Hlnterhaltuilgsblalt des Vorwärts Nr. 21 S. Donnerswg, den 2 November. 1899 (Nachdruck verboten.) Hann«. 24] Roman von Peter Egge  . Autorisierte Uebersetzung aus dem Norwegischen von Adele Neustädter. Kann sie schlafen?" durchfuhr es ihn stechend. Er tastete in der Rocktasche nach Streichhölzern nud strich endlich eins au. Sie saß ihm zugewandt in einem Lchnstuhl. Der Blick schien groß und stumpf, das Gesicht war bleich und zeigte einen hektischen roten Fleck an jeder Schläfe. Er ging näher, wollte etwas sagen, gewahrte jedoch gleichzeitig das Brett mit der Flasche und den Gläsern. Das Streichholz fiel ihm auö der Hand. Er fuhr unwillkürlich einige Schritte zurück und stützte sich gegen die Thüre. Die Knie wurden ihm so merkwürdig schwach. Seine Augen sahen sie nicht mehr, in seinem Unl- kreis war es so unnatürlich dunkel geworden, seitdem das Streichholz verloschen. Aber das Unglück war ja Wirklich- kcit... sie saß drinnen im Dunklen... Hanna... Hanna... Er ging zu ihr. Er wollte jammern, weinen, trösten; aber er that es nicht, blieb nur stehen. Dann hob er sie empor und trug sie ins Schlafzimmer. Das Licht schmerzte die Augen. Er stürzte ans Bett, worauf er sie legte. Martha, die auf einem Stuhl zusammengekauert gesessen hatte, fuhr auf und rief: ,,O Gott, was ist los? Ist die Frau krank?" Ja. nimm den Jungen und gehe in die Wohnstube und bleibe dort so lange," sagte er scharf. Martha verstand. daß hier keine Einwendungen ge- duldet wurden, nahm den Knaben vom Boden auf und ging. Das Kind weinte laut und schrie: M utt er!" Holthe setzte sich auf den Bettrand. Die körperliche Schwäche übermannte ihn. Er mußte lange ruhen. Dann begann er sie auszukleiden, und sie ließ es geschehen, sagte kein Wort, war nicht wiederspenstig. Sie hielt die Augen geschlossen. Sie öffnete sie nur einmal und blickte halb unbewußt ins Zimmer. Als er die Decke über sie gelegt hatte, bewegte sie die Arme, als wollte sie sich heben; aber es gelang ihr nicht. Sie fielen nieder, und bald schlief sie ein. Er saß in Schweiß gebadet und von der Anstrengung ermüdet neben ihr. Sein Gehirn versuchte zu begreifen, was geschehen war. Solvohl er als sie schienen andere Menschen gclvorden zu sein. Es erschien so unglaublich, daß ein solches Unglück sie treffen konnte, gerade sie, und noch unglaublicher, daß sie es in solcher Weise trugen. Es hatte sie beide feige gemacht. Er erschien sich so arm. so gedcmütigt, so allein, daß er nach Hilfe schrie, nach Trost, denn er vermochte selbst nichts mehr. Nach einer Weile ging er in die Wohnstube. Kann ich der gnädigen Frau nicht helfen, vielleicht bei ihr wachen?" frug Martha. Nein," sagte Holthe und blickte finster auf das Thce- brett und die Gläser. Er zeigte nach dem Tisch. Ich werde Erik zu Bett bringen. Sie sind heute abend frei... Komm mein Kind I" Er trug den Knaben hinein, kleidete ihn aus, und saß bei ihm, bis er schlief. Er lag im Stuhle zurückgelehnt. Ringsum war es still. Nur Hanna und der Knabe atmeten hörbar tief; aber das machte die Stille größer, fühlbarer. Was sollte er thun? Wie sollte ihr Zusammenleben werden?... Was sollte er erklären, wenn sie ihn morgen in klaren Worten sagte, daß sie schuldig sei? Wie sollte er sich stellen? Um was sollte er sie bitten, was sollte er verlangen?... O, was jetzt kam, war vielleicht das schlimmste... Er wußte weder vor noch rückivärts. Er stand mühsam auf und ging umher. Man hörte die Schritte kaum auf dem Teppich. Hanna, wie sollte es werden? Holthe trat ins Wohnzimmer, von dort ins Speisezimmer und dann ins Arbeitszimmer. Hier