Anterhaltungsblatt des Nr. 210. Donnerstag, den 26. Oktober 1899 lNackdruik verboten.) 1S1 Ronian von Peter Egge . Autorisierte Uebcrsetzuiig ans deni Norwegischen von Adele Neustädter. Waruni war er jetzt wieder so erregt? Sie würde nicht ängstlich erscheinen, wenn er über den Kindesmord sprach. Sie war an dem Samstagabend ganz ruhig geblieben, weder erbleicht noch erbebt, als Hjelm über das Verbrechen gesprochen. Das wußte er bestimmt; denn er hatte sie gerade angesehen. Hier hielt er an, kam nicht weiter. Er spürte, wie er durch den ganzen Körper zitterte: Warum sah sie ihn vor- gestern abend bleich und ängstlich an, als er sagte: »Sie stach dem Kinde ein Messer durch die Kehle." Er stand ein Weile gebeugt, starrte vor sich hin und wurde kreidebleich im Gesicht. Aeugstigte sie sich, weil sie ihr eigenes Kind auf dieselbe Weise getötet hatte?... Er setzte sich in einen Stuhl. Das Gesicht verzog sich in Angst, als sähe er ein schreckliches Unglück. Es bat um Schonung. Das Entsetzliche durfte nicht geschehen. Die Hände blieben auf der Bnift liegen und der Oberkörper neigte sich, als Ivolle er zusammenfallen. Nach einer Weile erhob er sich und ging unsicher an den Tisch und trank ein Glas Wasser. Er warf sich ins Bett. Die Wut und die Verzweiflung erwürgte« ihn. »Wenn ich nicht schon verrückt bin, wünschte ich es zu sein." Wie konnte es möglich sein, daß ihn etwas so Entsetzliches befallen konnte!... Wenn er es nur verstanden hätte... Wenn nur jemand mit ihm fühlen und denken könnte, mit ihm leiden, daß er sich überzeugen konnte, er sei nicht ver- nickt... Wie konnte er so grausam gegen sich und gegen sie sein, wo er nur das Gute, das Beste wollte?... War er mit einem solchen Leiden in der ganzen Welt nicht allein?... War es möglich, daß ein gesunder Mensch sich selbst so wahnsinnig quälen konnte? Nein, er war verrückt. Ein Wahnsinniger konnte wohl seinen Zustand kennen und nachgni belli, sich darüber klar sein, ivenn er nur nicht auf seine fixe Adee stieß... Sollte sein Grübeln ihn vielleicht zuletzt ins Irrenhaus bringen?... Er»vollte es noch nicht glauben... Er erhob sich und trank mehr Wasser. Dann sucht er im Entree seinen Hut und ging hinaus. Er hatte sich nicht gewaschen. Die Lust war rmih und kalt. Kein Schnee auf bell Feldern und im Walde. Nur auf den Bergen lag wieder ein wenig. Der Nebel hob sich langsam von den höchsten Spitzen und verzog sich gegen den Hinuncl, der bedeckt und dnukelgrau war. Holthe ging nach dem Stall. Aber als er vor die Thüre kam. hörte er, daß JcnS drinnen war, und da ging er vor- über. Heute würde er sich überzeugen. Er mußte Mut haben. Er hätte ihn auch gestern haben sollen, dann hätte er sowohl sich als ihr viel Sorge erspart. Er sah ihr Gesicht vor sich, als sie ihm den Rücken kehrte und hiuausging, um Martha zu bitten, das Bett herzurichten. Wie freind erschien er ihr ivohl... so ganz anders als sonst. Sie mußte glauben, daß der Kopstchm'erz ihn toll gemacht habe. Der Zorn stieg wieder in ihm mifi aber er verbiß ihn. Jetzt stand sie auf und fand sein Bett leer. Sie war ebenso betrübt, wie gestern. Erik frug nach den: Vater. Der Knabe hatte ja seit gestern mittag nicht mit ihm gesprochen. Was sollte aus dem Kinde werden? Weim das Unglück sie traf... wenn sie gestand... lvie würde sich das Leben des Knaben gestalten? Er kehrte um und ging langsam nach Hause. Es war bald Zeit zu stühstücken.... Nach dem Essen würde er die Zeitung durchblättern, über den Kindesmord lesen. Sie Ivürde so ruhig sitzen. An nichts Aehnliches denken. Da traf er sie.... Sein Inneres erbebte, und er blieb stehen. Bald ging er wieder. Aber wenn er nun nicht direkt zu ihr gehen und sagen