteren und tiefer dringendenUmrisse der Balladenform geeignet macht, auch wenn man diesmaldas Ranhwerden seines sonst so schön ausgeglichenen Tones alsNebensache, vielleicht als Folge einer herbstllchen Indisposition be-trachtet. Hoffentlich wird der Künstler seinen zweiten Abend dazubenutzen, uns eine reichliche Auswahl aus den weniger bekanntenund für sein Können vermutlich recht gut geeigneten Gebietender modernen Lyrik darzubieten.— sz.Humoristisches.— Nach der ersten Ueberraschung..Haben Sie schonmein Bild gesehen?"„Das find Sie? Wirklich?".Allerdings."»Sehr gut getroffen I"—— Das„feine" Geburtstagsgeschenk. FrauKnetschke(die Lorgnette vor die Augen haltend):„Ach, es istwirklich unglaublich, um wie viel besser ich jetzt alles sehe I"Der kleine Karl:„Aber Mama, es sind ja noch garkeine Gläser eingesetzt. Wir wußten ja nicht, welche Nummer Dubrauchst."—— Schmeichelhaft. Sie:„Georg, wenn wir uns einmalscheiden lasien sollten, hättest Du etwas dagegen, wenn ich michwieder verheiratete?"E r: Nein I"Sie:"„Weshalb nicht?"Er:„Warum soll ich denn Mitleid mit einem Menschen haben,den ich gar nicht kenne I"—(„Lust. Bl.")Notizen.— Im Krmstsalon von Bruno und Paul Cassirer wirdam Sonnabend eine Ausstellung von Werken Man eis, Degas,Puvis de Chavannes und Max Slevogts eröffnet.—— Ein Konzert des Mailänder Scala-Orchesters unter Leitungvon M a S c a g n i findet in der Berliner Philharmonie ain9. November statt.—— Ein Volksschauspiel„Fortunat" von Julius Großehatte bei der Erstaufführung in Weimar großen Erfolg.—— Der Maler und Steinzeichner Gustav F e cke r.t ist inBerlin im 80. Lebensjahre g e st o r b e n.—— Zur Gewinnung einer neuen deutschen Volksoperfür die deutsche Bühne schreibt Prof. Simon in Königsberg i. Pr.einen Preis von 10(ivl) Mark auS.—— Hermann Bahr ist aus der Redaktion der Wiener„Zeit" ausgeschieden und zum„Neuen Wiener T a g b l a t t"übergegangen. An seine Stelle treten Dr. Max Burckhard fürLitteratur und Theater und Prof. Richard Muther für bildendeKunst.—— Das neue dreiaktige Schauspiel„Der Athlet" von Her-mann Bahr wurde im Wiener Deutschen Volkstheaterbeifällig aufgenommen.—— Adele S a n d r o ck hat im Wiener Raimund-Theaterden Hamlet gespielt. Das Thcaterstückche» erzielte sogar Bei-fall.—— Die nachgelassenen Gemälde Giovanni SegantiniSsollen nach dem„B. T." mit de» in Galerien und Privatbesitz ver-streuten Arbeiten zu einer WanderauS st ellung vereinigtwerden, die von Mailand aus ihren Weg durch alle europäischenHauptstädte nehmen und auch nach Berlin konmien soll.—— Die erste internationale Konferemz der Aka-demien der Wissenschaften findet dieser Tage in Wies-baden statt.—t. Der versteinerte Wald von Arizona, das be-rühmteste Vorkommen verkieselter und auf das herrlichste ochatisierterBaumstämme, soll nach dem Muster des Aellewstoue-Parks ver»st a a t l i ch t werden.—Berantwortlicher Redacteur: Heinrich Wcfckcr in Grob-Lichterfclde. Druck und Verlag von Max Babing w Berlin.