schlug er das Fenster auf und legte sich hinaus. Die Luft kühlte so schön, und er blieb lange stehen. Ueber die nackten Bäume und Büsche im Garten sah er die Stadt. Die erleuchteten Fenster blickten durch die Finsternis zu ihm herauf, wie sie es an allen Winterabenden gethan hatten, seit er hier wohnte. Heute lag nur Külte   und Trostlosigkeit in solch' unveränderlichem An- starren. Ganz draußen an der Mole schien das grüne Licht des Leuchtturms, wie ein schadenfrohes Lächeln in einem Auge. Wäre er nur zu Hause geblieben, anstatt den Vormittag hinauszugehend Daß er es thun konnte!... seines Weges gehen.'... Er schloß das Fenster und raunte durch die Stuben nach dem Schlafzimmer. Alles war so ruhig,>vie er es ver­lassen hatte. Was sollte er morgen thun? WaS sollte er sagen, wenn sie kam? Es schlug Mitternacht  . Er nahm die Bettdecke und das Kopfkissen in sein Arbeitszimmer mit und feuerte den Ofen an. Daun   legte er sich auf die Chaiselongue. Morgen kam sie.... Sie würde grausam ehrlich über das ganze Unglück sprechen. Sie würde nichts verbergen. Aber sie bereute nicht. Sic war nicht demütig, sie glaubte nicht, durch Schweigen gefehlt zu haben. Sie behauptete, in ihrem guten Rechte zu sein. Sonst hätte sie nicht ge- schwiegen. Das fühlte er. So gut kannte er sie. Aber konnte sie behaupten, daß sie in ihrer Ehe ganz glücklich ge- Wesen war? Wie würde sie diese Behauptung verteidigen? Er begriff nicht, daß Glück sich mit solch eineni Verschweigen vereinen konnte. Er hätte sich auf diese Weise nicht glücklich fühlen können... Holthe konnte nicht schlafen und er erwartete es eigcnt- lich auch nicht. Hin und wieder schlummerte er einige Minuten, dann erwachte er plötzlich nud warf sich wieder lange hin und her. Es schlug eins, zwei, drei Uhr... Konnte sie ihn überzeugen, daß sie völlig glücklich durch viele Jahre gelebt hatte? Er hörte Schritte und erhob sich, so daß seine Beine den Boden berührten. Die Thür wurde vorsichtig aufgeschlossen und Hanna trat ein. Sie hatte sich angekleidet. Das Haar lag in einem Netz im Nacken. Das Gesicht war bleich und noch feucht vom Waschwasser. Tu bist auf," sagte sie undeutlich und setzte sich auf den Stuhl an der Thüre. Sie sah ihn lange und ruhig an. Sie erwartete förmlich, daß er etwas sagen sollte. Aber er schwieg. Du kennst mein Verbrechen, Johannes?" r/\>u* Das wußte ich übrigens zuvor." Hanna." Er stand auf.Du mußt mir die schreck- licheu Worte vergeben, die ich am Morgen zu Dir gesagt habe. Ich lvar wahnsinnig. Ich wußte nicht, was ich that. alL ich Dich verließ." Er sprach, als ängstige er sich, sie möchte ihm nicht verzeihen. Dir vergeben?" sagte sie leise.Das kann ich wohl; aber wie habe ich mich getäuscht, Johannes!" Sie schmiegen eine Weile. Dann sagte sie: Ich werde Dir alles erzählen. Ich»verde nichts bc- schönigen... Als ich zwanzig Jahre alt war, stand ich allein, ohne Hilfe und erwartete das Kind..." Hanna, sprich nicht über das Verbrechen... Ich be- greife, daß solches geschehen kanir... Das ist es nicht..." Er brach ab, suchte nach Worten. Da sagte sie: Das glaubte ich auch nicht. Es haudclt sich wohl darum, daß ich nicht bekannt, die Strafe nicht erlitten habe, die das Gesetz bestimmt." Ja," flüsterte er. O, Johannes, wie enttäuscht bin ich I ES ist die bitterste Täuschung meines Lebens. An dem Tage, da Dir das Ver- brechen bekannt wurde, mußtest Du auch verstehen, lveshalb ich geschwiegen habe, wie es kam, daß ich schwieg. Du hast mich jetzt so viele Jahre lang gekannt, Du mußt jetzt lvissen, wer ich bin... Ich werde Dir das alles erzählen.'.