konnte, wie es uin ihn stand!... Etz war feige und grau- sam, sich bei ihr einzuschleichen... Aber war das eine nicht so gransam wie das andere? O. das Ganze war entsetzlich... Aber dann... wenn er sich überzeugt hatte, daß sie ganz unschuldig war, dann würde er bekennen... Alles sollte sie erfahren. Er wußte, sie würde ihm verzeihen. Er würde bei ihr Trost und Stärkung finden. Sie würde ihren Reichtum über ihn ergießen, und sie würde« einander so nahe kommen. so nahe... Dieses Nnglück, das ihn befallen, würde ihn lehren, das Glück zu schätzen, es würden ihnen eine Erneue- rung alles Gilten und Schönen werden... Er traf sie in der Küche, wo sie einander guten Morgen wiliischten, und sie folgte ihm ins Speisezimmer. Er fühlte sich körperlich schwach. Sie war bleich. Er konnte auch sehe«, daß sie geweint hatte, und das lähmte ihn sofort. Sie versuchte vergnügt auszusehen und sagte: »Hast Du einen langeil Spaziergang gemacht?" j< u Er erwiderte schnell und perwirrt: Ja, aber ich glaube, es ist am besten, wenn ich mich lvieder lege. Ich möchte mich ins Arbeitszimmer legen... auf die Chaiselongue." Geht es Dir gar nicht besser?" Nein." Er rannte hin und her. Martha soll nur ctivas Butterbrot mid ein wenig Milch hinein tragen. Ich will heute liegen. Morgen gehe ich zum Doktor, wenn nur nicht besser wird." Kann ich nicht drinnen bei Dir sein? Vielleicht könntest Du etwas nötig haben... Rein, danke, ich muß schlafen... die Schmerzen fort- schlafen." Ich begreife nicht, daß Du nicht gleich zum Arzt gehst." Ich thue es morgen. Laß mich nur heute liegen." Sie ging ins Arbeitszimmer, um es herzurichten, und er setzte sich nieder und verschnaufte. Es fiel ihm nicht einmal ein, seineil Plan wieder zuscuiimenzll flicken. Er wollte von ihr fort, allein sein. Hanna trat ein. Jetzt ist es für Dich bereit." Danke." Die Thüre schloß sich hinter ihm. Er saß im Arbeits- zimnier. Das Essen stand auf einein kleluen Tisch vor der Chaiseloiigne. Er saß lange, ohne etwas zu thuu. und endlich beruhigte er sich so weit, daß er einsah, wie jämmerlich sein Plan zusmumengefalle» war. Er hatte nicht einmal den Ver- such geniacht. Und er hatte geglaubt, er besäße genügenden Mut, er habe die Kraft, auf sie einzudrängen l Er konnte sie nur quälen, immerwährend fortfahren, aber nichts mehr, nichts anderes. Er war feige, und weil er feig war, wurde er so grausam.... Er saß lange eines Butterbrotes geöffneten Flasche. schrank. Er begann auf- und abzilschreiten. lind beständig quälten ihn die schweren Gcdankell. Er trank noch ein Glas Cognac und zog eine Cigarre aus der Kiste vom Bücherbrett. Er hielt sie lange in der Hand und drehte sie zlvischcn den Fingern, während er durchs Fenster blickte. Er setzte sich endlich und zündete die Cigarre an. Als er sie geraucht hatte, nahm er eine neue und dann noch eine. Der Rauch zog in den seltsamsten Windungen hoch enrpor, bildete eine Schicht in der Lust. Aber weit entfernt, vor dem Fenster, erschien der Ranch formlos, bewegilngslos. Er wurde zum Nebel. Nun mußte er in alles noch einmal ruhig eindringen, alleS, was er lvußte, zu klären versuchen. Nur noch einmal. ehe er mit Hanna sprach. Das Ende war ja doch, daß er mit ihr darüber sprach... Er mußte Mut fassen. Also: Sie war eine Gefallene gewesen. Er war ein junger Mann ohne Vorurteile, ohne Familie, sehnte sich nach Ruhe, Arbeit... und Glück. Er war in sie verliebt, und da sie durch eigene und anderer Hilfe wirklich ein braver Mensch geworden war. heiratete er sie. In den ersten Jahren der Ehe zeigte sie zuweilen Neigung zur Schwermut. Er in Gedanken versunkeü. die Hälfte und trank ein�/ülas Cognac ans der Tann verschloß er sie in bell Kassen-