Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 204.

13]

Hanna.

Mittwoch, den 18 Oktober.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Peter Egge .

Autorisierte Uebersehung aus dem Norwegischen

von Adele Neustädter.

II.

Drei Tage später- Dienstag- saß man auf Lövwall beim Abendessen. Holthe und Hanna einander gegenüber und Erik zwischen ihnen, mit einem Handtuch unter seinem Teller und einer Serviette unter dem Kinn.

Ob die Zeitnngen wohl gekommen sind?" fragte Hanna. Holthe lächelte und murmelte, ohne vom Teller aufzu­sehen:

"

,, Es ist wohl schon so lange her, seit Du in der Stadt gewesen bist, da Du Dich nach Neuigkeiten sehnst?"

Holthe versetzte ihr diese Stichelei, weil sie oft den Weg nach der Stadt machte. Er konnte die ganze Woche hindurch zu Hause fizen.

"

Ja, gewiß," antwortete Hanna. Bei Dir ist es anders, Du bist jeden Tag in der Stadt."

,, Nein, Vater ist zu Hause," sagte Erik sehr eifrig. Vater geht nicht in die Stadt."

,, Das ist wahr, mein Junge," meinte Holthe, und Hanna und er lachten; aber als Erit sah, daß Vater und Mutter lachten, stimmte er auch ein, und es that ihm wohl, seine Schultern in die Höhe zu schieben und die Augen fest zu schließen, und seine weißen fleinen Zähne zu zeigen, während er lachend gluckste.

Jest tam Martha mit den Zeitungen.

Holthe schlürfte den Rest seines Thees. Dann nahm er ein Blatt und begann zu lesen. Es war eine Weile still. Nur Hannas Messer und Gabel rasselte auf dem Teller. O, das ist schrecklich! Sie stach dem Kind ein Messer in die Kehle," sagte Holthe laut, legte die Zeitung fort, stand auf und schritt auf und ab. Er blieb in Gedanken vor dem Spiegel stehen.

Da sah er darin etwas, das ihm einen Stich ins Herz gab. Es war ein kurzer, scheuer Blick Hannas. Angst lag darin; und das Gesicht war bleich. Holthe wandte sich, um fie zu fragen, was ihr geschehen. Aber sie sah ihn nicht an, sondern beugte sich so tief über den Teller, daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Er wollte zu ihr gehen, fragen, etwas fagen; aber er konnte nicht, weil eine drückende Furcht sich ihm auf die Brust legte, so daß er kaum atmen konnte. Er wagte es nicht. Er tastete weiter und setzte sich auf den Stuhl neben dem Spiegel.

Vielleicht war es besser, wenn er hinausging. Hier war es wohl zu warm.

Bald konnte er aufstehen und hinausgehen. Er lehnte sich an das Gartengeländer, blickte auf die Stadt und den Fjord und atmete tief, während die Frage in ihm raste:

,, Warum sah sie mich so ängstlich, so scheu an?" Er fand nicht sofort die Antwort, die ihn ruhig stimmen, seinen entseglichen Argwohn ersticken konnte. Und das machte ihn noch verwirrter und unklarer.

"

1899

Gegen Hanna! Die einzige, die seinem Leben Inhalt verliehen hatte, gegen sie, mit der er fast acht Jahre glücklich zusammengelebt hatte... die ihm immer nur Gutes erwiesen hatte die er nie niedrig oder unfein gesehen hatte!... Und Erif!

Er preßte die Hand auf die Augen und biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuweinen, zu schreien.

Bald begann er wieder über die Wiese zu gehen. Der Boden war gefroren, jedoch schneefrei.

Wenn es nur möglich wäre, sie um Verzeihung zu bitten!... Ihr zu sagen, wie schwach er war.

" Ich bin einmal nicht besser. Aber ich weiß, er liebt mich so sehr, daß Du mich so nehmen wirst, wie ich bin." F Er trocknete eifrig das Gesicht, um die Zeichen der Er­regung zu entfernen. Er wollte schnell hingehen. In Ge­danken sah er sie so ruhig in der Stube siten. Sie ahnt nicht, was ihr Blick angerichtet hatte!... Ein solcher Argwohn! Sie hatte sich natürlich geängstigt, als er ohne weiteres sagte: Sie stach dem Kinde ein Messer in die Kehle." Wenn sie in ihre eigenen Gedanken vertieft saß und ihr so etwas gerade ins Gesicht geschleudert wurde, mußte sie ja erschrecken.

Dieser Einfall, dieser Argwohn, seine ganze Erregung erschien ihm so unbegreiflich, so bar jeder gefunden Vernunft, daß er sich fragte, ob er krank sei. Aber davon konnte ja nicht die Rede sein. Dessen war er gewiß. Sein innigster Wunsch war, daß er diesen Vorfall vergessen möge, ihn so vergessen, als habe er ihn nie erlebt.

Er ging ins Speisezimmer; aber sie war dort nicht, und das enttäuschte ihn. Er hatte erwartet, ihr anzusehen, daß sie nichts ahnte. Das hätte ihm so wohl gethan, so wohl!... Sie saß dort und kleidete

Er ging ins Schlafzimmer. den Knaben aus.

Sie fehrte ihm gerade das Gesicht zu, und alles Schwere und Häßliche entschwand: sie hatte seine Erregung nicht benterft.

"

Erik sagt, daß er morgen mit Mutter in die Stadt fahren will."

,, Will er? Morgen werden Erik und Mutter und Vater alle zusammen in die Stadt fahren," sagte Holthe.

Erik lachte und zappelte mit den Beinen auf dem Schoße der Mutter, während er rief:

" Ich fahre, ich fahre, ich halte die Zügel."

Ja, Erik wird die Zügel halten."

Die Scham bedrückte ihn noch. Er fühlte, seine freund­lichen Worte waren so unbeholfen, viel zu wenig warm. Aber er wollte das Häßliche beschwören, wollte, daß alles wie früher sein solle. Er wollte die Freude mit ihnen teilen.

Er nahm den Saaben der Mutter ab und setzte ihn auf den Boden. Dann lief er vor, und der Junge folgte ihm im bloßen Hemde. Er schien entzückt, daß ihm erlaubt war, so umherzulaufen. Es gab eine Jagd rund ums Bett, und zum Schluß wurde der Vater gefangen. Aber als Erik zu Bett sollte, hatte er keine Luft. Es war lustiger, im Hemde herumzuspringen.

Dann mußten Vater und Mutter bei ihm sitzen, damit er ruhig bleiben und schlafen konnte.

Warum blickte sie ihn so ängstlich, so scheu an? Warum Als Holthe und Hanna einige Stunden später zu Bett hatte er dies früher nie gesehen? Warum mußte es gerade gegangen waren, lag er lange, ehe er Schlaf finden konnte. Er fommen, als er von der Kindesmörderin sprach? Warum war fühlte sich noch unwohl nach der starken Erregung. Er der Blick so kurz, so verstohlen, so ängstlich?... Warum? hörte, daß Hanna mit langen, ruhigen Atemzügen Warum? Er hatte ganz ruhig gesessen und die Zeitung ge- fchlief. Die Scham loderte wieder in ihm auf. Sie konnte lesen, und dann sagte er etwas über diese Mörderin, über er eines Verbrechens verdächtigt haben, des Ver­die man schon einige Tage vorher gesprochen hatte. Sie brechens, das das unnatürlichste, das empörendste aller Ver­stach dem Kinde ein Messer in die Kehle." Und dann ging brechen sein konnte. Er hatte freilich nur einen Augenblick so er durch das Zimmer, und sie blickte ihm ängstlich und scheu häßlich gedacht. Aber trotzdem er hatte es thun können. nach. Sie dachte nicht, daß er es sehen könne, denn er kehrte Sie, die eine gute Mutter, eine gute Gattin war, die jede ihr den Rücken. Warum sagte sie nichts? Weshalb keine Nacht neben ihm so ruhig und gut schlief, wie es nur ein Bemerkung? Es wäre natürlich gewesen... gesunder und glücklicher Mensch kann, sie sollte erblassen, sich Er war wohl verrückt! Hier stand er und verdächtigte!.. ängstigen, wenn sie von einem Kindesmord hörte, weil sie Etwas so Wahnsinniges, so Unmögliches, so Erbärmliches gegen Hanna!

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Er blieb stehen. Er fühlte es, er hatte sich eines so gemeinen Bubenstreiches schuldig gemacht, den er sich nie ver­geben konnte.

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selbst einen begangen hatte?... Daß er nicht sofort ein­geschen hatte, daß die Erregung, die er bei ihr bemerkt hatte, durch sein eignes unheimliches Geschwät verschuldet war. Es tam ja so unerwartet, so plöglich und lautete so barbarisch. Am Samstagabend, als Hjelm über das Verbrechen